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"Die deutschen Studenten sind eher träge"

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Pünktlich zum International Students' Day gehen am Donnerstag in ganz Deutschland wieder Schüler und Studenten auf die Straße. Erik Marquardt studiert Chemie an der TU Berlin und engagiert sich im studentischen Dachverband FZS. Er hat die Proteste unter dem neuen Motto "Occupy University" mitorganisiert. Ein Interview über die Nähe zur Occupy-Bewegung, falsche Prioritäten und träge Studenten.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Warum gibt es das neue Label „Occupy University"?
Erik: Auch wenn jetzt sehr viele von „Occupy University" sprechen – ein zentrales Label gibt es gar nicht. Es reden auch einige wieder vom „Bildungsstreik" oder nennen den Protest "Occupy Education". Es ist ja kein reiner Studentenprotest, sondern es sind auch viele Schülerinnen und Schüler dabei. Wir haben uns nach dem großen Bildungsstreik 2009 sowieso gefragt, ob wir überhaupt wieder dieses Label wollen und brauchen. Das Problem mit dem Begriff „Bildungsstreik" war nämlich, dass damit die meisten nur den Widerstand gegen Studiengebühren und die Bologna-Reformen verbunden haben. An die Schülerinnen und Schüler, die den Protest wesentlich mitgetragen haben, hat bei „Bildungsstreik" fast niemand gedacht.

Trotzdem habt ihr mit „Occupy University" und „Occupy Education" die Brücke zur Occupy-Bewegung geschlagen. Was verbindet euch mit den Demonstranten?
Einerseits wollen sich einige mit der Occupy-Bewegung solidarisieren. Und genau wie die Occupy-Demonstranten verfolgen viele Aktive ganzheitliche Ziele und haben das Gefühl, wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen, Druck machen, damit sich grundsätzlich etwas ändert. Unsere Themen sind sich auch sehr ähnlich, bei uns natürlich auf den Bildungsbereich übertragen. Genau wie Occupy beklagen wir zum Beispiel ein Demokratiedefizit. An den Hochschulen ist es ja noch immer so, dass die Professoren in wichtigen Gremien alle anderen Statusgruppen überstimmen können. So werden fast immer eher Entscheidungen zugunsten der Forschung und zu ungunsten der Lehre getroffen, weil das den Prioritäten der Professoren entspricht.

Werdet ihr auch campieren?
Es ist nicht zentral geplant, Zelte aufzuschlagen. Aber natürlich brauchen wir einen Raum an den Universitäten, um über unsere Ziele und Probleme zu sprechen. Schon möglich also, dass an einigen Unis Camps entstehen oder wieder Hörsäle besetzt werden. Aber solche Initiativen entwickeln sich vor Ort.

Was sind denn eure wichtigsten Ziele?
Die sind häufig von Stadt zu Stadt, von Hochschule zu Hochschule und von Schule zu Schule verschieden. Unser grundsätzliches Ziel ist, dass sich die Prioritäten ändern. Bildung muss wieder wichtiger werden. Wie kann es sein, dass sechs Milliarden Euro für Steuererleichterungen übrig sind, aber zum Beispiel in Niedersachsen weiterhin Studiengebühren bestehen, die nur 100 Millionen einbringen? Wir wollen, dass in Zukunft das Kuchenstück für das Bildungssystem üppiger ausfällt.

Und was sind aktuell die drängendsten Probleme?
Aktuell die Wohnungsnot vieler Studierende. Die Studentenzahl wächst, aber die Infrastruktur wächst nicht mit. Auch das Zulassungschaos ist ein großes Problem. Es klappt immer noch nicht, zentral alle Studienplatzbewerbungen zu verwalten. Wegen der vielen Mehrfachbewerbungen bleiben weiterhin viele Studienplätze frei, obwohl eigentlich Studienplätze fehlen. Und natürlich geht es um die Situation der Studenten, die noch in den alten Diplom- und Magisterstudiengängen eingeschrieben und von der Exmatrikulation bedroht sind. Die Schüler leiden unter den großen Klassen und haben mit den Belastungen von G8 zu kämpfen.

