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"Alle Bürgerrechte von Lesben und Schwulen würden außer Kraft gesetzt"

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Das Stadtparlament von St. Petersburg hat am Mittwoch ein Gesetz gegen die „Propaganda von Homosexualität und Pädophilie“ verhandelt. Die Lesben- und Schwulenbewegung und Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm, denn das Gesetz würde sogar das Schwenken einer Regenbogenfahne in der Öffentlichkeit verbieten und unter Strafe stellen. Die dritte Lesung und damit wohl auch die Verabschiedung des Gesetzes findet nächste Woche Mittwoch statt.

Der Grünen-Politiker Volker Beck ist menschenrechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Bundestag und setzt sich seit langem für die Recht von Homosexuellen ein, hat etwa intensiv um die eingetragene Lebenspartnerschaft für Schwule und Lesben gekämpft. 2006 wurde er in Moskau bei einer durch die Stadtregierung verbotenen Demonstration für die Bürgerrechte von Homosexuellen verletzt, von der Polizei verhaftet und erst auf Intervention der deutschen Botschaft wieder freigelassen. Wir haben mit Beck über das geplante Gesetz und die rechtliche Situation von Schwulen und Lesben in Russland und weltweit gesprochen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Volker Beck (rechts) mit dem russischen Menschenrechtsaktivisten Nikolai Alexeyev

jetzt.de: Herr Beck, worum geht es in dem Gesetz, das in St. Petersburg geplant ist?
Volker Beck: Das Gesetz versucht Homosexualität und auch jegliche Diskussion über die Rechte von Lesben und Schwulen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Angeblich geht es darum, die Propaganda von Sodomie, Lesbentum, Bisexualität und Transgendertum gegenüber Minderjährigen zu unterbinden, so der Wortlaut des Gesetzes.
 
Welche Folgen hätte es, wenn dieses Gesetz nächste Woche tatsächlich verabschiedet wird?
Das wirkt sich dann so aus, dass alles, was in der Öffentlichkeit passiert, als Gefährdung gegenüber Minderjährigen interpretiert wird. Zum Beispiel, wenn man als homosexuelles Paar Hand in Hand geht, einen Regenbogen-Pin trägt oder als Organisation über Homosexualität aufklärt, das alles wäre dann unter Strafe gestellt. In der Region St. Petersburg könnten Schwulen- und Lesbenorganisationen also überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit agieren und Schwule und Lesben sich nicht mehr sichtbar dort bewegen. Wie weit das Gesetz letztlich durchgesetzt wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Es ist aber auf jeden Fall eine Handhabe, die alle Bürgerrechte von Lesben und Schulen potentiell außer Kraft setzt. St. Petersburg ist übrigens nicht die erste Region in Russland, die ein solches Gesetz plant. In anderen Verwaltungsbezirken, zum Beispiel in Archangelsk, wurden derartige Gesetze bereits verabschiedet.
 
Wird das entsprechende Gesetz in Archangelsk angewandt?
Ja. Es gab dort vor Kurzem eine Demonstration, die sich gegen das Gesetz gerichtet hat. Die Demonstranten wurden danach dem Gesetz entsprechend zu Ordnungsstrafen verurteilt.
 
Gibt es in Russland also einen Rückschritt bei den Rechten von Homosexuellen?
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit von Lesben und Schwulen nicht gewährleistet sind. Das hängt auch mit der stärkeren Fokussierung auf die russisch-orthodoxe Kirche als neuer russischer Identität zusammen. Es gab immer wieder Verbote bei Demonstrationen für Lesben- und Schwulenrechte, aber diese standen bisher auf einem rechtlich sehr unsicheren Grund, sie widersprachen russischem Recht oder sie waren offensichtlich menschenrechtswidrig – der Europäische Gerichtshof hat das auch verurteilt. Aber nun verschärft sich die Situation durch diese neuen Gesetze in den Regionen und zeigt insgesamt deutlich die propagandistische Tendenz von Seiten der russischen Staatsführung, Lesben und Schwulen zu Sündenböcken zu machen und sie auszugrenzen. Nachdem die Öffnung des eisernen Vorhangs und der Beitritt aller osteuropäischen Staaten, einschließlich Russlands, zur Entkriminalisierung der Homosexualität in ganz Europa geführt hat, wird das jetzt über diese Art von Äußerungsdelikten gewissermaßen wieder zurückgedrängt.
 
Wie ist das gesellschaftliche Klima gegenüber Homosexuellen in Russland?
In Russland gibt es schon eine sehr weit verbreitete Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit. Wobei sich in den letzten Jahren gerade durch die Diskussionen über die Demonstrationen der Lesben und Schwulen eigentlich ein bisschen etwas zum Positiven verändert hat. Wie gesagt nicht auf staatlicher Seite, aber doch in der Gesellschaft, weil diese Diskussionen die Tabuisierung von Homosexualität abgeschwächt haben. Jetzt besteht die Gefahr, dass durch die neue Gesetzgebung diese Fortschritte wieder rückgängig gemacht werden. Wenn ein Reden über Schwule und Lesben überhaupt nicht mehr möglich ist, es sei denn in einer verachtenden Form, wird ja verhindert, dass man weiter für die Akzeptanz von Homosexualität eintreten kann.
 
