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Es war so etwas wie ein Hilferuf, den Eleanor Mayrhofer vergangene Woche auf ihrem Blog namens wahlmünchnerin.com absetzte. Die Amerikanerin lebt seit zehn Jahren in München, vor ein paar Jahren machte sie sich selbstständig. EM Papers heißt ihr Geschäft, sie designt pdf-Vorlagen für Hochzeitseinladungen, Tischkarten und andere Anlässe und vertreibt sie über das Internet. Die Kunden können sie nach ihren Wünschen ein bisschen verändern und selbst ausdrucken.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein seltenes Bild: Coworking Spaces wie das Combinat 56 haben in München noch Seltenheitswert.

Für ihr Geschäft braucht Eleanor eigentlich nur sich und ihre eigene Kreativität. Sie ist einer der Menschen, die seit einigen Jahren vermehrt mit Laptop in Großstadtcafés zu sehen sind, weil sie ihrer Arbeit eigentlich überall nachgehen können. Sie haben keinen festen Arbeitgeber und wollen vielleicht auch gar keinen. Sie brauchen nicht unbedingt ein Büro mit Faxgerät, Kopierer und einer Schrankwand voller Bücher und Aktenordner. Sie designen und texten alleine vor sich hin, zu Hause oder im Café. „Digitale Bohème“ nannten Sascha Lobo und Holm Friebe diese Menschen in ihrem Buch „Sie nennen es Arbeit“.

Aber so ganz grenzenlos ist die Freiheit dieser freien Arbeitsweise dann doch nicht. Manchmal müssen auch Leute wie Eleanor sich mit Leuten treffen, weil es Dinge zu besprechen gibt oder jemand einen Vortrag halten soll, der für Leute aus der Branche interessant ist. „So etwas ist in München nicht zu finden. Wir suchen ständig, und meistens halten wir unsere Meetings dann in irgendeinem Wirtshaus ab.“ Nur ist es für die Arbeitsatmosphäre nicht immer zuträglich, wenn der Referent selbst im abgetrennten Nebenraum gegen den Wirtshauslärm anreden muss. Einer befreundeten Freiberuflerin, die wie Eleanor zu Hause arbeitet, ist es peinlich, wenn sie Kunden nicht zu sich einladen kann, sondern sie in ein Café bitten muss. Was München bräuchte, schrieb Eleanor deshalb in ihrem Hilferuf, sei etwas wie das Betahaus.

Das Betahaus steht in Berlin Kreuzberg, es ist einer der Orte, die mit dem Namen „Coworking Spaces“ bedacht wurden, weil man hier nebeneinander arbeitet ohne zusammenzugehören. Man mietet sich einfach einen Schreibtisch oder einen Raum für Meetings, wenn man einen braucht. Das kann monatsweise geschehen oder auch tageweise. Man zahlt nur für die Zeit, in der man seinen Schreibtisch auch wirklich nutzt, man muss keinen Mietvertrag eingehen, es gibt keine Kündigungsfrist und nervige Verantwortlichkeiten für Telefonrechnungen, Putzdienste oder Blumengießen. Man kann die Annehmlichkeiten eines Büros nutzen, ohne selbst eines zu bezahlen und die Unannehmlichkeiten auf sich nehmen zu müssen, die es mit sich bringt.

In Berlin gibt es schon über 20 solcher Coworking Spaces, das Betahaus hat Dependancen in Hamburg und Köln eröffnet, und auch in anderen Großstädten findet man ähnliche Angebote mehr und mehr; insgesamt gibt es in Deutschland über 60 davon. Gerade in München, wo die Mieten teuer sind und sich junge Unternehmer und Selbstständige oft nicht mal einen Platz in einer herkömmlichen Bürogemeinschaft mit wenigen Mitmietern leisten können, müsste das Modell Coworking eigentlich florieren. Tut es aber nicht. In München gibt es genau einen waschechten Coworking Space: das Combinat 56.

Man findet es in der Neubaugegend am Ackermannbogen. Auf dem ehemaligen Kasernengelände schieben heute Mütter ihre Kinderwägen zwischen den bunten Wohnhäusern mit ihren asymmetrisch angeordneten Balkonen umher. Hinter den Glasfassaden der Nummer 56 sitzen fünf Leute an ihren Laptops in einem Großraumbüro mit mehreren Tischen, andere machen gerade Mittagspause in der Küche. Am Eingang stehen Spinde wie in einer Sportumkleide, daneben zwei futuristische Designsessel und ein kleiner Tisch. Die Böden der Räume, die „Kleiner Salon“ heißen oder „Casino“, sind mit flauschigem Teppich in unterschiedlichen Farben ausgelegt. Von den Kaffeemaschinen bis zum Stehtisch sieht alles hier ziemlich neu und eher schick aus, anders als zum Beispiel das Betahaus mit seiner reduzierten Einrichtung, dem Estrich-Fußboden und dem Industriestil. Durchaus Absicht, sagt Sina Brübach-Schlickum. 2010 hat sie das Combinat 56 gegründet, weil sie selbst auf der Suche nach einem flexiblen Arbeitsplatz war, und sie wollte keine Berliner Kopie. An den Schreibtischen sitzen hier auch nicht ausschließlich die Digitale Bohème und die kreativen Start-Up-Gründer. Klar gibt es Programmierer und Grafiker, aber auch Architekten und Steuerberater. Einen der drei festen Plätze hat ein Anwalt für Baurecht gebucht, manchmal kommt ein Pastor. Die meisten seien „gar nicht so jung“ sagt Sina Brübach, es gebe auch „ein paar alte Homeoffice-Hasen.“

Die Nachfrage zeigt, dass in München durchaus Interesse am Modell Coworking besteht. Ein Jahr nach dem Startschuss im Mai 2010 hat Sina Brübach-Schlickum das Combinat schon vergrößert, von 18 auf 30 Schreibtischplätze. „Wir brauchten ein Überlaufbecken“, sagt sie. Warum ihr Combinat 56 in München trotzdem ein Unikum ist, kann sie selbst nicht erklären. „Diese Frage bewegt mich ehrlich gesagt auch. Meine Vision war ja schon, dass es so etwas auch in München bald an jeder Straßenecke gibt." Vielleicht, mutmaßt sie, haben nicht genug Leute den Mut, es ihr gleich zu tun und einen Coworking Space zu eröffnen. „Die Mieten sind hoch, ich habe monatlich Ausgaben im fünfstelligen Bereich.“ Auch sie wurde durch das Combinat bisher nicht reich, sie verdient ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit als Marktforscherin.

Vielleicht ist die einsame Zeit des Combinat aber auch bald vorbei. Denn das Betahaus hat München jetzt ins Visier genommen. „Wir haben vor drei Tagen unsere Planung für 2012 besprochen“, sagt Madeleine Gummer von Mohl, die zum sechsköpfigen Gründungsteam des Betahauses in Berlin gehört. „Bisher lagen unsere Prioritäten bei anderen Städten. Barcelona, Lissabon und Sofia sind quasi schon fix. Aber München haben wir in unserer Besprechung auf die Liste geschrieben. Wir werden jetzt versuchen herauszufinden, mit wem wir dort zusammenarbeiten könnten und ob sich das lohnt.“

Es sieht so aus, als müsste Eleanor Mayrhofer in Zukunft nicht mehr auf ihrem Blog um Hilfe rufen.

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