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Aufstieg und Fall des Handyprolls

Text: klaasen

So schnell wie das Handy sich durchsetzte, änderte sich auch der Wortschatz. Mittlerweile heißen die meisten Handys Smartphones und auch das oft geringschätzig verwendete Wort vom Handyproll ist aus der Mode gekommen. Warum bloß?



Als ich in die siebte Klasse ging, habe ich, wenn ich mich mit meinen Freunden zum Kicken verabredete, das Festnetztelefon benutzt. Das war 1996. Meistens rief dann Philipps Mutter am anderen Ende des Hörers in schriller Stimme, jedesmal wieder unerwartet laut und, wie ich fand, unerwartet aggressiv vom Flur die Treppe hinauf ins Kinderzimmer mehrere Male den Namen ihres Sohnes, bevor man mit diesem dann schnell einen bestimmten Zeitpunkt am Tag zum Spielen auf dem Sportplatz hinter der Schule ausmachen konnte. Manchmal kamen Philipp und unser Kumpel Nils auch einfach so vorbei, klingelten und holten mich ab. Nils im Dortmund, Philipp im Werder-Trikot und dann ging es los. Handys? Kannten wir nicht, brauchten wir nicht.



Wobei, jeder hatte irgendjemanden in der Familie, der bereits ein Handy besaß. Und das faszinierte uns natürlich alle. Wenn mein Onkel zu Besuch war und stolz wie Oskar sein monströses Telefongerät präsentierte, ließ er  meine Eltern vom Festnetz aus bei ihm anrufen. Und dann stand auf dem Display nicht „Anruf“ oder unsere Festnetznummer. Nein, faszinierenderweise stand dort dann „Britta“, der Name meiner Mutter. Wir standen erstaunt mit leuchtenden Augen da und mein Onkel sonnte sich darin. Das ging eine Weile so weiter. Und als wir durchschauten, dass es sich um reine Angeberei handelte, hätten wir gern schon das Wort „Handyproll“ gekannt, um es für ihn zu benutzen. Nichts wäre offensichtlicher gewesen: Mein Onkel war ein Handyproll.



Bald aber hatten sich auch meine Eltern ein Handy besorgt und wenn ich mal mit Freunden unterwegs war oder abends begann, bei Freunden erste alkoholische Erfahrungen zu sammeln, dann durfte ich das Handy mitnehmen – falls etwas passiert.  Ich habe mich nie getraut damit anzugeben, weil ich ja nicht behaupten konnte, es sei mein Handy. Spätestens in der Schule, wohin ich es natürlich gar nicht erst mit hinnehmen durfte, wäre der Schwindel aufgeflogen. Aber Michi hatte so ein Handy. Zum Geburtstag hatte er das bekommen. Und natürlich standen wir in der Pause alle um ihn herum versammelt und er ließ ab und an gönnerisch engere Freunde das Handy mal begutachten oder Spiele darauf spielen. Er hielt es in jeder freien Minute so, dass es jeder, selbst der es nicht gewollt hatte, hat sehen müssen. Michi war ein Handyproll.



Handyproll. Na also. Das Wort machte so schnell die Runde, dass wir es noch für Michi verwendeten, bevor auch Dennis ein Handy bekam und ebenfalls ein Handyproll wurde. Dennis wurde sogar ein solcher Handyproll, dass er während des Unterrichts auf Michis Handy anrief. Michi hatte es natürlich nicht ausgeschaltet, bekam großen Ärger vom Lehrer, der selbst noch kein Handy besaß und es wahrscheinlich deshalb erst einmal einkassierte und, wie wir mutmaßten, im Lehrerzimmer Spiele darauf spielte. Aber im Prinzip war das alles ja noch harmlos. Die Zeit verstrich, bald hatten die meisten von uns Handys. Michi und Dennis waren längst Normalos unter unzähligen Handybesitzern. Wir verabredeten uns nun nicht mehr zum Kicken, sondern zum Feiern. Nur machten wir das nun nicht mehr über das Festnetz sondern über das Mobilfunknetz. Logisch. Wir waren einfach Handynutzer und versuchten dabei keine Prolls zu sein.



