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"Der Kapitän muss nicht mit seinem Schiff untergehen"

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jetzt.de: Ralf, ursprünglich kommst Du aus Würzburg, bist also nicht wirklich mit dem Meer vor der Nase aufgewachsen. Woher kommt dein Drang zur Seefahrt?
Ralf: (lacht) Ich würde schätzen, dass 50 Prozent der Seeleute aus Süddeutschland kommen. Die Liebe zum Meer kann an dem Job natürlich auch reizen, aber wer nur aus romantischen Gründen zur See fährt, oder um gut Geld zu verdienen, der wird es in diesem Knochenjob nicht lange aushalten. Mir persönlich hat ein Kapitän aus meinem Bekanntenkreis die Seefahrt schmackhaft gemacht. Ich stand kurz vor dem Abitur und hatte keine Lust auf einen Bürojob. Ich suchte die Herausforderung und ich wollte Verantwortung übernehmen. So bin ich dann beim Nautik-Studium gelandet.

Wie wird man Kapitän?
Die Ausbildung zum Kapitän erfolgt schrittweise. Ich persönlich habe acht Semester Nautik auf Diplom in Elsfleth studiert, inklusive zweier Praxissemester. Neben den Fachhochschulen gibt es aber auch Seefahrtsschulen, die zum Kapitän ausbilden. Nach dem Studium habe ich dann das Offizierspatent erworben, wofür man eine gewisse Fahrzeit auf einem Schiff nachweisen muss. Für das Kapitänspatent muss man dann nochmal zwölf Monate Fahrzeit als Erster Offizier nachweisen. Manche Firmen wollen auch, dass man 60 Monate auf einem Tanker mitgefahren ist, bis man wirklich selber steuern darf. Prinzipiell muss man dann auf den Kapitänsposten von einer Reederei berufen werden.

Was ist der Unterschied zwischen einem Offizier und einem Kapitän?
In der Hierarchie steht der Erste Offizier sozusagen eine Stufe unter dem Kapitän. Man könnte ihn auch als stellvertretenden Kapitän bezeichnen.

Und mit dem Kapitänspatent darfst Du dann jedes Schiff steuern?
Ein Kriegsschiff dürfte ich nicht steuern. Für die meisten anderen Schiffe muss man Zusatzqualifikationen erwerben, die ich zum Großteil allerdings habe. Bei Passagierschiffen braucht man beispielsweise einen Schein für "Crowd Crisis Management", damit man in Krisen richtig handelt. Auf welchem Schiff man dann aber am Ende arbeitet, ist sicher von der Persönlichkeit und dem Jobmarkt abhängig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wie fühlt es sich an, das erste Mal selbstständig ein Schiff zu fahren?
Beim allerersten Mal alleine auf der Brücke wurde mir schon sehr bewusst, was für eine Verantwortung ich nun habe. Kapitän zu sein bedeutet mehr, als nur zu steuern. Es ist vielmehr ein administrativer Job. Ein Schiff ist wie eine kleine Stadt, da gibt es jede Menge zu tun. Gibt es einen Notfall, ist auch der Kapitän verantwortlich.

Wie hast Du die Havarie der Costa Concordia erlebt?
Wenn man als Branchenkenner über so einen Unfall liest, macht man sich natürlich gleich Gedanken, was da alles falsch gelaufen ist. Leider werden in den Medien nur wenige objektive Informationen über den Unfallhergang veröffentlicht. Vielmehr stehen gerade die Passagiere im Fokus, die oft an der Besatzung mäkeln. Ich war natürlich nicht dabei, allerdings denke ich schon, dass die Crew eine gewisse Leistung vollbracht hat, wenn sie innerhalb von zwei Stunden 4200 Leute evakuieren konnte. Warum der Rest noch vermisst wird, ist bisher ja noch nicht geklärt. Das Verhalten des Kapitäns steht natürlich auf einem anderen Blatt, insofern es so war, wie berichtet.

Ist der Satz "der Kapitän verlässt als Letzter das sinkende Schiff" richtig?
Prinzipiell schon. Wenn ein Schiff sinkt, ist der Kapitän auch verantwortlich für die Passagiere und die Crew. Natürlich muss der Kapitän im schlimmsten Fall nicht mit seinem Schiff untergehen. Allerdings sinkt ein Schiff in den meisten Fällen nicht innerhalb von zwei Minuten. Eine Evakuierung sollte also schon unter Verantwortung des Kapitäns stattfinden. Was man zur Zeit über das Verhalten des Kapitäns der Costa Concordia in den Medien liest, finde ich somit absolut nicht nachvollziehbar.

Wie steht es um die romantischen Vorstellungen von der Seefahrt? Hast du ein hölzernes Steuerrad? Trägst du blau-goldene Uniformen?
Die alte Seefahrerromantik, die man aus dem Fernsehen kennt, gibt es nicht mehr. Seit den Siebziger Jahren hat sich das Verkehrsaufkommen auf den Meeren schätzungsweise verdrei- oder vervierfacht. Die Besatzungen auf den Schiffen sind dafür kleiner geworden. Wer früher noch mit 45 Mann auf einem Tanker fuhr, hat heute vielleicht noch eine Besatzung von 16 Personen. Das verändert natürlich das Klima auf so einem Schiff. Auch das klassische Steuerrad gibt es nicht mehr. Stattdessen wird zumeist per Autocomputer navigiert und gelenkt, der Kapitän führt das Schiff nur in anspruchsvollen Gebieten selbst per Handruder. Auch eine Uniform tragen wir zumeist nur in den Häfen, wenn es wichtig wird, die verschiedenen Reedereien und Hierarchien zu unterscheiden.

Wie sieht das Sozialleben eines Seefahrers aus? Hältst du Kontakt zu deinen Freunden?
Bei meinem derzeitigen Arbeitgeber läuft es so, dass ich zwei Monate am Stück fahre und dann zwei Monate Urlaub habe. Dank E-Mail und Handy kann ich in der Zeit auf See mittlerweile auch Kontakt zu den Freunden zuhause halten. Trotzdem ist man natürlich oft nicht dabei, wenn im Freundeskreis etwas passiert.

Siehst Du auf dem Schiff wenigstens viel von der Welt?
Die Vorstellung dahinter ist leider falsch: Ich fliege meist zu der Stadt, in der das Schiff liegt, steige zu und fahre wieder ab. Wir liegen als Tankschiff oft nur sehr kurz im Hafen. Neben Wachdiensten gibt es dann viel zu erledigen, so dass nicht viel Zeit zum Sightseeing bleibt.

Angeblich hat der Kapitän die Costa Concordia so nah ans Ufer gesteuert, damit ein Oberkellner seiner Heimat winken könne. Sind derartige Manöver normal?
Ich selbst fahre ja keine Passagierschiffe, möchte mich deshalb nicht dazu äußern. Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass für die Gäste eine interessante Route gewählt wird. Dies sollte allerdings unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen stattfinden.


Text: charlotte-haunhorst - Foto: eyelab/photocase.com

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