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„Was verboten ist, macht besonders scharf“

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Herr Alsmann, bei Ebay werden alte „Gondel“-Magazine gerade im Schnitt für 15 Euro verkauft, „Toxi“ kostet auch schon mal 20. Sind das in Ihren Augen angemessene Preise?
Götz Alsmann: Die sind teuer geworden! Ich habe ja angefangen, die Hefte zu sammeln, als sich kein Mensch dafür interessiert hat. Damals hat man sie für fünfzig Pfennig auf dem Flohmarkt bekommen. In den 70er-Jahren haben praktisch alle Dinge, die aus den 50ern kamen, so gut wie nichts gekostet. Was die Preisentwicklung angeht, bin ich erst skeptisch geworden, als ich kürzlich in einem Antiquariat fünf gebundene „Toxi“-Jahrgänge gefunden habe, die fast bibliophil aufbereitet waren. Der Besitzer wollte 250 Euro dafür haben, da war ich schon überrascht.  

Kaufen Sie die alten Magazine heute auch mal über Ebay?
Mitunter, aber seitdem ich den „Herrenabend“ publik gemacht habe, kriege ich die Hefte auch ins Haus, manche Leute wollen sie mir einfach schenken. Neulich schenkte mir die Kostümbildnerin meiner ZDF-„Nachtmusik“ eines der ersten „Ronke-Magazine“. Ihre Schwiegermutter war Sekretärin im „Ronke“-Verlag.  

Haben Sie die Hefte damals gesammelt, weil Ihnen der Playboy schon Anfang der 70er zu plump war?
Gab es damals schon einen deutschen „Playboy“?  

Die erste Ausgabe erschien 1972.
Dann habe ich den „Playboy“ damals wohl nicht wahrgenommen.  

Zeitgenössische Erotikmagazine kamen für Sie nicht in Frage?
Kam immer darauf an, was man damit vorhatte.  

Was hatten Sie denn mit den 50er-Jahre-Heftchen vor?
Ich konnte gar nicht sooo viel Erotisches darin sehen. Klar gefielen mir die Pin-Up-Bilder. Aber ich fand diese alten Hefte in ihrer gesamten Ausstrahlung einfach faszinierend, mit diesen vollkommen irrsinnigen Artikeln darin und der Nachtleben-Berichterstattung.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


In den 70ern hatte sich die Aufmachung der Hefte dann stark verändert. Die Cover-Damen des „Gondel“-Magazins zum Beispiel hatten plötzlich nichts mehr an …
Ja, das hatte mit den glamourösen Inszenierungen der originalen „Gondel“-Hefte nichts mehr zu tun. Das waren teilweise textfreie, DIN-A4-große Hefte auf schlechtem Papier, in denen irgendwelche drogensüchtigen skandinavischen Prostituierten abgebildet waren. Die „Gondel“ war nur noch irgend so ein Sex-Blatt.  

Hat das Erotik-Geschäft in den 70ern generell seinen Stil verloren?
Die Sex-Welle der 70er-Jahre hat sich mit fast brachialer Gewalt breit gemacht. Man wurde mit Hausfrauen- und Schulmädchenreports ja geradezu belästigt. Wohingegen die alten Magazine, vor allem in den Jahrgängen ab 1953, immer sehr viel mit Verklausulierungen und Codes gearbeitet haben. Witzigerweise habe ich festgestellt, dass die Hefte bis 1953 sogar deutlich freizügiger waren. Unmittelbar nach der Währungsreform gab es darin zum Beispiel ungeheuer viele Nacktfotos. Diese sind ab 1953 komplett aus den Magazinen verschwunden und wurden durch Bilder vom internationalen Pin-Up-Markt und Star-Fotos ersetzt. Ich glaube, das hatte damit zu tun, dass eine Generation junger Männer, die aus dem Krieg gekommen ware, sich erst mal weder von Klerus noch von Staatsanwaltschaft erklären lassen wollte, wie hochgradig der erotische Impetus ihrer Lektüre sein durfte. Es gab eine fast anarchische Grundstimmung bei vielen, nach dem Motto: „Nach dem was ich gesehen und erlebt habe, muss mir keiner mehr erzählen, was ich mir angucken darf und was nicht!“ Dieses Gefühl der Freiheit und dieses Schulterzucken gegenüber den Autoritäten verwässerte sich dann im Laufe der Zeit. Irgendwann bekam ein junger Familienvater von seiner Frau zu hören, dass man solche Hefte nicht mehr offen herum liegen lassen könne. Das war eine Art Verbürgerlichung der Veteranen, eine Verspießerung des Menschen. Bald nahm das Leben wieder sogenannte „normale Züge“ an.  

Die „Kölnische Rundschau“ nannte Ihr Programm „Herrenabend“ zuletzt eine „provokante Titelblattschau“. Wobei man mit dieser Art Erotik doch heute niemanden mehr provozieren kann. Wollen Sie eher den Umgangston der der damaligen Zeit parodieren?
Das ist mir zu negativ. Wenn Sie spätromantische Orchesterwerke hören, welche die Musikwelt einst auf den Kopf gestellt haben, fänden Sie den Effekt dieser Musik ja auch nicht weniger ansprechend, nur weil danach etwas noch Provozierenderes kam. Es macht auch keinen Sinn, jemandem der gerade „Avatar“ gesehen hat, einen Science-Fiction-Film aus den 50ern vorzusetzen und ihn beides miteinander vergleichen zu lassen. So funktioniert die Rezeption von Kunst und Kunsthandwerk nicht. Wobei ich die Heftchen jetzt eher in die Abteilung Kunsthandwerk einordnen würde.  

Wann und wie kamen Sie zum ersten Mal mit dem Begriff „Herrenabend“ in Berührung?
Durch meinen Vater, wenn er sich ab und zu mit Gleichgesinnten traf. In den 60ern gab es bei uns um die Ecke die Werkstatt eines Kunstschreiners. Dieser Kunstschreiner war ein großer Angler, genau wie mein Vater. Die beiden gehörten zu einem guten Dutzend Männer, die sich schon ewig kannten und regelmäßig verabredeten. Wenn sie sich dann trafen, machte der Kunstschreiner eine Flasche auf und man log sich gegenseitig vor, wie groß die letzte Angelausbeute war. Wenn ich meine Mutter fragte, wo denn der Papa ist, sagte sie: „Der hat heute seinen Herrenabend.“  

Hatten Sie als junger Mann auch bald einen Herrenabend?
Nein, gar nicht. Ich hatte damals auch wenig Kontakt zu Gleichaltrigen, war mit meinen älteren Freunden viel unterwegs und ja schon als Schüler auf Tournee  

Heute lesen Sie beim „Herrenabend“ Texte aus den alten Heften vor. Was war so schön am Umgang mit dem Thema Sex in der Zeit, die Sie da betrachten?
Die hormonelle Disposition des einzelnen wurde noch weitgehend unter Verschluss gehalten. Damals wurde man noch nicht mit den privaten Dingen anderer Leute belästig, wie es heute der Fall ist. Wichtig ist hier zu wissen, wovon das Mann-Sein damals eigentlich geprägt war. Bei jungen Männern gab den tief sitzenden Wunsch, erwachsen zu sein. Ganz im Gegensatz zur heutigen Zeit, in der ein 50-Jähriger unbedingt noch ein junger Mann sein will. Der zieht sich dann an, als wäre er 20 und hört Musik, die nicht für ihn gemacht ist. Und damals wollte ein 20-Jähriger ein erwachsener Mann, ein Herr sein. Er wollte einen Anzug und eine Krawatte tragen und von den älteren Männern akzeptiert werden, mit denen er zu tun hatte – als ein Mann ihresgleichen. Und darin besteht auch der Unterschied zwischen den Herrenmagazinen von damals und den heutigen Männermagazinen. Heute gibt es eine Artikelflut, worin man sich mit Motorrädern, Jeans und „leasure activities“ beschäftigt. Das ist im Großen und Ganzen eine Revue des Nicht-erwachsen-werden-wollens.
Als ich das erste Mal nach Amerika fuhr, war ich in New York. Eine Stadt, die nicht gerade für Prüderie bekannt ist, und doch war der „Playboy“ im Straßenkiosk so platziert, dass man die Brüste der Titelmodelle nicht sah. Ich hatte einige amerikanische Freunde, die schockiert waren, als sie mich mal in Deutschland besuchten und im Werbefernsehen für eine Duschkabine plötzlich einen hübschen Mädchenpo entdeckten: „So etwas würde es im amerikanischen Fernsehen niemals geben!“  

