Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Ein Brief an dich, dein Verständnis und deinen Bauch

Text: 123_321
Meine Liebe,

ja, ich würde das immer noch schreiben, denn eigentlich war ich der Meinung, dass unsere Freundschaft trotz dem erst so lockeren Kontakt, dann dem aus-den-Augen-verlieren und den normalen Knatschereien doch noch so gut ist, dass ich sage, meine Liebe.
Also:


Meine Liebe,

ich habe (und das tue ich immer noch) mich verdammt für dich, euch und mit dir, euch gefreut, als du endlich die Erklärung für dein ewiges Nicht-Melden, Nichts-Sagen und Nichts-Unternehmen gegeben hast. Schwanger sein ist doch toll, und dann kannst du doch auch wirklich sicher sein, dass du von mir (wie es sich eben bei Freundinnen gehört) die Unterstützung bekommst, die du brauchst. Es wäre natürlich ein bisschen einfacher gewesen, deine ganzen Zickereien und seltsamen Verhaltensweisen der letzten Monate besser zu verstehen, wenn du nicht erst jetzt, wo es nicht mehr anders geht (weil für jeden Blinden ersichtlich wenn er dich anschaut...), etwas gesagt hättest, aber gut, da will ich kein Fass aufmachen und das ist auch alles gut so.

Dass sich das alles jetzt ganz anders anfühlt, sich alles anders darstellt und alles von einem auf den anderen Tag eben einfach komplett über den Haufen geworfen ist, das ist mir schon klar. Und da kommt jetzt der erste Appell an dein Verständnis - denn ich finde, nicht nur du als Schwangere darfst sagen: ICH WILL VERSTÄNDNIS! ICH WILL ICH WILL ICH WILL! Nein, ich finde, auch die, für die sich nichts geändert hat außer eine Freundin von mir ist schwanger, auch die dürfen sagen: Ich bin immer noch der Mensch, der ich vorher war, ich bin immer noch die gleiche Person, die ich vorher war, und ich will immer noch genauso behandelt werden, wie ich vorher behandelt wurde. Denn das vorher impliziert schon wieder, dass du dich mit deinem Bauch in den Mittelpunkt gedrängt hast, denn ohne den würde es kein vorher geben. Also auch ich darf sagen: Ich will Verständnis. Und ich sage es dir so, wie ich dir sonst immer gesagt habe: Gehen wir ins Kino? Eben wie etwas ganz selbstverständliches.

Komisch ist aber, dass du sofort und bei jedem Satz einen persönlichen Affront, eine persönliche Kränkung und eine absolut persönliche Kritik witterst.
Nein, ich habe nur gefragt wie es dir geht, ich wollte nicht sagen, du siehst echt schlecht aus. Ich habe dich vorher auch schon gefragt, wie es dir geht.
Nein, ich wollte nicht sagen, dass du echt dick aussiehst, ich habe einfach wirklich kein Hunger auf ein Eis, ich hatte heute schon zwei.
Nein, ich will nicht sagen, dass du eine schlechte Mutter sein wirst, ich sage nur, dass ich mit den Erziehungsmethoden für deinen Hund nicht einverstanden bin. Denn es ist mein Beet, dass er gerade verwüstet hat, die Arbeit von einem Wochenende. Darf ich dich noch mal dran erinnern, dass du mir zustimmend beigepflichtet hast, als ich auf die Nachbarskatze geschimpft habe, die auch schon mal die Blumen ausgegraben hat?

Du und dein Bauch, ihr seid eben jetzt eins, und dass du auf einmal sehr von dem fremdbestimmt wirst, dafür bekommst du jegliches Verständnis, und bestimmt sehe ich dir das ein oder andere auch wirklich nach.
Aber - achtung, Phrasenschwein - Schwanger ist keine Krankheit: Ich lasse nicht alles mit mir machen, ich lasse mir nicht alles an den Kopf knallen und ich lasse mich nicht für alles Leid der Welt verantwortlich machen, ohne im Nachhinein nicht von dir zumindest eine Entschuldigung zu bekommen, wenn du wirklich über die Stränge geschlagen hast.
Wenn du für alles Böse der Erde einen Verantwortlichen brauchst, klär das mit deinem Bauch, denn der macht das gerade mit dir, dass du dich schlecht fühlst, nicht ich. Und dann sag doch einfach, wenn du keine Lust hast, etwas zu machen, so wie du es vorher auch schon immer gemacht hast.

Ich will einfach nur ein bisschen Verständnis von dir, dass sich eben doch nicht alles geändert hat, denn ich bin immer noch ich, ich habe keinen Bauch, der mich verändert, und deswegen finde ich, kann ich immer noch so behandelt werden wie früher. Denn Freundschaft ist halt doch etwas, was man schaffen muss, und du bist gerade dabei, jeden einzelnen Buchstaben des Wortes anzukratzen, anzufressen und auszulöschen.

Wo sind denn deine klaren Worte, die du sonst immer so geliebt hast? Wo ist denn die Person, die immer deutlich gesagt hat, was ihr nicht passt, wenn es gerechtfertigt war? Die sich aber auch entschuldigen konnte, wenn etwas verkehrt gelaufen ist? Wo meinst du denn, wird das noch hinführen?

Hoffentlich findest du den Weg wieder zurück, denn es ist immer noch dein Bauch, der ei Teil von dir ist, und es ist eben nicht so, dass du das Anhängsel von ihm bist. Du bestimmst, und nicht der. Meistens zumindest.

Und in den Zeiten, in denen er bestimmt, will ich im Moment einfach nicht dabei sein. Und ich weiß, dass du das verstehst. Dein Bauch wahrscheinlich nicht, und somit werden wir uns wohl jetzt erst einmal nicht sprechen, sehen, sondern Briefe schreiben. Wenn überhaupt. Denn ich weiß irgendwie schon, wie deine Antwort anfangen wird, und die wird zeigen, dass du nicht verstanden hast, um was es mir geht.

Machs gut, auch mit deinem Bauch. 

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: