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„LOVERBOYS“ – die Masche Liebe

Text: nadean

„Loverboys“ zu Deutsch „Liebes-Jungs“. Junge Männer, die sich bei Mädchen einschmeicheln und ihnen die große Liebe vorspielen. Mit viel Verständnis und teuren Geschenken erschleichen sie sich das Vertrauen der Mädchen. Dann das böse Erwachen: Der neue Freund ist ein Zuhälter.



Mit 17 hat man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume in den Himmel der Liebe. Mit 17 kann man noch hoffen, da sind die Wege noch offen in den Himmel der Liebe“, sang einst Peggy March. Doch heutzutage trifft dies leider immer seltener zu.



Mädchen, die sich schon längst als junge Frauen sehen, treffen ihre vermeintlich große Liebe vor der Schule, an den Wochenenden in der Disco, oder aber, und dort am häufigsten, in Internetchats. Neunzig Prozent der Mädchen zwischen 14 und 19 Jahren hat ihr Profil im Internet – zum Chatten mit Freunden, zum Flirten oder um den Seelenfrust loszuwerden. Und genau dort beißen die „Loverboys“ an. Systematisch durchsuchen sie die Profile der Mädchen, auf der Suche nach den Schwachen, den Unsicheren, den Labilen, den Schüchternen. Sie überschütten diese Mädchen mit Komplimenten, hören sich ihre familiären Probleme, ihre Ängste und Nöte an. Sie spielen den Beschützer, den Ratgeber und verwöhnen die heranwachsenden Frauen mit großzügigen Geschenken. Sie tun alles, um die Mädchen emotional von ihnen abhängig zu machen und einen Keil zwischen den jungen Frauen, ihren Familien und Freunden zu schlagen.



Mädchen werden zur Prostitution gezwungen



Sind die Mädchen erst mal emotional von ihren neuen „Freunden“ abhängig, fordern diese Sex als Gegenleistung. Verweigern sich die jungen Frauen, werden sie mit Drogen gefügig gemacht und fortan zur Prostitution gezwungen. Versuchen die jungen Mädchen sich ihrem Schicksal zu entziehen, antworten ihre Zuhälter mit massiver Gewalt. Zudem wird jeder Kontakt zur Außenwelt unterbunden. Alleingelassen und verstört leben die Betroffenen meist weit weg von ihrem Heimatort in der Parallelwelt Rotlichtmilieu.



Die Opfer trauen sich aus Angst vor ihrem Zuhälter nicht zur Polizei. Aus Scham, an der Situation mitschuldig zu sein, ergeben sich die meisten früher oder später ihren Schicksal. Genau wie Chasey*. Heute ist Chasey neunzehn Jahre alt. Mit 15 Jahren lernte sie ihren ersten Freund kennen. Ein hübscher junger Mann, südländischer Typ, sportlich durchtrainiert, warme braune Augen – doch dahinter verbarg sich ein kaltblütiger Zuhälter. Das heute 19jährige Mädchen durchlebte vier Jahre die Hölle auf Erden.



„Ich war fünfzehn als alles anfing. Wir waren gerade umgezogen – neue Stadt, neue Schule – ich kannte noch niemanden. Zu der Zeit hatte ich sehr viel Stress mit meinen Eltern. Mein Papa musste sehr viel arbeiten. Ich fühlte mich einsam. Dann lernte ich im Internetchat M. kennen. Er war 19 Jahre alt. Anfangs haben wir nur geredet, telefoniert, miteinander gelacht. Ich fühlte mich verstanden – nicht mehr so einsam. Wir verbrachten fast jeden Nachmittag zusammen. Er war zurückhaltend und außerordent-lich höflich für einen Jungen in seinem Alter. Knapp vier Wochen später ging ich mit in seine Wohnung. Plötzlich wollte er Sex. Er hätte jetzt lange genug gewartet, bekam ich zur Antwort, als ich mich weigerte. Ich wollte weg, aber er schlug zu.“



 Wer sind die „Loverboys“?



Häufig handelt es sich Typen mit geringer Bildung und aus einem schlechten sozialen Umfeld. Nicht selten haben sie einen Migrationshintergrund. Von Gefühllosigkeit und Geldgier getrieben, arbeiten sie meist in kleinen Gruppen zusammen. Nicht selten wird das Opfer eines „Loverboys“ auch von seinen Kumpels vergewaltigt. Genau wie Chasey*.



