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"Alle Singles aufstehen!"

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Am Wochenende war ich auf einer Hochzeit. Manchmal werden auf Hochzeiten Spiele gespielt, und so war es auch am Samstag. Eines davon ging so: Braut und Bräutigam saßen nebeneinander, die Gesichter auf die Gäste gerichtet, die vor ihnen an den runden Tischen saßen. Hinter ihnen und für sie nicht zu sehen, strahlte der Beamer Sätze an die Wand, die mögliche Eigenschaften der Gäste beschrieben. „Alle, die mit der Braut studiert haben“, stand da zum Beispiel, oder „alle, die Braut oder Bräutigam schon mal vollkommen betrunken erlebt haben.“ Wer sich davon angesprochen fühlte, musste aufstehen, das Brautpaar musste dann raten, was die stehenden Menschen gemeinsam haben.

Ein bisschen unangenehm wurde das Spiel, als folgende Aussage an der Wand aufleuchtete: „Alle Singles“. Die, die sich dann von ihren Stühlen erhoben, taten es zum Teil mit einem gequälten Lächeln. Es stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben, dass es ihnen ein bisschen unangenehm war. Ein Mädchen, sie war etwa Ende 20, musste von ihren beiden Tischnachbarinnen in den Stand gezerrt werden.



Single zu sein kann sich falsch anfühlen. Als wäre dieser Zustand eine skurrile Vorliebe oder ein abseitiges Hobby, über das man nicht mit jedem redet. Ein Makel, den man nicht gerne herzeigt. Gerade auf einer Hochzeit, einem Fest, auf dem zwei Menschen feiern, dass sie für immer zusammen bleiben und eine Familie gründen wollen, bekommt das Singledasein einen unangenehmen Beigeschmack. Es steht plötzlich im Licht des strahlend weißen Heiratspomps, und dieses Licht ist keines, das Makel kaschieren würde. Es beleuchtet die ganzen kleinen Schattenseiten des Alleinseins gnadenlos, wie eine ganz helle Werbereklame. Das Brautpaar und die ganzen anderen Pärchen auf der Feier haben alles richtig gemacht, sagt diese Reklame. Die Singles dagegen sind noch nicht angekommen, sie haben noch niemanden gefunden, sind noch unvollendet. Diese Einstellung klingt auch auf anderen Familienfeiern oft durch. Unter meinen Cousins und Cousinen gab es irgendwann nur noch zwei, die nicht schon verheiratet waren oder wenigstens schon lange in einer Beziehung steckten und mit regelmäßigen Schritten in Richtung Heirat unterwegs waren. In jedem Gespräch mit irgendeiner Tante oder irgendeinem Onkel musste sie früher oder später die Frage beantworten, wie es denn bei ihr nun aussehe mit einem Mann.

Nach dem Spiel auf der Hochzeit hörte ich noch ein paar Scherze. Mit Augenzwinkern oder freundschaftlichem Schulterklaps erkundigten sich Nicht-Singles bei den Singles, ob denn wer dabei gewesen sei für sie, vorhin bei der Single-Frage. Ob der Single schon Vorbereitungen getroffen habe für ein späteres Anbandeln. Diese Nachfragenden gingen offenbar davon aus, dass der Zustand des Singledaseins sofort geändert werden müsse. Dass Singles quasi jede freie Minute und all ihre Energie darauf verwenden, endlich einen Partner zu finden und ihr ach so qualvolles Leben um eine Beziehung zu bereichern.

Auf diese Annahme muss es auch zurückzuführen sein, dass Singles auch sonst manchmal komisch behandelt werden. Das Single-Mädchen, das sich auf der WG-Party in der Küche angeregt mit einem vergebenen Jungen unterhält, wird von dessen Freundin als Konkurrentin wahrgenommen. Die wirft ihm oder ihr oder gleich beiden dann böse Blicke zu oder kommt aus ihrer Beobachtungsecke am Kühlschrank herüber, um sich in das Gespräch einzuklinken oder ihren Freund unter fadenscheinigen Vorwänden auf die andere Seite der Wohnung zu entführen. Das geht so weit, dass sogar Leute, die gar nicht Single, sondern nur mal ohne ihren Liebsten ausgegangen sind, als potenzielle Konkurrenten verscheucht werden.

In all diesen Erwartungshaltungen spiegelt sich die Realität unserer Zeit nicht ganz wider. Die sieht nämlich so aus: Die Singles werden immer mehr. Die Zahlen steigen seit Jahren an, und da sind sicher auch einige Menschen dabei, die sich diese Art von Leben genau so ausgesucht haben und ohne eine feste Beziehung ganz zufrieden sind. Die Vorstellung, dass jeder in Richtung Familie und ewige Partnerschaft strebt, ist ein Anachronismus. Bei Tanten und Onkels kann man es irgendwie noch verstehen, dass sie die Familie als einzige erstrebenswerte Lebensform verstehen. Die meisten von ihnen sind ein bisschen älter und ihre Wertvorstellungen konservativer. Dass aber junge Pärchenmenschen Singles als bemitleidenswerte Geschöpfe oder potenzielle Gefahr begreifen, ist doch etwas seltsam. Sie tun so, als wären sie Teil einer großen Mehrheit, die den richtigen Weg weiß, und behaupten, dass das Beziehungsglück das für alle erstrebenswerte Ziel ist. Dabei sahen die Singles auf der Hochzeit ziemlich zufrieden aus – wenn sie nicht gerade bei einem komischen Spiel aufstehen mussten und schräg angeschaut wurden.

Text: eric-mauerle - Foto: Gerti G. /photocase.com

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