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Frau Lobe und das kleine Ich-bin-Ich

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Am Anfang sieht Frau Lobe gar nicht so aus, als sei ihr mein Besuch sonderlich recht. Sie hat mir eine Apfelschorle angeboten, nun sitzt sie mit verschränkten Armen auf dem Sofa in einem großen, hellen und irgendwie repräsentativ aussehenden Wohnzimmer. Aber dann erzählt sie doch sehr viel, und was sie erzählt, das kann man sich gut anhören.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Frau Lobe, ursprünglich aus Wien, lebt in diesem Haus seit Ende der Neunziger, gemeinsam mit ihrem Mann. „Wo Sie wohnen, das Hochparterre“, sagt sie, „das nennt man in Wien Mezzanin. Ein Zwischengeschoss. Und im ersten Stock wohnten dann früher die feinen Leute.“ Frau Lobe wohnt sogar in zwei Stockwerken, im dritten und im vierten, und fein wirkt sie auch. Oder eher feinsinnig.

Frau Lobe mag Haidhausen, sie kennt die Stadtteilgeschichte und erzählt davon: Die früheren Arbeiterwohnungen, die Sanierungsmaßnahmen und warum es an den meisten Altbaufassaden hier keinen Stuck mehr gibt. In ihrer eigenen Geschichte war sie lange Zeit Pädagogin, erst Lehrerin für erziehungsschwierige Kinder, danach Therapeutin für Schüler mit Rechenschwäche. Jetzt ist sie so etwas wie die Nachlassverwalterin ihrer Mutter. Die war eine bekannte Frau, Mira Lobe, österreichische Kinderbuchautorin, unter anderem von „Das kleine Ich bin ich“. Ich jubele ein bisschen, weil man dieses Buch in meinem Kindergarten vorgelesen hat. „Ja, da sagen immer sehr viele, dass sie das kennen“, sagt Frau Lobe und klingt dabei ein bisschen resigniert. Ist ja sicher auch nicht so einfach, wenn die Menschen um einen herum dauernd nostalgische Freudentöne anstimmen. Nun ist es also Frau Lobes Job, die Bücher ihrer Mutter neu herauszubringen, Anthologien zusammenzustellen, die Texte neu illustrieren zu lassen oder generell zu modernisieren. Begriffe wie „ein Fremder“ zum Beispiel will heute kein Verlag mehr in Kinderbüchern haben. Man bekommt den Eindruck, dass in Kinderbüchern besonders gerne nach Steinen des Anstoßes gefahndet wird und strengstes moralisches Maß angelegt wird. Hat ihre Mutter früher die Geschichten an ihr getestet? „Das nicht, aber manchmal waren wir Kinder der Anlass für einen Text. Mein Bruder bekam zum Beispiel auf einmal Angst vor Bakterien und hat nichts mehr angefasst – das war der Anlass für ein Buch darüber, wie der Körper funktioniert.“ Manchmal habe sich ihre Mutter auch Geschichten ausgedacht, die ihre Kinder dann auf Spaziergängen fortgesponnen haben. Idyllisch klingt das.

Dass man bei Frau Lobe besonders gut Bücher leihen kann, versteht sich von selbst. Aber nicht nur Kinderbücher. „Ich habe auch sonst alles, oben ist eine riesige Bibliothek.“ Ich sehe ihn vor mir, den vierten Stock voller Bücher, der Bibliothek in Umberto Ecos „Der Name der Rose“ gleichend. Frau Lobe hat auch gleich Empfehlungen für mich. Leseempfehlungen und zum Schluss noch Münchenempfehlungen, denn ich bin ja neu in der Stadt: Die Isar entlang radeln bis zum Stauwehr oder an den Fünf Höfen in einem kleinen Laden Tee trinken und Scones essen oder ein Eis im Bioeisladen am Wiener Platz. Ich will all das tun, weil es so idyllisch klingt. So idyllisch wie Kinder, die auf Spaziergängen Geschichten erdenken.

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