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Das Wartezimmerbett

Foto: Don Espresso / photocase.de

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Ich habe mich daran gewöhnt, dass mein Freund zwei Nächte in der Woche arbeiten muss. Seine Schicht beginnt zwischen acht und zehn, das Ende bestimmen die Stammgäste der Bar, die auch nach dem siebten Cuba Libre meist noch nicht nach Hause gehen möchten. Genauso habe ich mich daran gewöhnt, dass ich in diesen Nächten zuhause schlafe.

An diesem Abend habe ich mir allerdings vorgenommen zu bleiben, alleine in seinem Bett einzuschlafen. Das gemeinsame Abendessen liegt noch schwer im Magen und ich bin kein bisschen traurig, als mein Freund sich verabschiedet, um in die Arbeit zu gehen. Es regnet, der kalte Wind zieht durch die Straßen und ich bin froh, dass ich heute nicht mehr vor die Türe muss, um in meine Wohnung zu fahren. Ein Abschiedskuss, eine geschlossene Zimmertüre. Die Haustüre fällt ebenfalls ins Schloss, ich schnappe mir sofort das Laptop und freue mich darauf, genau das zu tun, was ich zu Hause auch machen würde: Ein bisschen zu viel Zeit im Internet verplempern.

So blöd sich das anhört, aber es macht nicht so viel Spaß. Seine Lesezeichen gleichen meinen nicht einmal annähernd, sein Laptop merkt sich meine Passwörter auch nach wiederholtem Eingeben nicht und hier habe ich nicht einmal alte Fotos, die ich mir vor Langweile ansehen könnte. „Aber ich könnte mir seine Fotos...“, den Gedanken verwerfe ich aber ebenso schnell weg, wie ich ihn mir zusammengereimt habe. Gut, dann müssen sämtliche Blogs und Klamottenseiten wohl heute abend auf mich verzichten.

Das Regal ist voll mit Büchern, einige davon sind gut und ich wollte sie schon immer einmal lesen und bin doch nie dazu gekommen. Ich ziehe mir also ein Buch aus der Regalwand und schlage die erste Seite auf. Schnell merke ich, dass irgendetwas fehlt: Ein Joghurt, Schokolade oder irgendeine andere Kleinigkeit, die ich gerne nebenher esse. Der Kühlschrank hält leider außer alter Milch und Fleisch nicht viel für mich bereit und um mir etwas Süßes zu besorgen, müsste ich vor die Türe und das war nun wirklich nicht der Plan für heute Abend.

Die ersten Seiten des Buches gehen auch ohne Gummibärchen gut, doch schon schnell findet sich jemand anderes, der mich von einem schönen Leseabend abhält: sein Mitbewohner. Musik hören, während man duscht, ist die eine Sache. Dermaßen lauten Techno laufen lassen, dass man nicht einmal mehr das Wasser aus dem Duschkopf hört, eine ganz andere. Naja, das Buch war sowieso nicht so spannend.

Ich rauche eine Zigarette und überlege, was ich noch machen könnte, ohne gelangweilt vor dem Fernseher zu enden. Eigentlich ist doch alles hier, was ich Zuhause auch habe: Zeitschriften, Bücher, Internet und Filme. Dinge, mit denen man sich die Zeit vertreiben und abschalten kann, doch irgendwie scheint mir letzteres partout nicht zu gelingen und ich ahne schon, was das eigentliche Problem an der ganzen Sache ist: ich warte.

Es fühlt sich an, wie im Wartezimmer des Zahnarztes auf dem Plastikstuhl hin und her zu rutschen: unbequem, aufgekratzt und niemals endend. Ich kann mich gar nicht zu Hause fühlen, mich bequem ins Bett legen und vergessen, wo ich eigentlich gerade bin, denn bei jedem Schritt, der aus dem Hausgang zu hören ist, bei jedem Schlüsselklimpern und Lichtschaltergedrücke hoffe ich, dass es mein Freund ist, der endlich nach Hause kommt.

Etliche Zigaretten und Internetversuche später, sehe ich ein, dass es wohl keinen Sinn mehr hat zu warten und lege mich ins Bett. Neben zu vielen Kissen und einer schlechten Dokumentation schlafe ich letztendlich ein, träume viel und wache nicht einmal mehr auf, als mein Freund nach Hause kommt. Am nächsten Morgen ärgere ich mich, möchte ihn allerdings nicht wecken und entschließe: Wenn er das nächste Mal nicht alleine nach der Arbeit einschlafen möchte, dann kann er doch genauso gut zu mir kommen.

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