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OP gelungen, Patient funkt

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Das Licht ist gleißend hell. Auf dem weißen Tresen steht eine Obstschale mit großen, grün-gesunden Äpfeln. „Vorhin ging es noch an“, sagt die Kundin am Tresen. „Aber überall, wo man es angefasst hat, kamen schwarze Flecken. Und Macken am Rücken hat es auch.“ Die Dame hinter dem Tresen nickt: „Ich kann Ihnen da leider nichts weiter zu sagen, aber er kommt gleich und dann wirft er da mal einen Blick drauf.“ Die Frau jammert weiter: „Ich hatte es extra in die Gesäßtasche getan, damit es im Regen nicht nass wird. Und zu Hause habe ich meine Jogginghose dann in die Waschmaschine geschmissen. Als es mir einfiel, war es schon zu spät. Kinder, habe ich geschrien, wir müssen sofort los. Zum Arzt!“ Sie lacht. Ein Hauch nervöser Verzweiflung liegt in diesem Lachen.

Der „Arzt“ heißt Sahin Özerdem, 35, und ist Geschäftsführer der Phone-Klinik, einer auf iPhones spezialisierten Reparaturwerkstatt in der Leopoldstraße. In Pulli und Jeans ist Sahin hinter den Tresen getreten, in seiner Rechten hält er einen blauen Plastikschuber, in dem ein frisch operiertes Gerät und sein Krankenschein liegen. Kirsten, groß, blond, Art-Directorin, nimmt es in Empfang, wählt sofort eine Nummer und triumphiert wenige Sekunden später: „Es funktioniert!“ Mitten im Kundengespräch sei sie gewesen, als plötzlich der Ton ausfiel. Dass es jetzt aber wieder funktioniere mache sie „todesglücklich“, sagt sie. Schließlich hänge man doch sehr an dem Ding. Die Klinik bestellt ihr noch ein Taxi und todesglücklich fährt sie von dannen. Das Handy fest am Ohr.
Die Hersteller haben aus ihren Mobiltelefonen längst vermenschlichte Alltags-Assistenten gemacht, die angefasst und angesprochen werden möchten, die sich in die Hosentaschen von Millionen von Menschen geschlichen haben und früher oder später unersetzlich scheinen. Aber die Hersteller haben es verpasst, ein angemessenes Servicesystem aufzubauen. Denn entscheidet sich der Angehörige eines defekten Smartphones etwa für Apples offiziellen Reparaturdienst, muss er mit einer mindestens 10-tägigen Abwesenheit des Gerätes rechnen, das nach Wiederinstandsetzung oft auch noch im Werkzustand zurückkehrt, also völlig ohne Erinnerung an alle gemeinsam verbrachten Abenteuer. Nur logisch, dass jetzt eine ganze Reihe von kleinen, unabhängigen Werkstätten auf den Markt drängt, um den Bedürfnissen der geplagten Smartphone-Angehörigen gerecht zu werden: „Wir löschen keine Daten und unsere Express-Reparatur dauert nur eine dreiviertel Stunde.“, erklärt Sahin die 89-Euro-Sofort-OP.
Die Kundin mit dem Wasserschaden muss allerdings doch länger warten. „Wir müssen ihr Gerät erst einmal reinigen. Wenn Sie Glück haben, ist nur der Akku defekt. Wenn aber schon eine Oxidation stattgefunden hat, oder die Platine durchgebrannt ist, können wir nichts mehr machen.“
Verspannt presst die Kundin ihre Lippen aufeinander. „Die Platine ist das Herzstück. Sie kostet 200 Euro. Ist sie hin, lohnt sich keine Reparatur“, erklärt der Techniker und mitfühlender ergänzt er: „Aber jetzt schauen wir erst mal rein. Sollten wir doch den Tod feststellen, können wir Ihnen auch ein Austauschgerät anbieten.“ Bei der Kundin ist keine Stimmungs-Verbesserung festzustellen. „Man hat halt lieber sein Altes zurück. Das ist keine Frage des Geldes und mag komisch klingen, aber so ein iPhone ist schon ein ganz eigenes Schmuckstück.“, erklärt Jean-Paul, Vertriebsmanager, ein weiterer wartender Kunde, der auf schnelle Heilung hofft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


