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Für Schokolade und kleine Gespräche

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Neu in München, das bedeutet auch: Neu in einem Haus. Genau dort hat unsere Autorin mit dem Kennenlernen der Stadt begonnen – bei den Leuten, die täglich durch dieselbe Türe in das Mietshaus in Haidhausen gehen wie sie: ihren Nachbarn. Nach fünf Folgen der Kolumne von nebenan zieht sie jetzt ihr Resumée.
 
Es hat mich schon ein bisschen Überwindung gekostet, an allen Türen in meinem Haus zu klingeln und die Menschen hinter diesen Türen zu fragen, ob ich sie besuchen und darüber schreiben darf. Immerhin sind diese Menschen meine Nachbarn. Und ich dachte, wenn sie sich vielleicht überrumpelt fühlten oder wenn ihnen der Text in der Zeitung nicht gefiele, würde ich das sicher bei jeder Begegnung im Treppenhaus zu spüren bekommen. Aber dann war es gar nicht schlimm. Nur eine Mietpartei wollte nicht mitmachen, und das ältere Ehepaar, das ganz oben wohnt, habe ich einfach nicht erwischt, weil es die meiste Zeit gar nicht in München lebt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wenn ich an die Frage, was meine Nachbarn-Besuche gebracht haben, erstmal ganz pragmatisch herangehe, fällt die Antwort nicht schwer: eine Tüte Kekse, eine Dankeschönkarte, einen Blumenstrauß und Schokolade. Weniger materialistisch betrachtet war es aber vor allem gut für die Stimmung, dafür, wie ich mich in dem neuen Haus fühle. Ohne die Kolumne hätte ich mich sicher nicht bei jedem als die neue Nachbarin aus dem Erdgeschoss vorgestellt und die Gespräche im Hausflur wären wahrscheinlich mit einem beiläufigen Nicken und einem gemurmelten Gruß erledigt gewesen. Aber nun wurde mir, wenn man sich an der Haustüre, am Briefkasten oder am Treppenaufgang begegnet, schon einige Male die Frage gestellt, ob ich mich denn gut eingelebt habe, was die Arbeit mache, ob es mir hier gefalle. Es ergeben sich kleine Gespräche und ich finde es gut, wenn der Hausflur auch manchmal ein Ort der kleinen Gespräche ist und nicht bloß ein zugiger Ort des Aneinander-Vorbeirennens.

Was ich auch gelernt habe: In so einem Haus gibt es Verbindungen. Es wurde deutlich, wer wen wie gut kennt, wer wem schon einmal geholfen oder sich auch schon mal wegen eines Problems im Haus beklagt hat. Mit jedem der Besuche bekam ich ein bisschen mehr dieses Gefühl, eine Hausgemeinschaft um mich zu haben. Allein zu wissen, wer wo wohnt und wie es dort aussieht, lässt aus dem zerfaserten Bild des Mehrparteienhauses, das man vor dem geistigen Auge sieht, ein großes, zusammenhängendes Ganzes werden. Hier werden wahrscheinlich nie gemeinsame Partys gefeiert oder große Grillfeste im Hof veranstaltet, dazu ist es ein zu ruhiges Haus. Wenn ich danach fragte, was Nachbarschaft bedeutet, hieß es auch meist: Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme, gutes Zusammenleben. Ich würde mich jetzt ganz sicher nicht mehr scheuen, an einer der Türen zu klingeln, weil ich dringend ein Pflaster, etwas Mehl oder Hilfe beim Tragen brauche. Ein Besuch hat sogar wirklich dafür gesorgt, dass man viel mehr Kontakt hat als vorher: Bei Martina und Andreas war ich mitsamt Mitbewohnern zum Essen eingeladen, und als die beiden ein paar Tage verreist waren, habe ich die zwei Katzen versorgt.

Auch über mein neues Viertel habe ich viel erfahren. Haidhausen, sagten die meisten Nachbarn, sei der schönste Stadtteil – das hätte man mir in vielen anderen Stadtteilen wahrscheinlich auch gesagt, aber trotzdem wurde mein Blick auf mein neues Viertel von diesen Aussagen beeinflusst. Die meisten schwärmten außerdem von ihrer Stadt insgesamt. Wenn man aus dem Rheinland nach München zieht, so wie ich, dann muss man sich oft zweifelnde Kommentare und Nachfragen anhören, weil Münchens Ruf im Land bekanntermaßen nicht immer der beste ist. „Du ziehst nach München? Ohje. . .“, sagten die Freunde. Mit diesem „Ohje“ im Bauch zog ich hierher. Aber dann habe ich gemerkt, dass es sehr heilsam sein kann, mit Menschen, die genau am gleichen Fleck der Stadt leben wie ich, zu sprechen und sich von ihnen ein bisschen Münchner Heimatgefühl einimpfen zu lassen.

Alle Folgen der Kolumne „Nadjas Nachbarn“ findest du hier.

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