Wie muss man sich die Atmosphäre denn konkret vorstellen: Trauen sich junge Russen überhaupt, sich als homosexuell zu outen?
Eher nicht, und wenn dann eher in einem Freundeskreis oder in einer Familie, wo das geschützt wird. Aber am Arbeitsplatz kann ein Outing dazu führen, dass jemand seinen Job verliert. Es gibt gerade einen Fall von einem Steward bei Aeroflot, der gezwungen wurde zu heiraten, um seine Stelle zu behalten. Der Steward wollte eine Organisation für die Schwulen und Lesben bei Aeroflot gründen – das wurde von der Fluggesellschaft unterbunden und mit dieser Maßnahme bedacht.
 
Wie sieht weltweit die rechtliche Situation von Schwulen und Lesben aus?
Das ist sehr unterschiedlich. Während wir in Europa und den Amerika einen starken Fortschritt bei der Gleichstellung feststellen können – im Vergleich steht Deutschland da übrigens noch relativ weit hinten – gibt es in Afrika und in Asien noch sehr viele Länder, in denen Homosexualität strafrechtlich verfolgt wird. In über 70 Ländern gibt es Strafgesetze gegen Schwule und Lesben, in zwölf Ländern steht sogar die Todesstrafe auf Homosexualität.
 
Wo ist die rechtliche Situation für Schwule und Lesben am schlimmsten?
Das ist schwierig zu sagen. Die strafrechtliche Verfolgung ist im Iran und in Saudi-Arabien am intensivsten. Dort werden relativ häufig Todesurteile an Homosexuellen vollstreckt. Aber auch in Ländern wie Uganda, wo über die Todesstrafe für Homosexualität bisher sozusagen „nur“ diskutiert wird, kommt es heute schon immer wieder zu pogromartigen Überfällen auf Schwule und Lesben. Und in vielen Staaten, wo auf Homosexualität „nur“ die Gefängnisstrafe steht, sind Homosexuelle rechtlich faktisch schutzlos, wenn Schwulen- und Lesbenfeinde auf die Jagd nach ihnen gehen. In Jamaica gab es da ja immer wieder entsprechende Vorfälle, zum Teil auch angeheizt von homophoben Dancehall-Sängern.
 
Häufig richten sich die Strafgesetze nur gegen Schwule. Haben sie es noch schwerer als Lesben?
Das ist bei den Strafgesetzen tatsächlich häufig der Fall, da man traditionell die Sexualität von Frauen nicht ernst genommen und sich daher nur um die Schwulen gekümmert hat. Aber gesellschaftlich besteht die Ächtung der Lesben entsprechend. Es gibt auch einen eigenen Verfolgungstatbestand gegenüber lesbischen Frauen, Corrective Rape. Dabei werden lesbische Frauen durch heterosexuelle Männer vergewaltigt mit der Rechtfertigung, sie würden dadurch heterosexualisiert. Das ist also eine besonders perfide und brutale Verfolgungsform.
 
Was liegt in Deutschland noch im Argen?
Einmal gibt es natürlich auch in der deutschen Gesellschaft Probleme mit Homophobie. Das sieht man zum Beispiel daran, dass an Schulen in Deutschland „Schwule Sau“ die häufigste Beschimpfung ist. Aber wir haben auch hierzulande noch keine rechtliche Gleichstellung erreicht, im Steuerrecht etwa. Im Adoptionsrecht sind eingetragene Lebenspartnerschaften nach wie vor weitgehend rechtslos. Überhaupt stellt das Verweisen von schwulen und lesbischen Paaren auf ein Sonderrechtsinstitut an sich schon eine gesellschaftliche Benachteiligung und Ächtung dar. Da gibt es also noch eine Menge zu tun. Einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen haben sich da auf den Weg gemacht. In NRW wird über einen Aktionsplan gegen Homophobie diskutiert und überlegt, mit welchen Maßnahmen homophoben Tendenzen konkret begegnet werden kann.
 
Was kann ich als Bürger tun, wenn ich gegen das geplante Gesetz protestieren will? Gibt es zum Beispiel einen Appell, den man unterschreiben kann?
Wir sind ein wenig von der Wiederaufnahme der Gesetzgebung überrascht worden, weil uns das Bundesaußenministerium auf eine kleine Anfrage kürzlich geantwortet hatte, dass bis zu den nächsten Wahlen dieses Gesetz nicht mehr verabschiedet werden würde. Vielleicht war das Auswärtige Amt schlecht informiert oder es wurde belogen, das kann ich nicht beurteilen. Ich habe Bundesaußenminister Westerwelle aufgefordert, Russland unverzüglich an seine menschenrechtlichen Verpflichtungen als Europaratsmitglied zu erinnern. Als Bürger kann man sich grundsätzlich an Protestaktionen vor der russischen Botschaft oder den Konsulaten vor Ort beteiligen. Oder man kann die Hirschfeld-Eddy-Stiftung unterstützen, die sich für die Menschenrechte von sexuellen Minderheiten einsetzt und in Russland mit Partnerorganisationen zusammenarbeitet. Für die Stiftung kann jeder Geld sammeln oder selber spenden.




Text: juliane-frisse - Bild: afp

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