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Der Schwarm vom Glockenbach

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Mit einem Ruck hebelt Daniel den Deckel seines Bienenstocks an. Er schiebt die darunterliegende Schutzfolie beiseite und zieht einen mit Wachs bespannten Holzrahmen heraus. Honigduft steigt empor, warm und karamellartig. Bienen schwirren ziellos umher, einige entfernen sich in Richtung des nebenan plätschernden Glockenbachs. „Perfekt! Den zweiten Kasten habe ich erst gestern Abend aufgestellt und er wird schon problemlos angenommen“, freut sich Daniel. In pelzigen Trauben krabbeln Hunderte Bienen über die Wachsflächen und arbeiten an unzähligen Waben, die sie später mit Nektar, Pollen und Brut befüllen werden.

Daniel Überall ist 33 Jahre alt und Hobbyimker – mitten in der Stadt. Sein Bienenstock befindet sich im Hinterhof eines Büros im Münchner Glockenbachviertel. Daniel ist das Gegenteil des 65 Jahre alten, auf dem Land ansässigen deutschen Durchschnittsimkers. Er verkörpert ein globales Phänomen: In Städten wie Tokyo, New York, Paris oder Berlin setzt sich seit einigen Jahren eine nicht anhaltende Begeisterung für selbst produzierten „Stadthonig“ durch. Junge urbane Menschen sehnen sich nach ökologisch korrekt produzierten Lebensmitteln und werden zu „Rooftop Beekeepern“. Sie stellen Bienenstöcke auf Dachterrassen, freie Rasenflächen oder Schrebergärten mitten in der Stadt. Stadtimker gab es schon immer. Neu ist, dass sie nicht mehr nur in Randgebieten der Stadt tätig sind. Und neu ist vor allem, dass sie jung sind.
 
In München ist die Kultur des urbanen Imkerns noch verhältnismäßig klein. Im Großraum München gebe es gut 250 Imker, erzählt Daniel, er selbst sei aber noch der jüngste unter ihnen. Richtig zentrale Stadtbienen gibt es bisher nur am Gasteig, am Nymphenburger Schloss, im Englischen Garten und am Schyrenbad. Daniel ist es wichtig, das Stadtimkern in München zu fördern. Projekte vom Gasteig wie „München summt“, wo Bienenstöcke auf markante Gebäude gestellt werden, findet er unterstützenswert. „In Berlin interessiert es halt keine Sau, was du auf dem Dach machst. Hier hättest du wahrscheinlich gleich eine Nachbarschaftsklage am Hals – das läuft alles etwas zäher.“

Daniel Überall ist studierter Kommunikationswirt und arbeitete jahrelang in einer Werbeagentur, bis er sich vor einiger Zeit als Mitgründer der Nachhaltigkeitsplattform utopia.de für die Umwelt einsetzte. Sein Interesse für Bienen entdeckte er vor gut zweieinhalb Jahren, als er einen Freund auf seinem Bauernhof am Kochelsee besuchte. Er recherchierte und stieß auf die Rooftop Honey Beekeeper in New York. „Als alter Marketingfuchs dachte ich im ersten Moment natürlich: Das muss ich hier etablieren, so richtig groß: Biohonig aus der Stadt, von jungen Imkern, Premiumprodukt und so weiter.“ Ein ganzes Konzept schrieb Daniel damals in seiner Begeisterung herunter. Zeit, es umzusetzen, fand er leider nie. „Heute gibt es das in Berlin in etwa so, wie ich es mir damals vorgestellt habe“, erzählt er und meint die Plattform berlinerhonig.de. Erst vor einigen Monaten fand er die Ruhe, seiner Bienenbegeisterung Raum zu geben. Über den Winter las er sich ein, im Frühjahr belegte er einen Imkerkurs und im April kaufte er seinen ersten Stock. Der steht in Obermenzing, wo Daniel mittlerweile lebt. Auf einen Ableger im Glockenbachviertel, seiner ehemaligen Wahlheimat, wollte er aber nicht verzichten. Ein bis zwei Mal die Woche fährt er in die Stadt um bei den Bienen nach dem Rechten zu sehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Die naheliegende Annahme, Stadthonig müsste dreckig sein, ist übrigens Quatsch, betont Daniel. Abgase und Feinstaub können dem Honig selbst nichts anhaben, die Bienen schwitzen sie durch das Wachs aus. Und Pestizide auf Pflanzen sind in der Stadt die absolute Ausnahme. „Wer spritzt schon seine Balkonpflanzen“, fragt er. Außerdem bietet die Stadt eine unvergleichliche Artenvielfalt, die es so auf dem Land schon lange nicht mehr gibt.

Sein erstes Glas Honig hat Daniel in diesem Jahr schon geerntet. Das war für ihn Motivation genug, um beim Imkern zu bleiben. Als der nächste Hipstersport taugt das Imkern allerdings nicht. „Wenn du einmal ins Imkern und in die Funktionsweise von Bienenvölkern reinschnupperst, öffnet sich ein Universum. Das taugt nicht als kurzer Hype wie diese Langustencubes, die es gerade überall im Baumarkt gibt und wo du kurz daheim ein paar bunte Minikrebse züchten kannst“, sagt er. Dass er damit Recht hat, ist kaum zu leugnen: Er kann von Bienen sprechen, bis einem als Zuhörer ganz schwindlig wird. Von der genauen Hierarchie im Bienenstock, dem sonderbaren Leben der Bienenkönigin, der Kommunikationsform Schwänzeltanz bis hin zu dem Phänomen Schwarmbereitschaft - Daniel steht in seinem kleinen Bienengarten vor dem Bach und erzählt, als gäbe es kein Morgen.

Bienen gelten übrigens nicht als Haustiere. Man darf Bienen auf seinem Balkon oder auf seinem Fleckchen Hinterhofgarten theoretisch also auch dann halten, wenn die Hausordnung ein Haustierverbot vorsieht. Die Frage ist, ob man den Ärger riskieren will – und ob man Platz hat. „So romantisch das klingt, aber ein Balkon ist einfach zu klein, um Bienen zu halten. Das würden nur Idioten machen“, sagt Daniel. Seine zwei Völker, die vor dem plätschernden Glockenbach aufgebockt stehen, nehmen so viel Raum ein wie ein großzügiger Küchentisch. Wenn Daniel daran arbeitet, nimmt er die Deckel ab, lehnt sie gegen den Gartenzaun – er braucht Platz für seine Gerätschaften und schließlich auch Bewegungsfreiheit. Da eignet sich eine geräumige Dachterrasse viel besser als ein Balkon – und die ist in München im Gegensatz zu Berlinoder New York leider Mangelware.

Einen zentralen Laden oder Onlineshop, der Münchner Stadthonig verkauft, gibt es noch nicht. Derzeit arbeitet Daniel aber daran, die Adressen aller Münchner Imker, die ihren Honig verkaufen, auf seinem eigenen Blog stadtimker.de zusammenzutragen. Wer bis dahin schon einmal neugierig ist, erfährt auch auf der Plattform heimathonig.de einiges über die Münchner Honigverkaufsstellen.

Das weltweite Bienensterben hat sich durch den Trend des urbanen Imkerns noch nicht signifikant verbessert. “Dafür aber das Imkersterben“, sagt Daniel. Behutsam hängt er den bienenbesetzten Rahmen jetzt wieder in den Kasten und hebt den Deckel darauf. Ein paar Meter weiter an einem Gartentisch zieht er sich seinen Schutzanzug aus. „Vor zwei Jahren haben mich die Leute noch angeschaut wie einen Freak, wenn ich von meinen Imkerträumen erzählt habe. Heute sagen sie: Ja stimmt, Bienensterben ist ein wichtiges Thema, toll dass du das machst!“ Selbst fremde Gartenbesitzer sprechen Daniel an, ob er bei ihnen ein Volk aufstellen will. Sie haben es satt, zunehmend mit dem Staubwedel von Baum zu Baum rennen zu müssen, um die Blüten zu bestäuben. „Die Imkerkurse bei meinem Verein hatten bis vor kurzem nie mehr als 15 Teilnehmer pro Kurs, mittlerweile sind es oft über 60. Nicht alle wollen Imker werden. Aber die Leute interessieren sich eben wieder. Das ist schon mal der erste Schritt!“

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