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ANDY WARHOL - im Transkognitivuum

Text: HEDunckel





Es findet die Liebe zur Weisheit nur selten ihre Impulse in Selbstbezogenheit und auch nicht in Bezüglichkeit zu Bezügen, oder in Referenzen zu Referenzen auf Referenzen. Andererseits kann sie überall und zu jeder Zeit operativ werden. Zwischen Logik und Güte ist dazu auf einer Brücke der Ästhetik zu wandeln, und es gilt dort den Zufall als konstitutive Komponente der Innovation in hohem Grade zuzulassen. So werden Erscheinungsformen in den unterschiedlichen Ästhetischen Situationen unverschlossen erfahrbar: sie werden offen-sichtlich. Damit stoßen wir auf ein Problem vieler unserer Zeitgenossen, welche da meinen sich als kognitive Geizhälse ins Bild setzen zu müssen. Es geht darum, sich den unvorstellbar großen Mengen an Information, die permanent auf uns einwirken, zu stellen.


Dieses Problem kann über die Dimension unserer optischen Kapazitäten, also über die Empfindlichkeit unseres Auges, ins Bild gesetzt werden. Frage: Wie schwach kann eine Lichtquelle sein, um in unserem Auge eine gerade noch registrierbare Empfindung hervorzurufen? Antwort: Eine Kilowattstunde, die im Haushalt schnell verbraucht ist, und unsere allgemeine Rechnungsgrundlage für elektrische Energie fixiert, würde einer sparsamen Lampe 500.000 mal ein vermutetes Alter der Erde von 4 Milliarden Jahren lang reichen, um sie zu betreiben. Hingegen genügen 2 bis 10 Lichtquanten um in einem vorher an Dunkelheit gewöhntes Auge eine Lichtempfindung hervorzurufen. So ist es kein Wunder, dass sich viele Zeitgenossen, mehr noch als kognitive Geizhälse, als perzeptive Angsthasen gebaren und schnell Erscheinungsformen in eine ihnen bekannte Lage bringen: Um sich nicht von deren Offen-Sichtlichkeit aus ihrer Routine des „einfachen Lebens“ bringen zu lassen. Die Wahrscheinlichkeiten der Erscheinungsformen brechen also ständig wie ein Unwetter allergrößten Ausmaßes über uns ein und es erfordert tatsächlich auch etwas Mut, darin mit offenen Sinnen spazieren zu gehen.








Ein Meister im Wandeln auf dieser Brücke der Ästhetik, zwischen Logik und Güte, war Andy Warhol. Tonband-Aufzeichnungen, die als Buch unter dem bescheidenen Titel „Mi Filosofía de A a B y de B a A“ (fabula TUSQUETS editores - „Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück“) erschienen sind, zeigen ihn als großen Philosophen - zwischen Übermorgen und Ewigkeit. Also einerseits konkret und kritisch: „Amerika ist wirklich 'Das Schöne' schlechthin. Aber es wäre noch schöner, wenn jeder genug Geld zum Leben hätte.“ - Oder: „Schöne Gefängnisse für Beautiful Poeple“. Letztere eine Aussage, die viele Profi-Denker zur selben Zeit nicht in hunderten von Buchseiten erschreiben konnten. Und mit einer profunden Dialektik: „Ich mag Geld an der Wand. Nehmen wir an, du wolltest ein Bild für 200.000 Dollar kaufen. Ich meine, dass du das Geld an eine Schnur binden und an die Wand hängen solltest.“ - Egal ob Taxifahrten, der Kauf von Unterhosen, die Reinigung des Badezimmers, ja das ganze Leben wurde, natürlich mit Humor, in seiner situativen Ästhetik wahrgenommen. Doch blieben, ebenso konkret wie trocken, die ganz menschlichen Vor- und Nachteile der applizierten Methode nicht unerwähnt. Ganz normale Erscheinungen verloren ihre Normen und wurden in überraschenden Kontexten völlig anders lesbar. Unwahrscheinliches bekam aus kreativen Sichtweisen eine transkognitive Selbstverständlichkeit zugesprochen.


Andy Warhol verrät dann andererseits über alltägliches, das oft zur Tragödie werden kann, wie es sich als Drama, und sich letztlich in aller Ewigkeit als Komödie erleben lässt: „Diese ist eine meiner Lebensregeln, bestehend aus drei Teilen: (1) Beklage dich nie über eine Situation, während die Situation noch aktuell ist; (2) wenn du meinst nicht glauben zu können, dass alles wirklich so passiert, dann tu so, als sei alles ein Film; (3) und wenn dann diese Situation vorbei gegangen ist, dann such dir einen, dem du die Schuld gibst, und sorge dafür, das er das nie vergisst. Wenn derjenige, dem du die Schuld gibst, schlau ist, wird er seine kleinen Witze darüber machen, und immer, wenn die Sprache darauf kommt, könnt ihr zusammen darüber lachen, und dann kann die schreckliche Situation im Nachhinein doch noch eine lustige Sache werden.“



Mehr als viele andere wusste Warhol: Es geht nur um Wahrscheinlichkeiten von Zuständen. Diese befinden sich in permanentem Wandel. „Sowohl-als-Auch“ ist ihre einzig mögliche Erscheinungsform. Nur ein universeller „Elasticismo“ in Form eines „Brain-Stretching“ kann uns weiter- und gewiss auch wieder zurückbewegen. Verschleiß durch widernatürliche, wie tradierte Bindungen wird dabei weitgehend ausgeschlossen und setzt sich statt dessen als gestalterische Energie frei. Am 22. Februar 1987 verabschiedete sich, der am 6. August 1928 in Pittsburgh geborene, Andy Warhol in New York City von der situativen Ästhetik seines persönlichen Lebens, und hinterließ mannigfaltige Spuren seiner Kreativität, aus deren Lektüre noch heute Viele manches lernen können. „So ein Tag im Leben ist wie ein ganzer Fernsehtag. Wenn morgens das Fernsehprogramm beginnt, läuft es den ganzen Tag über pausenlos – und so ist das auch bei mir. Am Ende des Tages war der ganze Tag ein Film.“ - In Pittsburgh und sogar Bonn wird dem Meister würdig gedacht …



Holger E. Dunckel






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