„Knapp eine Woche später lernte ich über das Internet einen anderen jungen Mann kennen. Ich traf mich mit ihm in einem Jugendtreff`. Ich wusste zuerst gar nicht, dass er es war, da wir nur telefoniert hatten. Er nahm mich zur Seite, weg von meinen Freunden. A. sagte, dass ich ab sofort für ihn arbeiten müsste. Zuerst wusste ich überhaupt nicht was er mit „Arbeiten“ meinte. Noch am selben Tag zwang er mich zum Sex. Auch mit seinen Kumpels musste ich es tun – auch M. war dabei. Heute weiß ich, dass M. mich an A. weitergereicht hat.“

Die Opfer verlieren jegliches Selbstwertgefühl und beginnen ein Doppelleben zu führen. Morgens gehen sie zur Schule, nachmittags auf den Strich.



So funktioniert das Prinzip „Loverboy“



Familie und Freunde ahnen lange Zeit nichts von der Falle, in die die Mädchen blind vor Liebe tappen. Die „Loverboys“ wissen genau, wo sie ihre Opfer ungestört ködern können. Sie lauern vor Schulen, an Bahnhöfen, in Fast Food Restaurants, in Jugend-Discotheken – überall dort, wo sich junge Mädchen ohne Eltern oder Lehrer aufhalten.



Der „Loverboy“ spricht das Mädchen an, flirtet mit ihr. Das Mädchen verliebt sich in den gutaussehenden Typen, um den sie alle anderen Mädchen beneiden, und der ihr große Ver-sprechungen macht, ihr zuhört, ihre Probleme kennt und auf alles eine Lösung weiß. Dann schnappt die Falle zu. Schon bald darauf kontrolliert der „Loverboy“ die gesamte Freizeit des Opfers. Ihre Freundinnen trifft das Mädchen kaum noch. Stattdessen zieht sie mit ihrem neuen „Freund“ und dessen Clique umher – alles Zuhälter und Prostituierte. Schon zu Beginn der Beziehung achtet der „Loverboy“ darauf, dass sein Opfer möglichst wenig an seinem Tagesablauf ändert. Er bringt das Mädchen zur Schule und liefert es vor der Tür seiner Eltern ab. Das ändert sich auch dann nicht, wenn das Mädchen zur Prostitution gezwungen wird. Das Ziel der „Loverboys“: Angehörige sollen nichts vom Doppelleben der Opfer erfahren. Je länger der „Loverboy“ das Opfer unbemerkt zur Prostitution zwingen kann, desto mehr Geld verdient er. Auch Chasey ging weiter zur Schule.



„Ich fühlte mich schrecklich, ich schämte mich für das, was ich tat. Deshalb schwieg ich. Ich ging weiter zur Schule als wenn nichts wäre. Nur beim Sport fehlte ich. Niemand sollte meine blauen Flecken sehen. Jeden Tag fühlte ich mich immer schlechter – wie tot. Ich konnte nicht mehr lachen, nicht mehr weinen – einfach keine Gefühle mehr zeigen. Die Typen, mit denen ich es machen musste wurden immer älter – alte Männer, wie mein Vater. Irgendwann wurde mir klar, dass ich sterbe, wenn ich so weitermache. Ich wartete einen günstigen Moment ab und schlug A. mit einem Aschenbecher auf den Kopf. Er taumelte. Ich konnte fliehen. Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, zerrten mich zwei Typen in ein Auto. Drinnen saß A. Er sagte mir, dass ich ab sofort für einen anderen Jungen arbeiten müsse. Wir fuhren zu einem Haus. An der Tür wurde ich von einem jungen Mann in Empfang genommen. Der schloss die Tür ab und fing sofort an, mich zu schlagen. Danach vergewaltigte er mich. Von da an brachte er mich zu Freiern in die Wohnung, musste mit alten Männern im Auto Sex haben, in Hotels, auf der Straße, auf Privat-Partys. Außerdem musste ich als „Lovergirl“ andere Mädchen für I. anwerben. Ich habe diesen Mädchen unendliches Leid zugefügt, aber zu der Zeit hatte ich keine Kraft, mich dagegen zu wehren. Es war, als war ich nicht ich. Ich wurde mit Alkohol und Drogen gefügig gemacht. Morgens musste ich bis zu zehn Pillen Ecstasy schlucken, mittags Kokain und abends spritzte I. mir Heroin. Er testete damit, ob das Zeug verunreinigt war. Neben der Zuhälterei verkaufte I. auch noch Drogen. Ich war völlig drogenabhängig. Nur deshalb blieb ich bei I. Denn ich war zu jung, um selbst Drogen zu kaufen. Aber ich brauchte sie.“



„Loverboys“ sind Menschenhändler



Immer wieder verkaufen „Loverboys“ ihre Opfer untereinander weiter. Doch nicht nur als Zuhälter sind sie tätig, sondern auch in den Drogen- und Waffenhandel verwickelt. Nicht selten steckt organisierte Kriminalität dahinter. Sie wissen genau, worauf junge Mädchen stehen. Sie kennen ihre Wünsche und Ängste. Gutaussehende junge Männer, die Geld haben und fette Autos fahren. Gezielt suchen sie sich die Mädchen aus, die darauf stehen – gaukeln ihnen Liebe vor.



