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Alter Ego Amy

Text: instant_coffee_baby

Wir kennen uns schon ziemlich ewig. Erst mal haben wir irgendwann einmal vor hundert Jahren zusammen studiert. Und dann sehen wir uns seit einem halben Jahr drei mal pro Woche auf irgendwelchen Parties und reden ein bisschen und sagen „Hallo“ und ich denke jedes Mal, dass er sicher der hübscheste Mann ist, den ich kenne und dass man erst beim Reden merkt, dass er tatsächlich nicht schwul ist. Heute reden wir ein bisschen länger und gehen raus und trinken Bier vom Kiosk, in der letzten Zeit haben wir sowieso mehr geredet, ich war ja auch immer völlig weggeballert und plötzlich packt er meinen Unterarm und beißt hinein. Ich muss lachen, erkläre ihm aber, dass ich davon sicher einen blauen Fleck kriege, was er nicht glauben will und mich noch fester beißt und es tut richtig weh und ich werde kurz sauer und überlege, zu gehen, beiße dann aber erst mal zurück, aber in den Hals, dann sieht das nach peinlichem Knutschfleck aus, harhar. Er streicht meine Haare zurück, aber anstatt zu beißen, leckt er meinen Hals bloß und das ist natürlich recht angenehm und seine Hände wandern über meine durchlöcherte Strumpfhose und er grinst mich an, dieser schöne, schöne Mann. Jetzt holt er einen Flachmann heraus und da ist Wein drin, den trinke ich schnell leer und er meint, kein Problem, wir holen neuen, er wohnt ja über dem Club, unvorstellbar gut, stelle ich fest und vor, wie die Wohnung wohl aussieht und da sind schon die anderen beiden, sein Freund, den kenne ich und dieses Mädchen, das den Namen ruiniert, den ich eigentlich meiner Tochter geben wollte. Sie holen Wein und wir stehen draußen und da fängt er an, mich zu küssen, Schönster, was machst Du, aber schon oke eigentlich, es ist ganz nett und ich erkläre ihm, drinnen will ich nicht knutschen, weil in Clubs knutschen ist schwul, aber er meint, für ihn könnte ich vielleicht eine Ausnahme machen und da hat er natürlich recht, denn mit ihm kann ich prahlen. Also wird getanzt und geküsst und der Schöne und die anderen nehmen mich mit nach oben und wir trinken da Wein und ich checke das gar nicht, als der Eine plötzlich so ein Tütchen mit so einem weißen Pulver herausholt und es auf den Tisch streut. Ich gucke ein bisschen interessiert dabei zu, wie er es mit seiner Kreditkarte bearbeitet und ein Grinsen umspielt sein eigentlich hübsches, aber durch diesen Fieslingsausdruck kaputt gemachtes Gesicht, als er meinen Blick auffängt. Er fühlt sich ganz schön cool mit seinem Mehl da und jetzt steht mein schöner, schöner Junge auf und genehmigt sich ein Näschen und mir wird diese ganze Szenerie plötzlich bewusst, dieses dumme, dumme Mädchen, das die beiden anhimmelt und dieser Typ mit der Kreditkarte, der sich so unendlich toll vorkommt und der schöne Mann, der vielleicht nicht mit seiner Schönheit klarkommt oder was weiß ich und sie sind doch eigentlich alle erwachsen. Ich stehe heftig schwankend auf, mein Mund wird ganz trocken und meine Augen heiß und das Gelächter der anderen klingelt noch in meinen Ohren, als ich längst die Treppe heruntergerannt bin und mir keuchend die Arme in die Seiten stemme und diesen schalen Geschmack im Mund auszuspucken versuche. Aus diesem Flachmann habe ich getrunken von diesem viel zu schönen, viel zu dummen Typen. Am nächsten Tag ist mein ganzer Arm blau und mein Kopf schwer und ich fühle mich so unendlich alt. Alter macht weise.

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