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Heima I (Die größten Arschlöcher singen die traurigsten Lieder)

Text: instant_coffee_baby




Roter Johannisbeersaft tropft von meinen ungeschickten Fingern auf das weiße Kleid, die Flecken gehen nie wieder raus, aber dafür ist es so ein sommerliches Bild, sage ich und Du lachst, weil das etwas ist, das Du nicht verstehst. Blutiger Beerensaft auf weißem Leinen.



 



Es ist einer von diesen merkwürdigen Abenden, von denen man vorher schon ganz genau weiß, wie sie werden und man weiß, sie werden gut und man hat so ein genaues Bild, so eine scharf gestochene Vorstellung von diesem einen Abend, dass man gar nicht merkt, dass alles anders ist, man weiß eben bloß die ganze Zeit, es ist so gut, wie man wusste, dass es gut werden würde, nur hinterher, wenn man zurückblickt, wird einem klar, es war noch besser.



Aus Afrika zurückgekommen, was, wie ich lerne, kein Land ist, sieht er mehr denn je aus wie ein Nordjunge, blonder und blauäugiger und strohfarbengebrannter denn je und natürlich mit diesem Blick, der schon fast alles gesehen hat, nur das hier, das hat er lange nicht gesehen, die Menschen, die einzige Kneipe, das Rathaus, die Stadt.



 



Früher habe ich mir oft gewünscht, meine Stadt möge am Meer liegen.



Es wäre so eine Stadt mit Strandkörben draußen in den Cafés statt Plastikstühlen und blau-weiß-gestreiften Markisen an der Eisbude und im Sommer würden wir am Strand sein, nicht am Baggerloch und morgens würde ich aufwachen vom launischen Kreischen der Möwen und abends einschlafen mit dem wehmütigen Wiegenlied der Dünen  im Ohr.



Und ich würde das Meer lieben, morgens, wenn es in der Junisonne wie ein blank polierter Spiegel daliegt und abends, wenn es im Dämmerlicht dieses eigentümliche Glitzern aufweist, das man auf Postkarten schrecklich findet, dem sich aber niemand verwehren kann, wenn er wirklich davorsteht und das Blau so schimmert wie tausend Fischschuppen und der Wind so rauscht wie ein alter Mann, der Geschichten von früher erzählt mit seiner krächzenden Stimme, von Seeräubern und tapferen Matrosen, und das Wasser so plätschert und den Bootssteg umgarnt und man meint, man müsse sterben an Kitschüberflutung, aber man stirbt nicht, man wird nur jünger.



Doch am meisten würde ich es im Regen lieben, im November vielleicht oder im Feburar, denn dann würde es die Luft so gut und rau machen und ich würde trotzdem barfuß am schäumenden Meeresrand entlangwandern mit Sand zwischen den Zähnen und Muschelsplittern unter den Fußsohlen und Salz im Haar und auch ein bisschen auf den kalten Wangen, denn die Augen würden ausgespült vom steifen Seewind.



Er will nicht von Afrika reden und ich will auch nichts davon hören, also reden wir über Musik, so belanglose Themen nach so langer Zeit, wobei Arcade Fire nicht belanglos ist, finden wir und sie waren es auch nie, doch ich weiß, irgendwann werden sie es sein, vielleicht noch nicht mal beim nächsten oder übernächsten Album, doch eines Tages werden sie nur noch klingen wie das Echo einer Band, die früher mal bedeutend war.



Und von so großem Belang, dass zwei Freunde, die sich ein Jahr nicht gesehen haben, über das Album reden, über das sie seit einem Jahr mit dem anderen reden wollten.



 



Es war einfach zu viel Ramazotti vorher, also gehe ich irgendwann hinter die Mülltonnen, da habe ich mich früher auch immer übergeben und ich denke dabei, dass das doch eigentlich eine Sache war, die ich nie wieder tun wollte, wieder so ein Zeichen , das auf eine gewisse Form der Lächerlichkeit meiner Person hinweist oder auch Erbärmlichkeit, denke ich etwas aufrichtiger.



 



Dass aber das Kotzen doch seinen Sinn hatte..



 



Ich setze mich, mir geht es wieder gut und gucke in diese Nordaugen vom Nordjungen und die sind so jung und so voller Hoffnung und ich weiß nicht, ob ich das zerstören kann, diesen Glauben, dass er eines Tages mit jemandem auf einer Brücke sitzen und die Beine baumeln lassen und in den Fluss spucken und Sterne gucken kann und es fühlt sich richtig an.



Junge, Junge, hunderte von Brücken habe ich besessen, Muskelkater habe ich noch immer vom vielen, vielen Beine baumeln, mein Mund ist ganz trocken, weil ich schon tausend Liter Spucke in mäandernde Gewässer gerotzt habe und den Himmel kenne ich inzwischen in- und  auswendig.



 



Es ist die eine Wahrheit, die niemand auszusprechen wagt, die drohend über unseren Köpfen hängt.



 



Aber das mit den Johannisbeerflecken.. Ich glaube, das hätte er verstanden.



 



 



 



 



 



 

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