Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Oma im Schlaf

Text: rasenmaeherkaputtmacher
Sie war echt. Ja, sie war echt – irgendwie. Ich konnte sie ja fühlen und ich sah sie ja auch. Sie war nur dicker. Und ihre Brille war lila und das passte nicht zu ihr. Und es war sowieso komisch, meine Oma wieder zu sehen. Das ging nicht und das wusste ich irgendwie auch. Aber sie war es und sie öffnete ihren Mund und sagte irgendetwas, was ich nicht verstand.
„Oma.“ sagte ich, „hey, schön, dass man dich noch mal sieht.“ Was anderes sagte ich ihr nicht, weil mir nichts Besseres einfiel. Wie denn auch, ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Und auf einmal stand sie vor mir und dann kann man auch nur zweifeln und nicht mehr nachdenken aber ich zweifelte nicht. Nicht in diesem Moment.

Und dann umarmte ich sie und drückte meine Nase an ihren Hals und plötzlich musste ich weinen und Tränen wanderten von meiner Haut zu ihrer, genau da, wo Hals und Schultern zusammentreffen. Ich weiß nicht mehr, wie sie gerochen hat. Es war alles dumpf und verschwommen.

Ich traf sie in ihrem Wohnzimmer und sie war auch größer und ich sagte ihr immer wieder, dass sie mir gefehlt hat und ich fragte mich auch irgendwie, was sie die letzten Jahre gemacht hat. Ich fühlte mich komisch. Und erleichtert. Und ich merkte, wie ihre Hand meinen Nacken streichelte. Das hat sie auch immer gemacht und ich hab es gemocht und jetzt mochte ich es immernoch und ich merkte jetzt erst, wie sehr sie mir fehlt. Und das alles irgendwie nur. Irgendwie eben. Genauso, wie ihr Lächeln irgendwie doch nicht das meiner Oma war. Tote Leute lächeln nicht. Nur im Traum.

Kurz nach dem Aufwachen überlegte ich, wann ich das letzte Mal an ihrem Grab stand. Die Antwort bleibe ich mir bis jetzt schuldig und beim Frühstück schämte ich mich dafür. Meine Oma war selten der Protagonist meiner Gedanken.

Die alten Fotos in der Kiste wurden heute wieder ausgepackt. Und dann sah ich ihr echtes Lächeln und ich erinnerte mich wieder daran. Ihre Brille war nämlich immer braun gewesen.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: