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"Es gab keine Alternative. Das hat mir zugesetzt."

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"Es gab zwei, drei Situationen in den vergangenen eineinhalb Jahren, in denen ich dachte: Deswegen bist du nicht in die Politik. Die Entscheidung für das neue Afghanistanmandat oder für die Griechenlandhilfe sind Beispiele. Ich musste für die Hilfe stimmen, obwohl ich nicht überzeugt war. Ich musste mich dem Sachzwang beugen, weil es keine Alternative gab - wenn wir dagegen gestimmt hätten, wären die Folgen schrecklich gewesen. So etwas setzt mir zu. Warum bin ich Abgeordneter, wenn ich nicht die Freiheit habe, mich zwischen mehreren Lösungen zu entscheiden? Meine Mutter ist kurz vor dem Mauerbau aus der DDR geflohen, viele Cousinen, Tanten, Cousins sind aber geblieben. Als ich 18 wurde, das war 1986, bin ich regelmäßig zu Besuchen in den Osten gefahren. Bei diesen Reisen ist in mir ein tiefer Drang nach Freiheit entstanden. Ich glaube, dass ich deswegen in den Bundestag wollte. Auch wenn ich weiß, dass Politikmachen nicht heißt, die eigene Meinung zu 100 Prozent durchsetzen zu können. Du musst dir Mehrheiten suchen, das lernst du schon in der Partei. Du musst lernen, Verantwortung zu übernehmen. Für dich, für dein Handeln, für andere, die dir nachfolgen. Ich glaube, Erwachsenwerden besteht vor allem darin, Verantwortung zu übernehmen. Aber das wurde richtig schwierig, als wir im Bundestag über die Fortsetzung des Afghanistanmandats beraten haben. Ich wusste, wenn ich dieser Mandatsverlängerung zustimme, schicke ich Soldaten nach Afghanistan, von denen ich ahne, dass nicht alle zurückkehren. Wir haben tagelang fraktionsübergreifend diskutiert. Ich habe drei Nächte nicht geschlafen. Dann habe ich zugestimmt. Es kann sein, dass ich an diesem Tag wieder einen Teil meiner Unschuld verloren habe." 

Zum einführenden Text der Geschichte "Das Ende der Unschuld" geht es hier. Zur Übersicht mit den 20 Abgeordneten, die über ihre Ernüchterung in der Politik erzählen oder schreiben, kommst du hier.


Text: jetzt-Redaktion - Illustration: Katharina Bitzl

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