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„Eine Tarnkappe ist im Prinzip machbar“

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jetzt.de: Herr Leonhardt, wie weit ist die Forschung auf dem Gebiet der Unsichtbarkeit? Kann man schon ein Auto verschwinden lassen, oder ist es doch eher die Stecknadel?
Ulf Leonhardt: Es ist nicht unbedingt ein Problem der Größe. Es ist nur die Frage, was wir unter dem „Verschwinden lassen“ verstehen. Man kann einen Gegenstand, der voluminös ist, flach erscheinen lassen. Und damit kann man ihn quasi in seinem Untergrund verschwinden lassen. Das ist die Art von Unsichtbarkeit, die auf jeden Fall funktioniert – und zwar momentan bis zu Größen von etwa einem halben Zentimeter.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Vieles, was in Romanen wie "The Invisible Man" über Unsichtbarkeit steht, sei "von der Grundidee richtig", sagt Ulf Leonhardt.

Flach erscheinen lassen – können Sie das Prinzip noch mal genauer erklären? Wenn man durch ein transparentes Material wie zum Beispiel Glas oder Wasser schaut, erscheint einem die Welt oft etwas anders. Bei Linsen zum Beispiel werden Sachen verformt. Ähnliche Effekte kann man auch mit einem Material erreichen, das Dinge nicht wie eine Linse in ihrer Größe optisch verändert, sondern die Proportionen des Raums verschiebt. Man lässt den Gegenstand flach erscheinen – so flach, dass er mit seinem Untergrund eins wird, dessen Farbe annimmt und man ihn nicht mehr sehen kann. Es ist quasi eine Mischung aus Camouflage und Unsichtbarkeit.

Was sind das denn für ominöse Materialien, die da verwendet werden?
Eigentlich sind das sogar recht gewöhnliche Materialien – relativ unspektakulär. Im letzten Experiment, das dazu veröffentlicht wurde, hat man Kalzit verwendet. Ein Material, das schon lange bekannt ist – nichts Außergewöhnliches.

Und was macht man dann mit dem Material? Den Gegenstand damit einreiben? Nicht ganz. Man muss das Material um den Gegenstand, den man verschwinden lassen will, anbringen. Man muss ihn sozusagen einkleiden. Aber das Ganze ist relativ massiv – man kann sich das nicht als den dünnen Unsichtbarkeitsmantel vorstellen, das ist schon ein ordentliches Stück Kristall, das den Gegenstand umgibt. Und dieser Kristall verändert die Perspektive, die optische Erscheinungsform des Gegenstandes.  

Mal theoretisch: Wenn ich das jetzt mit meinem Auto machen wollte – könnte ich dann überhaupt noch fahren?
Das Auto könnte man schon noch bewegen. Aber ein Stück des Autos wäre eben das Unsichtbarkeitsgerät, wie eine dicke Panzerschicht um die Karosserie herum – die müsste man natürlich mitbewegen.

Und wann kann man einen Menschen unsichtbar machen, mit einer Art Mantel, in den man hineinschlüpft?
Theoretisch ist vieles denkbar. Es ist nur die Frage, was davon praktikabel sein wird. Das ist sehr schwer vorauszusagen. In der näheren Zukunft wird das nicht machbar sein. Ich will mich da nicht festlegen. Nur so viel: Für Forschungsvorhaben sind gängigen die Standardzeiträume ein Jahr oder fünf Jahre. Fünf Jahre heißt schon: Das ist ein anstrengendes Projekt, und man weiß nicht so genau, was dabei herauskommt – aber es ist im Prinzip machbar. Bei Projekten, die länger als fünf Jahre dauern, kann es sein, dass etwas erreicht wird, aber es kann auch sein, dass gar nichts herauskommt. Einen Menschen unsichtbar zu machen, gehört definitiv in die letzte Kategorie.