Das Phänomen „Loverboy“ ist in den Niederlanden seit einigen Jahren bekannt. Die Behörden sind alarmiert. An Schulen laufen Aufklärungs-kampagnen, Opfer-Einrichtungen kümmern sich um Betroffene und bei der Polizei gibt es geschulte Ansprechpartner für Hilfesuchende. Hilfsorganisationen schätzen jährlich Hunderte minderjährige Opfer und mindestens 1.500 minderjährige Mädchen, die in den Niederlanden zur Prostitution gezwungen werden. Eine von ihnen war die damals 15jährige Chasey*.



Es war für mich wie ein Geschenk Gottes. An der Schule fand ich eine Freundin. Endlich jemand, der mich verstand, mit dem ich reden konnte. So erzählte ich ihr alles. Was ich nicht wusste, sie war ein „Lovergirl“. Wieder bekam ich einen neuen „Freund“. E. war ungewöhnlich freundlich. Er schlug mich nicht, er vergewaltigte mich nicht. Das machten seine Kumpels. Ich wurde schwanger. Ich freute mich auf mein Kind. E. sorgte dafür, dass ich eine Fehlgeburt erlitt. Was dann mit mir passierte, kann ich noch nicht erzählen. Ich habe es verdrängt. Irgendwann merkte eine Lehrerin, dass etwas mit mir nicht stimmte – ich nahm Drogen. Die Lehrerin informierte meine Eltern und das Jugendamt. Ich kam in ein geschlossenes Heim und machte einen Drogenentzug. Mittlerweile bin ich neunzehn, lebe an einem geheimen Ort und warte auf einen Therapie-platz. Ich habe noch immer kein Selbstwertgefühl. Die furchtbaren Erinnerungen sind immer bei mir.“



Über ihre Misshandlungen kann Chasey* bis heute nicht öffentlich sprechen. Sie wurde immer wieder eiskalt geduscht und musste bei Minusgraden nackt im Freien stehen. Mit glühenden Zigaretten wurde ihr der Name eines „Loverboys“ in ihren Körper gebrannt. Sie wurde von Messern und Schusswaffen bedroht. Sie wurde erpresst, indem man ihr drohte, ihren kleinen Bruder zu töten. Sie musste Massenvergewaltigungen über sich ergehen lassen. Ihre Peiniger führten Gegenstände in ihren Körper ein – vaginal und anal.



StopLoverboys hilft den Opfern



Schmetterlinge nennt die 49-jährige Niederländerin Anita de Wit ihre Schützlinge, da sie genau so schön, aber auch genauso verletzlich wie Schmetterlinge sind. Nachdem ihre Tochter selbst Opfer eines „Loverboys“ wurde, hat sie vor drei Jahren die Organisation „Stoploverboys“ gegründet. Sie hilft jungen Mädchen, die mit 12 oder 13 zum ersten Sex verführt und anschließend zur Prostitution gezwungen werden. All diese Mädchen sind Opfer von Zuhältern, die nicht selten selbst noch Teenager sind. Obwohl heute Hunderte Fälle bei der Polzei aktenkundig werden, schätzen Anita de Wit und ihre deutsche Mitstreiterin, die pensionierte Kriminal-beamtin Bärbel Kannemann (62) die Dunkelziffer weitaus höher ein. Sie gehen von jährlich 3.000 Mädchen aus, die den Jung-Luden mit Don-Juan-Allüren ins Netz gehen.



In Deutschland ist das Phänomen „Loverboy“ ziemlich neu. „Wir stehen erst am Anfang, Polizei und Behörden sind mit dem Problem noch nicht so vertraut, wie in Holland“; sagt Bärbel Kannemann. Entsprechend schwierig sei es, „Loverboys“ zu überführen und zu bestrafen. „Unsere wichtigste Waffe ist die Vorbeugung. Nur so können wir verhindern, dass Mädchen Opfer dieser Zuhälter werden.“ Auf der mehrsprachigen Website www.stoploverboys.nu können sich Mädchen, und auch Angehörige informieren, durch welche Anzeichen es sich womöglich frühzeitig erkennen lässt, ob der sympathische neue Freund nicht in Wirklichkeit ein Zuhälter ist.



 






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