Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ding der Woche: Der Wohnbuchstabe

Teile diesen Beitrag mit Anderen:


Dankbar muss man Sascha Lobo sein, für die ungeschminkte Heiterkeit, mit der er gerade seine Berliner Singlewohnung ausräumt. Die dabei zur Schau (und zum Verkauf) gestellten Möbel sind ein wohltuend authentisches, also scheußliches, Abbild dessen, was eine gepflegt prekäre Wohnsituationen eben so anhäuft. In einer Zeit, in der Style-Blogs und Magazine wie Apartamento auch das Wohneinrichten der Normalos zu einer kunstvollen Sache verklären, ist es schön zu sehen, dass ein Hipster-König wie Lobo eben genauso zwischen Ikea-Schwemmgut und Fake-Asiatica mit zu kleinen Schubladen hauste wie alle anderen auch.

Neben den fertigen Gebrauchsmöbeln sind die „Wohnbuchstaben“ bei dieser Entrümpelung besonders interessant. Die Retro-Ironie-Evolution des urbanen Menschen vollzieht sich ja zunächst von T-Shirts (im besseren Fall: alte Firmen- oder Markenshirts, im schlechteren Fall Fake-Brandt-Zwieback-Shirts), über Plakate (alte Filmplakate, gerne auch anzügliche, als Ersatz: alte Fototapete) über ironische Haushaltsgeräte wie Plastikzitronenpressen, DDR-Kofferplattenspieler, Faltbalg-Kameras und Kugelfernseher bis hin zu jenen annähernd brauchbaren Sixties-Kronleuchtern und evtl. Mid-Century-Kommoden für die man schon fast Expertise braucht. Diese Welle brandet schließlich, schon beim Ausklingen der Retro-Ironie-Phase, in einem Wohnbuchstaben aus, der dann bis zum Umzug ins Seniorenstift stehenbleiben kann.

So ein Buchstabe stammt idealerweise von der Wand des total netten, leider post-gentrifiziert-abgerissenen Gemischtwarenladens von Gegenüber oder aus der Leuchtreklame eines stadtbekannten alten Kinos und transportiert nicht nur viel nostalgische Patina sondern den festgebackenen Feinstaub aus 50 Jahren Stadtluft. Im Gegensatz zu den anderen Retro-Accessoires ist so eine sinnlos im Flur stehende Typo auch relativ problemlos schon als richtig erwachsene Kunst verklärbar. Die geometrisch-abstrakte Grundform bleibt dazu ewig modern, die meist spröde Buntheit fügt den richtigen Dash Nostalgie hinzu und abwischbar ist das ganze auch leichter als die fünfstrahlige Schwanenhalslampe aus den Sixties. So ein altes e oder m ermöglicht auch den vielen Andersdenkenden, die in diesem Zeitraum langsam die Wohnung zu bevölkern beginnen (Kinder, Arbeitskollegen, Innenarchitekten) ein ziemlich niedrigschwelliges Gutfinden, viel leichter akzeptiert sich das auf der Kommode als zum Beispiel die Retro-Stereoanlage, die Papa oder fortschrittsgläubige Besucher einfach nur als ordinären Plastikschrott abtun würden. Außerdem ist der Leuchtreklame-Buchstabe für gut eingessesene Besitzer von Altbauwohnungen auch so ein bisschen wie der abgebrochene Mercedesstern für Punks – Zeugnis, dass man durchaus mal auf der Straße unterwegs war.

Folgerichtig sind in den Wohnblogs von Stockholm bis Sydney jede Menge Buchstaben in gut aufgeräumten Zimmern zu sehen, die ihr dazugehöriges Wort irgendwo in der Zeitgeschichte verloren haben. Als hätte Gulliver sein Scrabble-Bänkchen über den gefragten Stadtteilen dieser Welt verschüttet. Für viele ist so ein ergaunerter oder gefundener Buchstabe von der Hauswand eine einmalige Jagdrophäe, die bis in alle Ewigkeit in Ehren gehalten wird. Lobo trennt sich nun mit der gleichen belustigten Verwunderung davon, mit der man sich ja auch nach und nach von den T-Shirts, Filmplakaten und DDR-Lampen trennte. Diese Sachen haben ihre Zeit gehabt. Einmal in echt, einmal in Ironie. Weg damit.

  • teilen
  • schließen