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Professor Maus

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Katja sitzt auf einer Parkbank in einer Stadt in Süddeutschland und wirkt unruhig. Katja, 29, heißt eigentlich nicht Katja, und dass das Gespräch im Park stattfindet, ist ihr ausdrücklicher Wunsch. Sie möchte nicht, dass jemand zuhört, wenn sie erzählt, dass sie über viele Monate hinweg mit ihrem Professor geschlafen hat. Bis zur letzten Magisterprüfung. „Ich weiß selbst, wie unglaublich fahrlässig das war. Aber die Liebe fällt, wohin sie fällt, auch wenn sie auf den Mist fällt.“ Katja hat Geisteswissenschaften studiert und in mehreren Semestern Kurse von Professor Maus besucht. Sie mochte seine Art zu unterrichten. Es schien ihr eine logische Konsequenz, ihn zu fragen, ob er ihr „Magister­vater“ werden wolle. Katja war in jenem Som­mersemester 25. Sie hatte zügig studiert und dachte über eine Promotion nach.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Professor Maus heißt in Wirklichkeit auch anders. Aber Katja will ihn in dieser Geschichte so genannt haben, weil „Maus“ sein Kosename für sie war. Katja wirkt angespannt, wenn sie von der Beziehung erzählt. Immer wieder schaut sie sich um und verliert zwischendurch den Faden. Es wirkt, als sei die Beziehung noch nicht zu Ende.
Begleitend zur Magisterarbeit besucht man – so war das zumindest im alten Studiensystem – ein Oberseminar, in dem einmal pro Woche Studenten über ihre Arbeitsfortschritte berichten. Katja erinnert sich an die ersten Oberseminare. Es war das Sommer­semester, die Sonne schien, ihr Kopf war voll mit der riesigen Aufgabe, die zu bewältigen war. Der Professor schlug gleich nach der ersten Sitzung vor, dass man doch im Anschluss immer in den Biergarten gehen könne, um den Kopf freizukriegen. „Klar fand ich ihn gut aussehend“, sagt Katja. „Seine grauen Schläfen, die lässigen Holzfällerhemden, die er trug. Er war nicht so ein vergeistigter Klugscheißer, seine Studenten schienen ihm immer wichtig zu sein. Und er war lustig. Aber er ist 15 Jahre älter als ich, und ich dachte: Ich will doch nicht mit einem alten Sack schlafen.“ Aber nach einem Biergartenbesuch kam es anders. „Wir waren alle angetrunken“, erinnert sich Katja. „Irgendwann läutete die letzte Runde, und nur noch er, ich und ein Kommilitone waren da. Wir haben so viel gelacht an diesem Abend. Das Hierarchiegefälle Professor–Student war zu der Zeit schon lange überwunden.“ Schließlich spaziert sie allein mit dem Professor nach Hause, weil er eine Wohnung in ihrem Viertel hat. „In einer Hauseinfahrt haben wir dann geknutscht. Ich weiß noch, wie ich mich losriss und heim- rannte. Ich dachte nur immer wieder: Du bist so unglaublich dumm!“

Die nächste Sitzung mit dem Professor lässt sie ausfallen. Sie schämt sich und erkundigt sich in der Prüfungsordnung, ob sie den Dozenten ohne Angaben von Gründen wechseln konnte. „Ich wollte mich doch nicht von jemandem benoten lassen, mit dem ich betrunken rumgemacht hab.“ Mit dem festen Vorsatz, sich einen neuen Magistervater zu suchen, geht sie in seine Sprechstunde. „Er hat mir die Tür geöffnet, ist meinem Blick nicht ausgewichen und hat mir gestanden, dass er in mich verliebt sei.“

In den folgenden Wochen geraten die Dinge durcheinander. Katja versucht, ihre Abschlussarbeit fertigzustellen. Professor Maus unterstützt sie mit Ratschlägen. Teilweise arbeiten die beiden gemeinsam am Thema – und landen immer wieder miteinander im Bett. Einmal schlafen sie in seinem Büro miteinander. „Es war der totale Wahnsinn“, sagt Katja auf der Parkbank. „Im Seminar hatte ich Angst, dass jemand etwas merkt. Ich saß immer ganz hinten und entwickelte eine richtige Paranoia.“

Der Professor beschwichtigt sie. Manchmal malen sie sich miteinander aus, dass sie doch öffentlich zu ihrer Liebe stehen könnten, sobald Katja das Studium abgeschlossen habe. „Von meiner Familie und meinen Freunden hat niemand etwas mitbekommen. Ich habe mich ja sowieso überall ausgeklinkt, und jeder hat meine Zerstreutheit mit meinem Lernstress entschuldigt.“ Die letzten Prüfungswochen sitzt sie fast nur noch in der Bibliothek. Immer wieder denkt sie über die Richtigkeit der Beziehung nach. Kann man das machen? Hat es Auswirkungen? Welche?

Hatte sie Angst, er würde sie durchfallen lassen, wenn sie die Beziehung wegen ihrer Paranoia beenden würde? „Nein, dieser Gedanke kam mir erst viel später“, sagt Katja. „Mein Bauch hat mir immer signalisiert, dass er ein guter Mensch ist. Mein Kopf hat mir gesagt: Alles wird von mindestens zwei Instanzen geprüft. Es würde auffallen, wenn er manipulieren würde.“

Alles geht gut. Katja besteht und macht ihren Magister. Bei der Zeugnisvergabe gratuliert der Professor ihr und sogar ihren Eltern. „Mit meinem billigen Sekt in der Hand dachte ich kurz: So hab ich mir das Eltern-Vorstellen aber nicht ausgemalt“, sagt Katja. Danach verreist sie. Sie fliegt mit einer Freundin für zwei Monate nach Südamerika. Professor Maus hatte sie in dem Vorhaben bestärkt. Nach ihrer Rückkehr, so sein Versprechen, würden sie ein ganz normales Paar sein. Doch schon während des Südamerika-Aufenthalts meldet er sich nicht mehr. Weder per E-Mail noch per SMS. Katja schiebt es erst auf das Handynetz, dann auf einen Fehler beim Mailversand. Doch irgendwann begreift sie, dass die Beziehung, die Affäre, zu Ende ist.

„Als ich in Deutschland landete, wusste ich schon, dass es aus ist mit uns. Wir haben uns kurz getroffen, er hat mir ein paar Sachen gebracht, die ich bei ihm hatte. Eine ganz normale Trennung“, sagt Katja. Sie klingt nicht verwundert, als sie es erzählt. Es war das Ende einer Beziehung, von der nur wenige wussten. „Vielleicht konnte ich es so kalt beenden, weil mit der Uni in meinem Leben ein Kapitel zu Ende ging. Ich war gleich mit dem Volontariat beschäftigt, das ich bei einem Verlag angefangen hatte. Aber es hat mich nicht ausgefüllt. Jetzt promoviere ich. Und das Perverse ist: Ich arbeite am gleichen Lehrstuhl wie er, weil der Fachbereich einfach zu gut ist. Wir treffen uns manchmal auf dem Flur und tun so, als wären wir normale Kollegen.“ Es geht, sagt Katja. Sie unterrichtet heute selbst und überlegt, ob sie mit einem der Studenten etwas anfangen würde. Sie schüttelt den Kopf. „Das sind doch alles noch Kinder!“ Aber dann lächelt sie. So entschieden war sie schon einmal.



Text: michele-loetzner - Foto: illleeeegal / photocase.de

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