Der nächste Entwicklungsschritt des Handys – der polyphone Klingelton und die sich anschließende mp3-Tauglichkeit -  änderte auch die Vorstellung vom Handyproll ein wenig. Mittlerweile studierten wir, hielten uns für seriöse und beschäftigte Menschen, wenn wir in der Öffentlichkeit telefonierten und beäugten statt dessen die neuen Fünfzehnjährigen, die in der Straßenbahn zu fünft in der Vierer-Sitzgruppe saßen und über  das Handy des Coolsten aus der Gang die neusten R’n’B- oder Gangstarap-Hits hörten. Aus einem winzigen Lautsprecher drangen schrille, völlig übersteuerte und völlig undefinierte Töne, die die Songs noch schlimmer machten, als sie ohnehin schon im Radio geklungen hätten. Die kleinen Prolls erinnerten ein wenig an das, was wir als Kinder noch von den merkwürdigen Typen mit bunten Haaren und zerschnittenen Jeans am Marktplatz in Erinnerung hatten, die mit ihren mächtigen Ghettoblastern über der Schulter laute Gitarrenmusik mit schreienden Stimmen hörten, die unsere Eltern halb entsetzt, halb belustigt, Punks nannten. Nun ging es wieder mal um Rebellion durch laute und in den Augen der umstehenden bzw. sitzenden Straßenbahnfahrenden fiese neumodische Musik. Und Handyprolls waren jetzt definitiv die anderen. Nicht wir. Wir selbst besaßen einfach welche und benutzten sie, wenn es nötig war – der eine mit einer ein wenig mehr Wichtigkeit, als der andere, der nächste wiederum benutzte es kaum.



In der Zwischenzeit verstanden wir nicht, warum wir statt unserer Digitalkameras mit der guten Auflösung nun doch besser die in den Handys integrierten Kameras mit der miserablen Auflösung benutzen sollten, kauften sie uns dennoch, weil es kaum andere zu kaufen gab und empfanden nun diejenigen Menschen als Handyprolls, die ihr Handy zum fotografieren in die Luft hielten und „mal eben schnell“ nebenbei Bilder schossen. 



Aber Vorsicht. Wie nach all den Neuerungen und Entwicklungen kam nun das Smartphone auf den Markt: Prima Kameras, ordentlicher mp3-Speicher und, na klar, um den greisen Kalauer zu bemühen, man kann damit auch telefonieren. Haha.



Und wir mal wieder: Zunächst entsetzt, ob all der Rastlosigkeit, seine E-Mails noch schnell in Businessmanier beim Brötchen kaufen begutachten zu müssen; die geballte Aufmerksamkeit missgönnend, mit der nun vermehrt die ganz normalen Menschen einen Hauch von Wichtigkeit in ihr ganz normales Leben versuchten zu befördern.



Aber die Wahrheit liegt auf dem Platz und wir alle spielen mit. Der Markt schmeißt uns die Dinger hinterher, wir können nicht anders, wir wollen auch nicht anders, wir knicken immer wieder ein und kaufen uns jetzt: ein Smartphone. Wieder haben wir aufgeschlossen zu den Vorreitern, zu den Technikfreaks der ersten Minuten. Noch sträuben wir uns, zücken das monströse und doch elegante Gerät nur scheu aus der Tasche, um zu demonstrieren: Eigentlich sind wir ganz normale Handynutzer und keine Handyprolls. Aber das Wort hat sich verflüchtigt, es ist nutzlos geworden, wir brauchen es nicht mehr. Wir alle nutzen längst das Handy mit der Attitüde des einstigen Prolls und wir sehen keinen Grund darin, das schlimm zu finden. Deswegen haben wir das Wort aus unserem Wortschatz gestrichen. Prolls sind immer nur die anderen. Nicht wir.

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