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Was mir vom 11. September 2001 geblieben ist

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1.  Das ungute Gefühl bei tief fliegenden Flugzeugen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Vergangenen Sonntagabend stand ich in der Küche an der Spüle und schaute aus dem Fenster und sah die Lichter eines Flugzeugs über der Stadt. Ich habe keine Ahnung von Flugzeugen, aber das Licht schien mir wieder mal zu niedrig. War es im Sinkflug? Aber wohin? Warum so tief? Ich habe mir bis vor zehn Jahren nie Gedanken über die Flughöhen von Flugzeugen gemacht. Aber seitdem kenne ich die Bilder, die tief fliegende Flugzeuge auslösen können und seitdem bin ich mir nie ganz sicher, wie hoch hoch genug ist.  

2.  Die Türme

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Neulich, beim Einkaufen, stehen auf einem Regalbrett zwei gleichgroße, halbmeterhohe Vasen, quadratischer Grundriss. Oder früher im Jahr, beim Umzug: Zwei schmale „Aneboda“-Schränke von IKEA stehen nebeneinander vor dem Umzugsauto, fertig zum Einladen. Mit der Schablone vom 11. September besteht die Welt aus World Trade Centern.   

3.  Der Terrorexperte

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


An dem Tag, als der Mörder Anders Breivik in Norwegen so viele Menschen erschoss, begann im Internet eine Debatte über den Beruf des „Terrorexperten“. In den Nachrichtensendungen hatten wieder die ernst blickenden Männer gestanden, die sich als „Terrorexperten“ vorstellen und die, frisch aus dem Schrank geholt, die Ereignisse in Norwegen einordnen sollten und doch nur wussten, wo Oslo ist. Die Terrorexperten hatten sich an diesem Tag so richtig unmöglich gemacht, weil sie immer noch von dem Skript abzulesen schienen, das damals, nach dem 11. September 2001 zum ersten Mal geschrieben worden war.

4.  Das Leben wankt

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Je länger man lebt, desto häufiger verwendet man "Großereignisse", um sein eigenes Leben in den Gesamtlauf der Dinge zu ordnen. Meistens lebt man irgendwie zwischen dem ersten Wimbledonsieg von Boris Becker und dem Eurovisionssieg von Lena dahin. Nur sehr wenige Begebenheiten haben diese "Krieg oder Frieden"-Wucht, die das Leben wirklich ins Wanken bringt. Im März dieses Jahres, als niemand wusste, wie die Dinge in Fukushima ausgehen würden, da war es wieder so weit. Und am 11. September war es, zum ersten Mal in meinem Leben, auch so. 

5.  Das verkehrte Datum

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Es hat damals ein paar Tage gedauert, ehe ich verstand, was das auf Englisch so cool dahingesagte und so symbolmächtig hingeschriebene Monsterkürzel „9/11“ bedeutet. Seit zehn Jahren weiß die ganze Welt, dass die Amerikaner sich ihr Datum andersrum aufsagen.  

6.  Die Vorstellung vom freien Fall

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Die schlimmsten Bilder vom 11. September sind jene, auf denen die Menschen springen. Sie fallen entlang der Stockwerke. Der Kopf denkt das Davor und das Danach und einen Moment lang meint man den Sog der Schwerkraft selbst zu spüren; als öffneten die Bilder eine Luke im eigenen Leben und der Fall würde beginnen. Ein paar Sekunden lang zieht etwas an den Muskeln und dann werden die Handflächen feucht: Der Kopf spielt die schlimme Vorstellung am eigenen Körper durch.  

7.  Die Erinnerungserschöpfung

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Die Gedenktage in den Jahren 2005 bis 2008 habe ich geschwänzt. Es ging nicht mehr. Ich war in jenen Septembern erinnerungserschöpft, ich brauchte eine Auszeit von den brennenden Bildern und war der mühsamen Ortsbegehungen derjenigen Journalisten überdrüssig, die sich „New York vor dem Jahrestag“ vorknöpften und immer wieder aufs Neue herausfanden, dass die New Yorker „wieder Mut“ gefasst hätten. Zum ersten Mal verstand ich, dass auch Erinnern eine Dosierung braucht.  

8.  Die Feuerwehrmänner

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Tatsächlich hat der 11. September meinen Blick auf den Feuerwehrmann verändert. Die Feuerwehr war mir ziemlich lange und vor allem als Ausrichter von Jubiläumsfesten ein Begriff. Das aus den USA importierte Pathos, der Wille, die Männer mit den Helmen zu Helden aufzubauen, imponierte mir. Ein klein wenig hat das Pathos abgefärbt. Wenn ich heute ein Feuerwehrauto auf dem Weg zum Einsatz höre, denke ich: Alles Gute! Und das sollte man sowieso viel mehr Menschen wünschen.    


Text: peter-wagner - Illustrationen: Katharina Bitzl

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