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Cambridge ist eine Idylle. Professoren und Studenten flanieren, zum Teil im Talar, zwischen den Collegegebäuden auf der King’s Parade, Radler pesen mit kleinen Weidenkörbchen am Lenker durch die engen Gassen, auf dem Fluss Cam lassen sich Touristen in flachen Holzbooten treiben. Natürlich, die Stadt ist nicht nur wegen dieses Bilderbuchflairs bekannt. Die über 800 Jahre alte Universität gehört zu den besten der Welt. In Hochschulrankings muss man Cambridge nie lang suchen: Die Uni ist, meist neben Oxford, immer weit oben auf den Listen. Dieses Jahr wurde Cambridge im weltweiten QS Ranking sogar als beste Universität der Welt ausgezeichnet. Im University guide 2012 der Tageszeitung The Guardian hat sie Oxford kürzlich auf den zweiten Platz verdrängt. So kritisch man all die Hochschulrankings sehen muss: Schlecht hat Cambridge in den Ranglisten noch nie abgeschnitten.

Die Universität ist in 31 Colleges aufgeteilt und zeichnet sich vor allem durch den engen Kontakt zwischen Dozenten und Studenten aus. Deutsche Studenten können nur davon träumen, so wie in Cambridge jede Woche in den sogenannten Supervisions direkten und intensiven Kontakt mit ihren Professoren zu haben. Um in den Genuss dieser Betreuung zu kommen, muss man exzellente Schulnoten haben und in den Interviews und Aufnahmetests brillieren. Rund 20 Prozent der Bachelor­bewerber erhalten einen Studienplatz.

Wer es in eines der Colleges schafft, tritt ein ruhmreiches Erbe an. Manche der früheren Absolventen kennt man aus der Formelsammlung, wie etwa James Clerk Maxwell, der die MaxwellGleichungen entwickelte. Der Ökonom John Maynard Keynes studierte hier, Stephen Hawking hat hier seinen Doktor gemacht, die Biologen Francis Crick und James Watson haben hier die Struktur der DNA entschlüsselt. Aber auch Schauspieler wie Rachel Weisz, Sacha Baron Cohen und Hugh Laurie haben auf dem Campus von Cambridge, eine Dreiviertelstunde von London entfernt, gepaukt. Zurzeit lernen und leben mehr als 20 000 Studenten hier. Adam, Carolin, Mathias, Thomas und Viktoria sind fünf von insgesamt 728 deutschen Studenten in Cambridge. Hier erzählen sie, was das Besondere an der Uni ist, wie sie mit dem Leistungsdruck umgehen — und warum man dem Mikrokosmos Cambridge manchmal auch dringend entfliehen muss.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Carolin Haas, 23, ist Doktorandin der Immunologie im Fachbereich Biowissenschaften am Gonville and Caius College.
Das mit meiner Doktorandenstelle war eigentlich Zufall. Nach meinem Bachelor der Ernährungswissenschaft an der TU München habe ich ein halbjähriges Praktikum bei einem Forschungsinstitut in Cambridge begonnen. Der Plan war, fürs Masterstudium zurück nach Deutschland zu gehen. Einen Tag nachdem ich mich hundertprozentig für die Universität Konstanz entschieden hatte, hat mir mein Praktikumschef vorgeschlagen, mich für ebendiese Doktoranden-stelle zu bewerben.

Da ich auf jeden Fall in der biomedizinischen Forschung arbeiten möchte, brauche ich einen Doktortitel. Also habe ich es versucht. Die Bewerbung um die Stelle und das Stipendium hat rund zwei Monate gedauert — ich brauchte zwei Referenzschreiben, Motivationsschreiben, Lebenslauf. Und natürlich die entsprechenden Noten. Meinen Bachelor hatte ich zum Glück mit 1,1 abgeschlossen. Es hat geklappt, und nun untersuche ich, sehr vereinfacht ausgedrückt, Kalziumphosphatpartikel im Darm und ihre biologische Funktion.

Ich bin in Cambridge die ganze Zeit unterwegs. Um 6.30 Uhr stehe ich auf, um Mitternacht gehe ich ins Bett. Mittlerweile steht sogar Rudern auf meinem Programm. Ich brauche diese abend­lichen Verpflichtungen, sonst würde ich wahrscheinlich noch bis in die Nacht im Labor stehen. Ich versinke in der Arbeit und sehe manchmal einfach keinen Grund, nach Hause zu gehen.

Das Collegesystem hier ist eine tolle Erfahrung. Man ist mit vollkommen verschiedenen Menschen aus aller Welt in einem Haus zusammengewürfelt. Für die Colleges muss man sich direkt bewerben. Ich habe Gonville and Caius gewählt, das viertälteste College in Cambridge, weil ich diese Harry-Potter-Atmosphäre mit Talar und Tradition wollte. Außerdem war Francis Crick, der mit James Watson die Struktur der DNA entschlüsselt hat, auch ein Caius-Student. Watson selbst hat übrigens vor ein paar Wochen hier einen Vortrag gehalten.

