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Kunst in Zahlen

Text: BenUtzBar







Die Ausstellung ist fast leer. Nur die Künstler selbst stehen neben ihren Werken und warten, nervös und sich der Tragweite dieses Moments bewusst.
Es sind 30 Bilder ausgestellt und an die 20 Maler anwesend. Keiner schaut auf sein Bild oder gar auf eines der Anderen.
Alle starren auf die Tür. Warten auf ein Zeichen.
Dann wird die Tür plötzlich von einem jungen, dürren Angestellten der Ausstellung aufgestoßen.
Während die Tür sich wieder dem Stillstand entgegen pendelt, stolpert der Mitarbeiter in die Mitte des großen Raumes und verkündet mit dünner Stimme: „Er ist da!“



Schlagartig verwandelt sich die stille Nervosität der Künstler in lautes Raunen und hektische, ja fast unkontrollierte Bewegungen.
Doch es wird schnell wieder leise.
Keiner sagt was keiner bewegt was.
Alle Aufmerksamkeit liegt wieder allein auf der Tür.
Die öffnet sich gerade wieder. Jedoch diesmal langsam und mit bedacht.
Gehalten von zwei, in teuren schwarzen Anzügen gekleideten, Männern.
Eine Gruppe von 15 Menschen betritt behutsam den Raum. Alle in dunklen Farben dezent gekleidet.
Bis auf einen Mann.
Ein älter Herr mit langen weißen, zu einem kleinen Zopf zusammengebundenen, Haaren und weißen Vollbart. Sein weißer langer Umhang streicht über das Parkett der Galerie.
Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass sich die anderen 14 Menschen um ihn herum drapieren.
Er redet mit niemanden, schaut stur gerade aus, scheint sehr in sich gefangen, fokussiert, konzentriert.
In der Mitte der Ausstellung angekommen, bleibt die Gruppe stehen, ruht einen Moment. Aus ihr heraus tritt ein kleiner Junge.
In der einen Hand hält er Bleistift und Notizblock, in der anderen den rechten Unterarm des alten Manns.
Beide bewegen sich mit langsamen Schritt auf das erste Bild zu.
Der Maler weicht dem Jungen und dem alten Mann. Mit weit aufgerissenen Augen und zitternder Hand macht er einige Schritte zur Seite.
Direkt vor dem Bild stehen führt der Junge die Hand des alten Mannes in das Zentrum der Leinwand, wartet kurz und lässt dann los.
Es braucht einen Moment doch dann bewegt sich die Hand und streift über das Bild.
Die Augen des alten Mannes sind geschlossen, sein Gesicht verzerrt sich immer wieder.
Leise Worte und Geräusche fallen aus seinem Mund.
Der Künstler verfolgt das Schauspiel gebannt von der Seite.
„1..“
schwach und doch klar zu verstehen, gibt der alte Mann, immer noch fokussiert auf das Gemälde die erste Zahl von sich.
„5..“
Der Junge hält die Zahlen in seinem Notizblock fest.
„3...“
Ruckartig fährt die Hand des alten Mannes weg vom Bild, formt sich zu einer Faust um sich schnell wieder auf die Leinwand fallen zu lassen.
Der Junge schreibt.
„4.“
Die Hand lässt vom Gemälde ab, fällt lasch hinunter.

Der Junge schreibt und blickt dann zur Gruppe in der Mitte der Ausstellung.
Ein korpulenter, älterer Herr im Anzug eilt schnellen Schrittes zum Schauplatz.
Der Junge reist die Seite aus dem Notizblock, gibt sie dem Mann im Anzug und greift behutsam den Arm des alten Mannes.
Während der alte Mann sichtlich geschwächt zum nächsten Gemälde geführt wird, blickt der korpulente Anzugträger auf den Zettel, reicht ihn dem Künstler und nickt ihm leicht schmunzelnd zu.
Während der Anzugträger sich neben das Bild stellt und etwas, mit einem feinen Stift an die Wand zeichnet, starrt der Künstler auf das Papier, fällt, von Glück und Erleichterung überwältigt, auf die Knie und fängt an zu weinen, zu schluchzen, sich mit zitternder Stimme zu bedanken.
So wie die erste Hand schon an das nächste Bild geführt wird, die Zweite die Tränen vom Auge wischt, schreibt die Dritte neben die Leinwand: „153.400€“.

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