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Die Todsünde, nicht glücklich zu sein.

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Herr Altmann, in Ihrem Buch beschreiben Sie ihre Mutter als „gut und schwach“ und deswegen hoffend statt handelnd. Wie wird man stark?
Altmann: Die  Stärke hat man tief in sich, die war schon immer in mir. Nur konnte ich nicht mit ihr umgehen, sie nicht beherrschen, sie für mich einsetzen. Ich wollte kämpfen, nicht warten und hoffen. Das Unglück vieler kommt von der Hoffnung, weil die Menschen eben nichts ändern, sondern hoffen. Schauen Sie, der eine überlebt drei Konzentrationslager, wird hinterher kein Menschenhasser, hat noch immer Kraft, gründet eine Familie. Und der andere lebt als Clochard in Paris auf der Straße, weil ihm seine Frau weggelaufen ist. Der eine kann viel ertragen, der andere viel weniger.

Hassen Sie ihren Vater noch?
Nein, das ist vorbei, heute überkommt mich nur Mitgefühl über sein verpfuschtes Leben. Und immer soll er mir als negatives Beispiel dienen: nie so werden wie er!

Haben Sie sich vorgestellt, wie sie geworden wären, wenn Sie ein Leben wie ihr Vater gelebt hätten, als Rosenkranzverkäufer?
 Ich hätte mich mit einem Sack voll Rosenkränzen erschlagen, das ist für mich undenkbar, das will ich mir gar nicht vorstellen, das ist das nackte Grauen: Rosenkranzkönig in Altötting, ich würde schreien vor Unglücklichsein.

Diese bürgerliche Fassade, die Sie in ihrem Buch beschreiben, hinter der Kälte und Verzweiflung herrschen ist ja nicht so selten. Hatten Sie so gesehen eine »normale», verkorkste bürgerliche Jugend?
Na ja, normal ist etwas anderes, immerhin kam mein Vater, der Ex-SA-Mann, der Ex-SS-Mann, seelisch verwahrlost aus dem Krieg zurück. Aber die Verlogenheit, ja, das ist die verlogene Bürgerlichkeit, der "anständige" Bürger, dessen Moral uns an die Rampe von Auschwitz geführt hat. Sicher erklärt sich ein Teil des Erfolges des Buches damit, dass andere Leute sich damit identifizieren können. Ich bin nicht der einzige auf der Welt, der unter die Räder kam und von den Gichtfingern der katholischen Kirche seelisch und körperlich misshandelt wurde.

Mit der katholischen Kirche werden Sie keinen Frieden mehr machen, oder?
Nein, die Kirche ist ja nicht tot wie mein Vater, sie verbreitet ja weiterhin diesen sankrosankten Stuss: dass zum Beispiel Schwule gescheiterte Personen sind und dass ich in Todsünde lebe, weil ich mit Frauen ins Bett gehe, ohne zu "zeugen", ohne an den Terror der germanischen Einehe zu glauben. Ja, weil Herr Ratzinger nicht aufhört, seine "ewigen" Wahrheiten von der "allein selig machenden Kirche" zu verbreiten.

Sie schreiben auch aus Wut und Rache an ihrem Vater, der Kirche, der heuchlerischen Gesellschaft, fühlen Sie sich jetzt befriedigt?
Doch ja, sicher. Zudem bekomme ich viele Mails von Leuten, die mir schreiben, dass sie Ähnliches erlebt haben: diese Respektlosigkeit, diese Lieblosigkeit, diese saure Moral, dieser Leibhass, dieser Lusthass, diese in den Himmel stinkende Verlogenheit.

Es gibt den Menschen sicherlich Trost sich wiederzufinden, gibt es Ihnen als Autor ein Gefühl der Erlösung?
Nein, die Erlösung kam ja, als ich meinen Platz in der Welt gefunden hatte, als ich einen Weg gefunden hatte, mich zu verwirklichen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



In ihren anderen Büchern haben Sie sich nicht so seelisch entblößt, fühlen Sie sich nicht nackt, wenn Sie vor Publikum diese persönlichen Dinge auspacken?
Meine Sprache hat ja nichts Anzügliches, nichts Geiles, ich bin ein Mensch, der von seiner Menschwerdung erzählt. Und so verstehen es auch die meisten.

