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Das Fest der Vergeltung

Text: JennyDiamond
Ich bin Perfektionistin. Na und? 

Ich mag es, wenn alles so läuft, wie ich es geplant habe. Na und?

Ich verstehe es nicht, warum manche Menschen es sich zur Aufgabe gemacht haben, alles zu zerstören, was ich so mühsam geplant habe. Wahrscheinlich machen sie es nicht einmal bewusst, nicht einmal mit Vorsatz.

Sie sagen einfach einen Satz und schon ist alles hinüber.

Es geht um Weihnachten, es geht darum, dass ich das letzte Weihnachten zu Hause gerne perfekt hätte. Und niemand scherrt sich darum.

Ich will verdammt noch mal, dass die Weingläser zueinander passen, ich will, dass das Essen auf den Tellern schön garniert ist. Ich will, dass der Weihnachtsbaum wie tausend Sterne funkelt. Ich will, dass La Traviata im Hintergrund läuft.
Ich will, dass niemand streitet und ich will umwerfend aussehen.

Warum ich das will?

Nun, das ist einfach. Er wird da sein. Es wird das erste Weihnachtsfest sein, bei dem er dabei ist. 18 Jahre war er nicht da und dieses Jahr wird es seine Premiere.
Eigentlich will ich nicht, dass es perfekt ist, weil es Weihnachten ist. Ich will es, weil er da ist.
Weil er sehen soll, was er verpasst hat. Weil ich verdammt nochmal will, dass er bereut, nie da gewesen zu sein. 

Ich will. Ich will. Ich will.

Und was die andern wollen ist mir egal. Egoistisch hin oder her, es ist mir egal.
Es geht nur um ihn und mich.
Es ist die Wut und der Stolz. Es ist Vergeltung.

Weihnachten, das Fest der Vergeltung. Die Geschenke unter dem Baum und die Musik der Schuldgefühle. Und das Essen so köstlich, wie die Rache selbst. 

Und obwohl ich will, dass er sieht, dass es sich nicht um ihn dreht, dreht sich doch alles um ihn. Wie paradox, wie sinnlos.

Ich will das mir beim Ausblasen der Kerzen um Mitternacht, wenn alles vorbei ist, keine Tränen in den Augen stehen, weil ich ihn so sehr vermisse und weil ich mir so gewünscht hatte, dass er kommt.
Ich will, dass ich lächeln kann, weil ich die Reue in seinen Augen gesehen habe.

Aber ich sehe es vor meinem inneren Auge: Ich werde weinen, bitterlich weinen, weil sein Schmerz immer auf mich abfärbt.
Weil ich ihn eben doch so unendlich liebe.

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