Viele eurer Forderungen, wie „Freie Bildung für alle" kennt man noch aus den letzten Jahren, weil ihr viele eurer Ziele trotz der Demos und Unibesetzungen nicht erreichen konntet. Mal ehrlich, macht ihr euch überhaupt noch Hoffnungen, grundsätzlich etwas ändern zu können?
Zumindest ein paar Verbesserungen haben wir ja erreicht. Es gibt nur noch in zwei Bundesländern allgemeine Studiengebühren, Studienordnungen wurden entzerrt, Anwesenheitspflichten zum Teil gelockert. Aber eine gewisse Resignation und Machtlosigkeit spüren wir auch. Es gibt aktuell auch Bildungsstreik-Sticker mit dem Aufdruck „Wir werden doch eh nichts ändern". Das ist leider nicht ironisch gemeint.

2009 sind die Uniproteste aus Österreich rübergeschwappt, dieses Jahr sind auch schon in vielen anderen Ländern die Studenten auf die Straße gegangen. Es scheint, als ob sich die deutschen Studenten immer erst von den anderen mitreißen lassen müssten.
Das ist auch mein Eindruck, dass die deutschen Studenten eher träge sind. Hierzulande sind viele entpolitisiert. Und auch, wenn sich viele mit den Zielen des Protests identifizieren können, lernen sie im Zweifelsfall eher für die nächste Klausur oder gehen zur Vorlesung, als sich zu engagieren.

Vor zwei Jahren sind 85.000 Studenten und Schüler für bessere Bildung auf die Straße gegangen. Wie viele Teilnehmer erwartet ihr morgen?
Dieses Jahr hatten wir viel weniger Vorlauf als damals. Ich denke, wir können zufrieden sein, wenn wir morgen in ganz Deutschland 50.000 Leute mobilisieren können.

Was habt ihr für Aktionen geplant?
Neben den vielen Kundgebungen wird es an einigen Unis auch Thementage geben. Es soll ein sehr kreativer Protest werden. Wir haben auch Flashmobs geplant, aber was da wann und wo genau passieren wird, kündigen wir natürlich nicht an. Aber soviel kann ich sagen: In Cottbus zum Beispiel wird es recht spektakulär werden.

Ihr seid ja nicht die Einzigen, die protestieren, sondern aktuell finden international die „Global Weeks of Action for Education" statt. Verbindet den internationalen Protest noch mehr, als dass alle ganz allgemein für bessere Bildung sind? Was macht euch zu einer gemeinsamen Bewegung?
Ich will mir nicht anmaßen, für alle zu sprechen. Mein Eindruck ist zumindest, dass uns thematisch verbindet, dass wir uns überall gegen die Ökonomisierung der Bildung wehren. Das ist eine Entwicklung, die wir weltweit beobachten. In Chile zieht sich der Staat zunehmend aus der Finanzierung des Bildungssystems zurück, in Großbritannien wird gegen die Verdreifachung der Studiengebühren protestiert. Organisatorisch gibt es regelmäßig sogenannte Global Chat Meetings, in denen wir uns koordinieren und austauschen. Ich würde mir aber wünschen, dass wir in Zukunft noch internationaler werden, uns noch stärker vernetzen und dann auch stärker über die nationalen Grenzen hinweg denken.

Während 2009 viele Menschen euch und eure Forderungen unterstützt haben, habe ich inzwischen den Eindruck, dass ihr ganz schön Gegenwind bekommt. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die bisher in Deutschland erhobenen Studiengebühren doch nicht abschreckend auf Abiturienten wirken, was eines eurer wichtigsten Argumente war. Laut einer anderen Studie liegt die studentische Arbeitsbelastung nicht so hoch wie beklagt. Ein NEON-Autor hat die heutige Studentengeneration gerade erst als „Motzmaster" bezeichnet.
Verschiedene Studien kommen zu verschiedenen Ergebnissen. Ich persönlich halte zum Beispiel die aktuelle Berliner Studie für ziemlichen Quatsch. Aber man muss sich natürlich immer auch mit Gegenmeinungen auseinandersetzen. Allerdings, eins kann ich sagen: Wenn alles prima wäre, dann würden morgen nicht so viele auf die Straße gehen und demonstrieren.


Text: juliane-frisse - Foto: ddp

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