So unglaublich meine Zeit hier bisher war: Ich bin trotzdem froh, meinen Bachelor in München gemacht zu haben. Dieses Internatsgefühl der Undergraduates wäre mir doch zu viel geworden.

***

Mathias Häußler, 23, ist Doktorand der Geschichte am Robinson College.
Großbritanniens Verhältnis zu Europa hat mich immer fasziniert, wahrscheinlich auch, weil ich mit 14 Jahren von München nach London gezogen bin. Seit ein paar Wochen schreibe ich eine Arbeit zum Thema „Britisch-deutsche Beziehungen während der Schmidt-Kanzlerschaft“. Die Möglichkeit, historische Einblicke zu gewinnen, die kaum einer vor mir erhalten hat, ist schon einzigartig. Wie zum Beispiel, als ich Churchills Originaldokumente im britischen Nationalarchiv aufschlug und mir sein Zigarrenrauch entgegenschlug. Aber klar, eine Doktor­arbeit in Geschichte ist zuweilen einsam. Man hockt stundenlang in Archiven, um einen herum nur Achtzigjährige. Das Tolle an Cambridge ist dagegen: Wir sind eine Wissensgemeinschaft mit allein 200 Doktoranden in meinem Fachbereich. Jeden Montag zum Beispiel gibt es eine Vorlesung aus der Reihe „Moderne Europäische Geschichte“. Danach gehen wir Doktoranden mit den Gästen – weltweit renommierten Historikern – essen, trinken Wein und diskutieren.

Nach meinem Bachelor in Geschichte und Politik an der Queen-Mary-Universität in London hatte ich genug von Politikwissenschaft. Die ist mir zu sehr von Theorien belastet. Cambridge habe ich wegen des spezialisierten Masterprogramms in Moderner Europäischer Geschichte gewählt. Das Drumherum – also die Tradition, die Talare und all die Regeln wie zum Beispiel das Verbot, den Rasen zu betreten — war für mich kein Auswahlgrund. Nach dem Jahr wollte ich eigentlich auch weg aus Cambridge. Die Stadt ist zu klein und langweilig. Die akademische Gemeinschaft wog dann aber doch stärker. Durch mein staatliches Stipendium kann ich mich nun vollkommen aufs Forschen konzentrieren. Mein Doktorvater ist ein wunderbarer Mentor und sagt nicht: „Jetzt korrigiere mir mal 30 Aufsätze.“ In Großbritannien ist es übrigens Standard, dass nicht die Doktorväter, sondern externe Prüfer die Arbeiten korrigieren. Die Kehrseite der Medaille ist, dass es hier kaum Lehrmöglichkeiten gibt. Die Übung wäre wichtig, da ich an der Uni bleiben möchte — Professor für internationale Geschichte ab 1945, mit diesem Titel könnte ich mich gut anfreunden.

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Thomas Clausen, 21, ist Geschichtsstudent im zweiten Jahr am Trinity College.
Historiker zu sein war immer mein Traum – obwohl, naja, im Kindergarten tendierte ich wohl eher zum Berufsbild Ritter. Aber erst während meines Freiwilligen Sozialen Jahres bei der Friedensorganisation in den Niederlanden habe ich mich mit dem Gedanken befasst, in England zu studieren. Mir haben die Auswahlgespräche, in denen ich historische Quellen über britische Unis im 17. Jahrhundert analysieren sollte, wirklich Spaß gemacht. Das war ja das erste Mal, dass ich einem führenden Historiker gegenübersaß und mit ihm auf Augenhöhe diskutieren konnte. Nervös war ich nicht — vor allem, als ich merkte, dass viele der anderen Bewerber rund zwei Jahre jünger waren und in mehr oder minder passende Anzüge gesteckt und von ihren Eltern begleitet wurden. Das Gefühl „Bis hierhin hast du es schon mal allein geschafft“ war sehr aufbauend.

Für mich ist es nicht unbedingt der Studieninhalt, der Cambridge einzig­artig macht. Wir lesen ja die gleichen Lehrbücher wie Studenten an anderen Unis, und auch hier arbeite ich dann die Nacht durch, um mein Essay fertig zu schreiben. Das Besondere sind hier die wöchentlichen Supervisions mit den Dozenten. Es übt ungemein, jede Woche fünfseitige Essays zu schreiben und sie dann vor einem Geschichtsexperten zu verteidigen und zu besprechen. Das heißt natürlich auch, dass ich in einem kleinen Uni-Kosmos lebe, in der „Cambridge Bubble“. Das Leben an der Uni und das der Cambridge-Einwohner kreuzt sich selten. Man sagt umgangssprachlich, es verlaufe eine Trennung zwischen Town and Gown, also zwischen der Stadt und den Talaren. Dafür gibt es an den einzelnen Colleges immer sehr viele Bräuche und zwischen ihnen eine gewisse Konkurrenz. Vor den Ruderrennen im Frühling treffen sich beispielsweise die Rudermannschaften von meinem College, Trinity, und von St. John’s und versuchen, möglichst viele Mitglieder der gegnerischen Mannschaft zum Frühstück in die eigene Mensa zu verschleppen. Das ist sehr skurril, aber auch sehr amüsant.




