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di(e)ary

Text: nothingmatters

Die Pornohefte hatte er schon allesamt entsorgt, Filme hatte er schon lange nicht mehr, dank Internet fand hier schon vor vielen Jahren eine Wachablösung statt.



Niemand sollte hier so etwas finden.



Seine Wohnung befand sich in einem dermaßen aufgeräumten Zustand, dass er sie kaum wiedererkannte.



Seine einzige Pflanze hatte er am morgen entsorgt, sie war ein Geburtstagsgeschenk vor 1 ½ Jahren, er goss sie sehr unregelmäßig, wobei das nicht ganz stimmte, regelmäßig wenn sie die Blätter wie tot hängen ließ füllte er sein größtes Glas mit Leitungswasser und belebte das grüne Etwas. Er war immer wieder aufs Neue überrascht, wie schnell sie wieder alles was sie hatte gen Norden streckte.



Er wäre gern so einfach gestrickt wie diese Pflanze deren Namen er nicht kannte.



Das große Plattenregal war leer, es wirkte wie grad aufgebaut, bereit mit Büchern, Platten, CDs, oder was auch immer, befüllt zu werden.



Er hat jede einzelne Scheibe verkauft, viele einzeln bei Ebay und den Rest als Gesamtpaket für einen Preis der ihm viel zu gering schien, aber er schaffte es, auf einen Summe zu kommen, die all seine Schulden beglich.



Er hatte sich mal geschworen, niemals einen Tonträger zu verkaufen, nur in Ausnahmefällen brach er diese Regel. Manche hatte er doppelt, da konnte er sich gut von einer trennen ohne sich schlecht zu fühlen.



Und als er  Kraftwerks Radioaktivität als Originalvinyl inklusive limitierter Aufkleber mit dem Radioaktivitätslogo auf dem Trödelmarkt für 4,50 € erstand um sie dann eine Woche später für rund 150 € in die Schweiz versteigerte, auch da hatte er keine Gewissensbisse.



Er verstand nie wie Freunde ihre komplette Sammlung auflösten, weil sie ja jetzt alles schön digitalisiert auf ihrer Festplatte oder Ipod zur Verfügung hatten.



Er sah das als Verrat am Medium an, er liebte es ins Wohnzimmer zu gehen, oder auf dem Sofa zu sitzen und zum Regel zu schauen, er hatte eine recht ordentliche Sammlung von ca. 2000 Schallplatten und CDs.



Aber jetzt waren sie weg und er brauchte sie nicht mehr.



Nur eine hatte er behalten.



Er saß an seinem Küchentisch, vor ihm ein großer Berg geschriebener Briefe.



Meist waren die Worte versöhnlich, positiv, er hatte es sich in seinem Leben mit einigen Personen verscherzt und wollte abschließend damit aufräumen. Es erschreckte ihn wie oft er seine Schuld eingestehen musste und konnte, es gab wohl nun keinen Grund mehr sich selbst etwas vorzumachen, so eine Art seelischer Kassensturz.



Seinen Freunden beschrieb er die schönsten Momente und was sie für wundervolle Menschen waren und wie sehr er sie alle liebte.



Und dass es ihm leid tat.



Sehr.



Er wollte nicht daran denken, was ihm alles fehlen würde, nicht schon wieder wollte er kneifen. In seinem Leben hat er immer wenn es drauf ankam den Schwanz eingezogen, dieses mal würde es anderes sein. Ganz sicher.



Seine Mutter starb Anfang des Jahres, ganz plötzlich, was gut für sie war, aber der schlimmste vorstellbare Schmerz für ihn.



Ihr Dasein hielt ihn am Ufer, das Leben als Meer.



Er hätte sich niemals vorstellen können ihr das zu Lebzeiten anzutun.



Er stand auf und ging ins Bad, nahm den Eimer, füllte ihn mit heißem Wasser, gab die Billigvariante eines Bodenreinigers hinein, nahm den Wischmob und putzte das Treppenhaus.
Er wohnte schon zwei Jahre hier, nun putzte er zum dritten mal.



Er war so ungewohnt organisiert in diesen Tagen, Strom, Internet, Telefon und Fernsehen hat er schon gekündigt, er hatte alle seine Sachen sortiert und in Kartons gepackt, jeder war mit einem Namen gekennzeichnet, er machte gern Geschenke und das hatte auch etwas davon.



Bereit für die große Reise, alles bleibt zurück.



Dinge die er nicht mehr brauchte und auch nicht verschenken wollte gab er beim Caritas-Trödelladen in der Nachbarstraße ab, sie waren sehr erstaunt und hocherfreut.
Diese Reaktion ließ ihn genau sechs Minuten und dreiundzwanzig Sekunden gut fühlen.



Ein Stockwerk tiefer stellte er zwei frisch gespülte Teller vor die Tür seiner netten Nachbarin, manchmal legte sie ihm Muffins oder ein Stück Kuchen vor die Tür und schrieb ihm dann eine SMS, dass er doch mal nachschauen solle.



Er war für eine Woche verliebt in Sie, gestand sich dann aber ein, dass es das Gefühl ist, welches er begehrte und nicht die Person.

Er ging durch die Wohnung und schaute sich noch einmal um.

Im Bad schaute er sich einige Minuten im Spiegel an, er drehte den Hahn für kaltes Wasser an und hielt seinen Kopf darunter. Dann trocknete er sich die Haare nur leicht ab, nahm eine Bürste und kämmte sich die Haare zurück, er fühlte sich kurz wie Elvis dachte er.



Er schlich mit schwachen Beinen ins Wohnzimmer, sein Blick war getrübt.



Er griff sich die letzte verbliebene Schallplatte, -the world won´t listen- stand drauf, Seite B, erstes Lied, er legte die Nadel auf.



So hatte er sich das immer vorgestellt, seitdem er es zum ersten mal hörte.



Er legt sich auf den Boden, hörte nur noch dumpf die gesungenen Worte.



 



 



 



 



 



 



…………….don´t feel bad for me, i want you to know………



 



 



 



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