Was sind denn denkbare Anwendungsbereiche für solche Forschung?
Das Militär interessiert sich natürlich brennend dafür. Ich hatte vor zwei Jahren mal Besuch vom britischen Verteidigungsministerium. Die wollten im Prinzip nur zwei Dinge wissen: Kann es sein, dass feindlich gesinnte Staaten in der Lage sind, diese Technologie zu erwerben? Die Antwort war Nein. Und die zweite Frage war, ob sie diese Technologie selber erwerben können. Die Antwort war wieder nein. Ich habe mich aus dieser Ecke immer rausgehalten. Aber kurz gesagt: Das Militär ist an solcher Forschung interessiert, auch weil sich mit ihren Erkenntnissen viele andere Dinge verbessern ließen. Tricks, die die optische Erscheinung eines Gegenstandes anders aussehen lassen als seine wirkliche Form, kann man auch auf Radar, Radiowellen und andere Dinge übertragen.  

Gab es noch weitere Anfragen?
Die Kosmetik-Industrie war uns gegenüber auch sehr aufgeschlossen. Die sind natürlich stark interessiert an Optik – klar, es geht bei denen ja um nichts anderes als das äußere Erscheinungsbild.

Die hoffen also, Pickel und Falten verschwinden zu lassen?
Zum Beispiel. Eine Unsichtbarkeitscreme oder so etwas. Viele Cremes greifen ja ziemlich massiv in den Stoffwechsel der Haut ein. Wenn man den schönen Schein auch anders erwecken könnte, wäre das natürlich interessant für die Kosmetikindustrie. Aber auch das ist noch Zukunftsmusik.  

Sind Sie eigentlich ein Exot unter Forschern?
Als ich damit angefangen habe, war ich sehr allein. Die ersten zwei Arbeiten wurden 2006 im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht. Sie schlugen ein wie eine Bombe, und danach ist ein Riesengebiet mit mittlerweile mehr als tausend Arbeiten entstanden. Dadurch ist das Gebiet ein bisschen etabliert worden. Ich bin aber glaube ich trotzdem in meiner Denkweise immer noch ein Einzelgänger. Ich bin nicht der typische Physiker, der Militärforschung macht. In dem Sinne bin ich vielleicht ein Exot.  

Wie reagieren Leute, denen sie sagen, was sie beruflich machen?
Die finden das faszinierend. Im Flugzeug überlege ich mir immer schon vorher, was ich sage, wenn mich mein Nachbar fragt, was ich mache. Wenn ich in Ruhe gelassen werden möchte, sage ich: ‚Theoretische Physik’. Wenn ich Lust habe, mich zu unterhalten, erwähne ich das Wort Unsichtbarkeit. Meistens interessiert das die Leute.  

Was würden Sie als Forscher denn sagen, warum Unsichtbarkeit so wahnsinnig faszinierend auf uns wirkt?
Optik generell ist faszinierend, weil sie nicht so abstrakt ist. Den Akt des Verschwindens eines Gegenstands kann man sich sofort vorstellen. Das ist im Prinzip Wissenschaft, die mit dem Alltag und den Vorstellungen von Menschen viel zu tun hat. Das ist das eine. Und zum anderen hat natürlich jeder schon mal den Wunsch gehabt, sich zu verdünnisieren. Das will jeder können. Das Fantastische und das Alltägliche kommen hier also zusammen.

Es gibt ja viele Filme und auch Literatur, die Unsichtbarkeit thematisiert. Wie richtig oder falsch liegen die eigentlich mit ihren Vorstellungen von Unsichtbarkeit?
Das ist in vielen Fällen von der Grundidee richtig. Vieles, selbst eine Tarnkappe, die einen verschwinden lässt, ist im Prinzip machbar. Es ist nur unheimlich schwierig, sie herzustellen. Aber es ist im Prinzip möglich, und man kann sagen, was man bräuchte, um so etwas herzustellen. 



Text: christian-helten - Foto: privat

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