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Buttwoman - Teil 2

Text: lecker
(was bisher geschah: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/532303/Buttwoman-Teil-1)

Im fensterlosen Hotelflur blendet mich eine durchgehende Neonröhre. Da ich beim Verlassen meines Zimmers nicht wusste, wie es um meine derzeitige Kurzzeitgedächtniskapazität steht, umklammere ich den Zettel mit der entscheidenden Information. Zimmernummer 27. Erst jetzt fallen mir mögliche Eselsbrücken ein. Nr. 1: Das Alter, in dem es sich schickt, den Nippel abzugeben. Nr. 2: Mein Alter.


Während ich mich über meine eigene Dämlichkeit aufrege, werfe ich einen genaueren Blick auf die den Zimmertüren gegenüber liegende Flurwand. Fotos hängen da. Gerahmte Fotos. Fotos, die mich und meine Ex-Freundin zeigen; in trauter Zweisamkeit, vor spanischen Dörfern.



Als ich einen Papierkorb erspähe, mache ich kurz Halt, starre auf den Zettel, denke „27“, entsorge nichts, gehe weiter, und weiter, schaue nach links - zähnebleckende Fressen -, schaue nach rechts – Türen -, schaue nach oben – grelles Licht -,  und immer weiter und weiter, den scheinbar endlosen Flur entlang, bis ich „27!“ ausrufe, meinen Puls kontrolliere und keuchend an die Tür klopfe.



Ich stehe in ihrem Zimmer. Hieran kann auch ein kräftiger Biss in die eigene Zunge nichts ändern.  Die im Hotel „Firestarter“ standardmäßig vorhandene Nachttischlampe sorgt für gediegene Lichtverhältnisse, derweil mir Alexis mit laszivem Gesichtsausdruck über die rosigen Wangen streicht. Alexis‘ Make-Up: unauffällig. Ihre Keratinplatten: rot. Ein weißer Slingshot-Bikini verdeckt Dinge, die ich sehen will.
„Warum so aus der Puste, Süßer?“
„Naja, es war ein… ganz schön weiter Weg.“
„Von Zimmer 25 bis hierher?“
Alexis kneift die Augen zusammen, beginnt repetitiv zu nicken, flüstert: „Es stimmt wohl, was sie über dich erzählen.“ Keine Dementis meinerseits. „Nimm meine Hand, Janosch!“



Marienkäfer. Um mich zum Bett zu geleiten, hat mir Alexis ihre Schokoladenseite zugewandt. Doch von Schokolade keine Spur. Stattdessen tummelt sich ein Marienkäfermob biblischen Ausmaßes auf Alexis‘ Hinterbacken; einige dieser Nutzbiester lugen sogar verschmitzt aus dem Backenzwischenraum hervor. Was es dort wohl Nützliches zu tun gibt, frage ich mich und sehe das geschlossene Fenster.



Alexis schmeißt sich rücklings aufs Bett, woraufhin ich Marienkäfer betreffendes Mitleid verspüre. Gedanken an fiese Riesenmarienkäfer aus „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“ schaffen Abhilfe. Hoffentlich bringt das alles kein Unglück.
Ich geselle mich zu Alexis und entdecke ein qualitativ hochwertiges Fotokissen, beidseitig bedruckt, wunderbar weich, Leder-Peter vom Englischkurs in Seide.
„Ist Peter dein Freund?“
„Nein, deiner?“
Ich antworte nicht, verzichte auch auf Anschlussfragen, kann nicht mehr kognitiv präzise arbeiten,  nur noch Alexis fixieren – Alexis, die im Schneckentempo aus ihrem Slingshot schlüpft, die Beine spreizt und „Leck mich!“ fordert. Ortshinweise eines Zeigefingers helfen mir auf die Sprünge.



Eine halbe Stunde versuche ich, ein fleischiges Etwas zu stimulieren, von dem ich vermute, dass es im Lexikon unter der Bezeichnung „Klitoris“ firmiert, dann zieht mich Alexis an den Haaren zu sich nach oben; ihre linke Schweißbacke an meine rechte schmiegend, haucht mir Buttwoman Erfreuliches über bevorstehende Penetration ins Ohr. Ich schlucke einige Chitinpanzer und beginne, mich zu entkleiden.



Nachdem ich mich ausgezogen habe, vergeht keine Sekunde, bis ich wieder angezogen bin. Ohne eigenes Zutun. Die Klamotten einfach zurück an den Körper gezaubert. Als würde sich eine fremde Macht gegen meine Nacktheit wehren. Alexis sagt: „Du musst dich schon ausziehen.“ „Jaaaaaa, ich weiß!“ erwidere ich.



Im Anschluss an meinen dritten erfolglosen Entblätterungsversuch verzweifle ich. Auch Alexis ergeht sich nurmehr in langatmigen Seufzern. Aus dem Badezimmer: Gelächter. Selbsttätig setzt sich ein Ghettoblaster in Betrieb, spielt „You can leave your hat on“. Panik knabbert an meinen Nerven.
„Kann ich bitte das Fenster aufmachen?“ frage ich.
„Und warum?“ entgegnet Buttwoman, die sich indes anschickt, wie wild das Zimmer abzusuchen. Nach langen Gegenständen, bilde ich mir ein.
„Ich kann mich sonst nicht ausziehen. Ich muss Katzen hören, die sich kreischend jagen… Züge, Flugzeuge… oder Flaschen, die auf dem Bürgersteig zerbersten… irgendwas, nur etwas Reales.“
„Schonmal daran gedacht, dass ich womöglich weg bin, wenn du das Fenster öffnest?“
„Ach Unsinn, bitte, lass mich das Fenster aufmachen, ich flehe dich an.“
„Nein!“
„Bitte!“ Seit langer Zeit falte ich mal wieder meine Hände.
„Janosch, ich hab‘ ja wirklich mit viel gerechnet, aber dass es so schlimm ist… damit hab' selbst ich nicht gerechnet.“
„Ich will dich, ich will dich so sehr!“
Alexis unterbricht ihre Suche, baut sich – immer noch nackt – vor mir auf, mustert mein Antlitz, bemerkt mein zitterndes Kinn und treibt mich kaltblütig mit einem Filmzitat aus dem Zimmer.

Ich stehe reglos im Hotelflur. Trotzdem rauschen die Fotos meiner letzten Beziehung in rasender Geschwindigkeit an mir vorüber. Mir wird schwindlig. You’ll never have me. Ich schmecke Salz. You’ll never have me. Ich rieche Rauch. You’ll never have me. Ein nicht leiser werdendes Echo.

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