Der Handel mit Pornografie passierte unter dem Ladentisch. Wie muss man sich das vorstellen?
In den 50er-Jahren, als von Aufklärung in erotischer Hinsicht noch nicht die Rede war und dieses berühmte Foto von Jane Russell im Heu das höchste der Gefühle darstellte, gab es natürlich einen erotischen Underground, auch was Printmedien anging. Wenn man über die Reeperbahn oder durch Schwabing ging, gab es fliegende Händler, die einen von der Seite anquatschten und Mini-Hefte wie „Capriccio“ verkauften. Das waren reine Fotoheftchen, nur mit nackten Mädchen drin. Viele dieser Aufnahmen stammten aus den 20er-Jahren, man sah das an den Frisuren und dem Make-Up. Und wenn der Händler zu seinem Kunden Vertrauen gefasst hatte, kam auch schärferes Zeug. Dieser Handel passierte also auf einer fast halbkriminellen Ebene und offenbarte doch eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die wir uns heute, in unserer dramatisch sexualisierten Welt, überhaupt nicht mehr vorstellen können.  

Sie sprechen von einer „dramatisch sexualisierten Welt“. Wünschen Sie sich heute ein bisschen Spießigkeit von damals zurück? Schließlich ist es auch die verklemmte Aufmachung, welche die alten Hefte bis heute so interessant macht. Ich wünsche mir nie Spießigkeit zurück. Ich finde auch nicht, dass die Magazine spießig oder verklemmt waren. Die Umwelt der Magazine war spießig, und darauf mussten die Spezial-Zeitschriften reagieren, zum Beispiel mit Rotlicht-Reiseberichten und anderer erotischer Literatur. Wir müssen ja auch zwei Dinge unterscheiden: die Zeit – von der wir ja letztlich nicht genau wissen, wie sie war -, und das Abbild der Zeit. Das ist auch der Grund, warum ich eine Vorliebe für bestimmte Genres alter Filme hege: Weil mir abgebildete Zeit sehr gut gefällt. Inwieweit dieses Abbild mit der Realität übereinstimmt, ist mir nahezu egal. Die Farben, die Mode, meinetwegen auch der Umgangston – das alles waren damals ja positive Dinge. Genauso wie die Sorgfalt im Handwerk und das Streben nach Wissen und Glück. Heute sieht man Glück als selbstverständlich an und ist beleidigt, wenn man irgendetwas dafür tun muss. Ich weiß natürlich, dass es damals auch großes Elend gab, wozu unmögliche Karriereaussichten für die unteren Gesellschaftsschichten und schwerstwiegende, noch familiäre Probleme zählten. Väter kehrten erst sehr spät aus dem Krieg heim – wenn sie überhaupt nach Hause kamen. Und es gab eine orientalisch anmutende Dominanz von Schwiegermüttern im häuslichen Bereich.  

   Den Text „Was ich von Herrenabenden halte“ von Fita Benkoff lesen Sie beim „Herrenabend“ auch vor. Benkoff spricht darin von Männern, die man locker an der Leine führen solle, nur zwei mal pro Woche könne man ihnen Freiheit und Herrenabende gönnen. An dieser Einstellung der Frau hat sich bis heute nichts geändert, oder?
Durchaus nicht, die Menschen sind gleich geblieben. Nun war Fita Benkoff natürlich auch eine Frau, der man so was verziehen hat. Sie sagt in diesem Text ja auch Sachen wie „immer hübsch zu ihm aufblicken“ und „immer schön kleines Frauchen sein“. Da bekommt manch emanzipierte moderne Frau doch erst mal Magendrücken. Andererseits schreibt Fita Benkhoff auch von Unabhängigkeit, richtet sich ganz klar an die Damen – und das in einem Herrenmagazin. Die „Gondel“ hat immer viel Wert drauf gelegt, dass sie auch von Damen gelesen wird, weshalb es auch einiges an Texten und Bildern für Frauen im Heft gab. Wenn man im Zug saß und die „Gondel“ sah, waren es häufig Frauen, die sie dabei hatten. Die Männer saßen dann drum herum und guckten interessiert ins Dekolleté oder ins Heft oder in beides.

Text: erik-brandt-hoege - Foto: dpa

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