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(Aus-)GESTELLT!

Text: Millajaz

Wir gehen gemeinsam in das alte Fachwerkhaus, das den Eindruck erweckt als sei es wahnsinnig klein und windschief gebaut. Die dunklen Holzbalken hatte man vor kurzer Zeit erst freigelegt und aufbereitet. Jetzt ist das Gebäude denkmalgeschützt.



 



Heute Mittag kamen wir nur sehr schwer aus dem Bett, dabei schien die Sonne uns direkt auf die fahlen Gesichter, ohne Umwege gnadenlos erhellend in düstere Träume. Wir zankten uns noch, wer das Haus verlässt, um Brötchen zu holen. Du zogst wie so oft den Kürzeren.  Es war dir sowieso völlig gleich, aber aus Prinzip musstest du natürlich die Tür mit leichtem Schwung ins Schloss schlagen. Es war dir genauso gleich, dass du dir im T-Shirt und fusseliger Jogginghose bei den herrschenden Temperaturen den Tod holen könntest. Da kann dir auch der hässlichen Katzenhaarbelag auf deiner Kleidung nicht viel helfen. Die Leute werden dich wieder komisch anschauen und tuscheln über dich und uns. Aber das ist mir mittlerweile auch gleichgültig.



Antriebslos decke ich den Tisch mit zwei Tellern, zwei Messern, zwei Tassen und totem Tier als Aufschnitt. Beim Aufbrühen des löslichen Kaffees verbrannte ich mir die linke Hand, es tat höllisch weh. Aber immerhin spürte ich meine sonst dauerhaft eiskalten Hände mal wieder. Mir huschte ein Lächeln über die Lippen, ich Tollpatsch. Es ging ebenso schnell, wie es gekommen war.



Ich ging duschen, du kamst ja mal wieder nicht nach Hause. Wahrscheinlich sabbertest du just in diesem Moment auf die Titelseite der Bildzeitung, sodass sich die Tinte an den Rand deines Speichelflecks zog und die Bäckereifachverkäuferin dich bat, das Exemplar zu kaufen. Ich hoffte, dass du die siebzig Cents noch in der verklebten, löcherigen Höhle deiner Jogginghosentasche finden wirst ohne dafür wieder zwei Brötchen deiner Bestellung zu stornieren.



Zu allem Überfluss schnitt ich mich auch noch mit der scharfen Klinge meines Rasierers. Wieder Schmerz, vor allem durch das in den Wunden brennende Duschgel, doch das zartrosa gefärbte, dampfende Wasser entschädigte mich ein wenig. Das weiße Badetuch war nach dem Abtrocknen rotbefleckt. Ich zog mir etwas Nettes an, schließlich würde das mal wieder ein bedeutender Abend für uns werden und entschied mich meine Wunden fest zu verbinden. Dir legte ich auch schon Sachen bereit.



Ich kehrte ins Esszimmer zurück, in dem uralte Bilder von mir hingen, die entstanden waren, als ich noch kreativ war. Als ich mich dir gegenüber setzte schenkte ich dir nur einen flüchtigen Blick. Es war ungewohnt mit dir zu frühstücken, ich nippte nur an meinem lauwarmen Kaffee und würgte irgendwie ein halbes Brötchen zu meinem übersäuerten Magen hinunter, der es schon nicht mehr gewohnt war, etwas zutun zu haben.



Während du duschtest stahl ich deine gammeligen Klamotten aus dem Bad, damit du dir was frisches anzogst. Nach wenigen Minuten hörte das rascheln der neuen Stoffe, die du nur widerwillig über deine Haut zogst, ich hörte dich fluchen, dabei war es dir eigentlich vollkommen egal, was du trugst.



 



Am liebsten liegst du nackt in meinem Bett. Vorausgesetzt du wärest zu der Empfindung etwas besonders gern zutun noch in der Lage. Manchmal glaube ich, dass es aufflammt, diese Empfindung. Meist glaube ich dieser Gedanke war ein Trugschluss, ein Hoffnungsschimmer reflektiert von deinem kurzen Lächeln, das genau dann wieder verschwunden ist, wenn ich mich mit einem zweiten Blick seiner Existenz versichern möchte. Ich weiß nicht, was du fühlst oder denkst und auch nicht, was ich fühle oder denke. Wir haben die Nacht zusammen verbracht, mehr ist nicht geworden aus dem damaligen Prinzen und mir. Jahrelang gemeinsame Nächte, nach denen du zurück in dein alltägliches Unglück, welches du in den letzten Stunden mit in das meine stecktest.



 



Wir gehen gemeinsam zu dem Fachwerkhaus. Unser Abend. Eigentlich ist es nur ein Gefallen für einen engbefreundeten Künstler. Seine Ausstellung wird heute eröffnet und es werden einige wichtige oder bekannte Menschen anwesend sein. Wir haben eine Rolle und wissen noch nicht welche.



 



Die Menschen strömen herein. Und wir stehen da . Starren auf dieses bunte, farbenfrohe Gemälde, dass seine Betrachter glücklich macht. Es ist wunderschön, wirkt wie ein auf Leinwand gebanntes Feuerwerk und sprengt die Herzen seiner Betrachter mit Lebenslust und Fröhlichkeit.



Wir stehen da. Verziehen keine Miene, als schauten wir in ein schwarzes Loch. Wir sind nackt, bis auf die hautfarbene Unterwäsche. Uns ist nicht kalt, aber auch nicht warm, Gänsehaut haben wir jedenfalls nicht. Ich trage noch zusätzlich die weißen Mullbinden, die meine Handgelenke bis zur Mitte des Unterarms bedecken. Wir halten uns die Hände, locker und haltlos, dennoch halten wir sie mal wieder.



Vor uns ist eine Tafel aufgebaut: Bi-Depression

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