Viktoria Molz, 25, ist Masterstudentin in Management am Robinson College.
Nein sagen – das musste ich in Cambridge lernen. Es gibt einfach zu viele spannende Veranstaltungen, etwa Debattierclubs, Fachvorträge oder Sportangebote wie Ballett oder Reiten. Gerade habe ich zum Beispiel Polo ausprobiert. Ich war zwar vollkommen damit überfordert, den Ball zu schlagen und gleichzeitig das Pferd anzutreiben, aber das wird noch.

Vor meinem Bachelorstudium in Bochum habe ich eine Ausbildung zur Hotelfachfrau in Hamburg absolviert. Auch damals schon hatte ich in meinem Kopf dieses Bild von Cambridge als wahrhafte Uni mit einer exzellenten Lehre. „Probieren kann man’s ja“ war mein Motto bei der Masterbewerbung, für die ich unter anderem den Toefl-Sprachtest mit 110 von 120 Punkten bestehen musste. Dann kam der Brief mit der Zusage! Zu einem Interview musste ich nicht, aber ich musste mindestens eine 1,3 für mein Bachelorstudium erhalten. Das hat mich angespornt.

Meine Erwartungen sind übertroffen worden. Das Campusleben, meine Kommilitonen aus der ganzen Welt und der Eins-zu-eins-Kontakt mit den Professoren ist inspirierend. Diese ganzheitliche Lernerfahrung, außerhalb des Hörsaals, habe ich manchmal während meines Studiums der Wirtschaftspsychologie in Bochum vermisst. Der Master ist für mich eine Investition in meine Bildung, und zwar eine sehr kostspielige: Der Management-Master kostet rund 19 000 Euro. Das Geld habe ich nach dem Tod meiner Großmutter geerbt.
Ob meine Kommilitonen in Cambridge intelligenter sind als die in Bochum, kann ich nicht sagen. Der Unterschied ist: Die Studenten hier sind motivierter, sie brennen für ihre Themen. Ich selbst bin gerade zur Präsidentin der „Cambridge Society — Frauen in der Wirtschaft“ gewählt worden. Die Organisation eines solchen Netzwerks in einem professionellen Rahmen zu leiten, das wäre auch mein langfristiges Berufsziel.

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Adam Shutie, 22, ist Jurastudent im vierten Jahr am Downing College.
Ab der 10. Klasse war mir klar, dass ich nach Cambridge möchte. Ich bin Deutschbrite, deshalb der Drang nach Großbritannien. Außerdem hat mein Vater sich schon in den Sechzigern hier beworben und mir viel von der tollen Uni-Atmosphäre erzählt. Ich bin mit einem Notendurchschnitt von 1,1 von der Schule gegangen, weil ich ein Ziel vor Augen hatte. Jeder Cambridge-Student übernimmt sich am Anfang. Auch ich. Ich musste viel studieren, habe aber trotzdem gerudert, habe anfangs auch noch Fußball und Lacrosse gespielt und war in der German Society, deren Präsident ich jetzt bin.

Im zweiten Jahr wusste ich dann, wie der Hase läuft, wie man zum Beispiel die wöchentlichen Essays schreibt. Hier herrscht immer der Druck, gut zu sein. Konkurrenzdenken ist mir aber erst begegnet, als ich vom Studiengang Land Economy, einer Mischung aus VWL und Jura, wo wir nur zu zweit im Jahrgang waren, zu Vollzeitjura wechselte. Jetzt sind 24 Studenten in meinem Jahr, der Letzte will ich da auf keinen Fall sein. Ein 2.2 als Bachelornote wäre für mich die Hölle, wird aber mit etwas Lernen auch nicht passieren.

Bis jetzt habe ich hier vor allem Selbstvertrauen gelernt und die Fähigkeit, meine Grenzen immer wieder neu zu definieren. Aber ich habe auch akzeptiert, dass zu viel Arbeit kaputt  macht. Mein Ventil, um in den Klausurenphasen wieder zur Ruhe zu kommen: Ich gehe joggen oder in den Botanischen Garten.

Ich würde später gern in einer Großkanzlei in London arbeiten und vorher vielleicht in der freien Wirtschaft, bei einer internationalen Bank. Die Kanzleien sehen das wahrscheinlich ganz gern, wenn man deren Kunden schon ein bisschen kennt. Toll wäre auch ein Master in den USA. Ich habe vor knapp zwei Jahren ein Stipendium für die Harvard Summer School bekommen — die lockere Art der Amerikaner war eine gute Abwechslung zu den Briten, die manchmal etwas uptight, also verkrampft sind. Aber erst mal gönne ich mir nach meinem Abschluss eine kleine Auszeit. Die ist dann auch nötig.



Text: fiona-webersteinhaus - Foto: Tanja Kernweiss

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