Sie zeigen Ihre Schwächen, ihre Verletzungen.
Sprache soll ja reinhauen, attackieren, und Geschichten von Menschen erzählen. Und sie soll auch anspornen, aufhetzen. Damit der andere, der Leser, sich bewegt, etwas ändert, sich auflehnt.

Sie hatten eine lieblose Kindheit und Jugend....
Ja, das kann man so sagen. Aber ich hasse wimmern. Das war, das ist vorbei. Ich bin ja davongekommen.

... wann haben Sie das erste mal geliebt?
Ich? Das weiß ich nicht, ob ich das kann, ich habe Freunde und Freundinnen, aber ob das die Liebe ist? Es gibt ein schönes Wort von Henry Miller: "Freundschaft ist etwas jenseits von Liebe". Ich bin ein guter Freund, meine Freunde können sich auf mich verlassen. Ist das Liebe ?

Haben Sie die Liebe denn gesucht?
Was für eine pompöse Frage. Ich suche Anerkennung, Wärme, Respekt. Wie jeder von uns. Will atmen, auch die Haut einer hingebungsbegabten Frau. Wie man das dann bezeichnet, ist mir schnurzegal.

Liebe oder Freiheit ?
Freisein ist die aufregendste Liebe. Freiheit und Liebe, ich weiß nicht, ob das geht, bei mir jedenfalls nicht. Sexuelle Treue? Da muss ich lachen. Was für ein verlogener Schwachsinn. Ich will keine Frau besitzen, und nicht besessen werden. Ich will den Swing, den Flow, das fetzige Leben.

Das mit der Treue schon mal ausprobiert?
(lacht) Als junger Mann, ja und wohl für immer untauglich für derlei Spießigkeiten.

Was treibt Sie an?
Neugier, wissen wollen, verstehen wollen, ich will das bisschen Zeit, das uns auf Erden gegeben ist, so intensiv und so innig leben, wie ich kann. Die Schönheit der Welt und die Suche nach Männern und Frauen, die mich kraft ihrer eigenen Neugier, ihrer Klugheit bereichern. Das will ich! Nicht treibt mich an: fünf Autos, drei Häuser und 25 Bananenmixer zu besitzen. Ich habe eine feine Wohnung in Paris und genug Knete, um jeden Tag in die Welt abhauen zu können. Das reicht. Ich bin nicht getrieben von der Sehnsucht nach bürgerlichen Wohlstandsmüll. Ich hungere nach Schönheit. Deshalb bin ich närrisch in die deutsche Sprache verliebt, sie ist das Schönste, was die Deutschen erfunden haben, deshalb lebe ich in Paris, deshalb ist eine schöne Frau das Schönste zwischen Himmel und Erde.

Haben Sie auch Ängste ?
Ja, aber auch Angst vor meiner Feigheit, deshalbe treibe ich mich an.


Welche Feigheit?
Dass ich mich nicht traue, dass ich mich drücke, wenn einer Hilfe braucht. Angst vor Krankheit, Angst vor alt und hässlich werden, Angst davor impotent zu werden, all die modernen Ängste, die uns alle jagen, Angst, dass ich keinen Erfolg mehr habe, Angst, dass ich arm werde. Aber dann kommen die Zeiten, da sind mir alle Ängste scheißegal, denn ich habe ja nur eine Aufgabe: zu leben, zu atmen, das Wunder, am Leben zu sein, zu genießen. Wie Jorge Luis Borges gesagt hat "Ich habe die schwerste Sünde begangen, die ein Mensch begehen konnte: Ich war nicht glücklich." Das ist die Todsünde und die muss auf Biegen und Brechen vermieden werden.



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