In einem Hinterhaus in der Augustenstraße betreibt Andreas Conrad, 32, Konzeptionsmechaniker, die iPhoneReperatur24. „Haben Sie einen Termin?“, fragt er hinter einem breiten, repräsentativen Schreibtisch sitzend, denn ohne Termin operiere er nicht mehr. Er führe die Werkstatt jetzt nach dem Praxis-Prinzip, da teilweise bis zu fünf Menschen gleichzeitig in seinem Sprechzimmer gestanden hätten. An der Wand prangt der angebissene Apfel der Firma aus Cupertino, aufgemalt mit schwarzer Farbe. Ein Kunde kommt, hat einen Termin und ein Handy mit einem Display-Bruch. Das ist kurz vor Wasserschaden der häufigste Mangel. Andreas bittet ihn, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Er selbst begibt sich durch einen weißen Vorhang in den geräumigen und bis auf einen kleinen Schreibtisch fast leeren Operationssaal. Während er mit einem Skalpell das Display löst, erzählt er, eine Kundin habe mal geweint, als er ihr versicherte, er könne den Sturzschaden ihres Telefons sofort reparieren. Fassungslos hätte er versucht sie zu beruhigen, es sei doch nur ein Handy, nein, habe sie geschluchzt, für sie sei es mehr als das, für sie sei es wie ein Kind. Der Doktor lacht.

Der amerikanische Konsumforscher Martin Lindstrom hatte den Verdacht, dass Menschen von ihrem iPhone, ähnlich wie von Zigaretten, Alkohol und Videospielen, abhängig werden können. Um seine These zu prüfen unterzog er Probanden einer Magnetresonanztomografie, während er ihnen Video- und Tonaufnahmen von klingelnden und vibrierenden Apple-Produkten zeigte. Doch die Gehirnareale, die bei Suchtverhalten normalerweise aktiv werden, blieben regungslos. Die Smartphone-Kognitionen erregten andere Hirnregionen – jene, die für Liebe und Zuneigung zuständig sind. Den Nerd-Doktor wundert das wenig: „Ein Kunde brachte mir ein Gerät dessen Display komplett zersprungen war. Sowas hatte ich vorher noch nie gesehen. Der Kunde erklärte, seine Frau habe mit ihren Stöckelschuhen so lange auf dem Glas herumgetrampelt, bis es komplett hinüber war.“

 Der Münchner Markt der Reparaturstätten für die wasserscheuen Lebensabschnittsgefährten wächst. 2007 eröffnete Sahin die Phone-Klinik. Sein Umsatz ist seitdem von Quartal zu Quartal gestiegen. Andreas kam mit seinem Reparaturdienst 2010 hinzu, auch er kann sich nicht über Kundenmangel beklagen. Seit fünf bis sechs Monaten würden nun aber immer weitere Werkstätten in München aufmachen. „Die schaden dem Markt mit gefälschten Ersatzteilen und Dumpingpreisen“, meint Andreas. Auch Sahin berichtet von vielen Reparaturen, die er vornehmen musste, da andere Werkstätten Ersatzteilkopien verwendet hätten. Apple selbst verkauft keine Ersatzteile. Woher die Phone-Klinik ihre angepriesenen Original-Ersatzteile hat? „Von dem chinesischen Hersteller der für Apple produziert“, erklärt Sahin „Die produzieren mehr als bestellt und verkaufen den Überschuss, um sich etwas dazuverdienen.“ Apples Statement zu diesem Umstand: Kein Kommentar.
Kurz bevor die Wasserschaden-Kundin die Klinik in der Leopoldstraße verlässt, erhält sie noch einen Anruf, auf ihrem Ersatzhandy. Es ist eines der Sorte mit 160 Zeichen SMS und sonst nur zum Telefonieren. Regt das treue Stück auch ihre Hirnareale für Liebe und Zuneigung? „Du, wahrscheinlich ist es Schrott“, sagt sie zur Begrüßung in die Sprechmulde.

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