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Die Wochenendwegfahrer

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  A – Alkohol
  Häufig verwendetes Schmiermittel, um eine Freundschaft nach längerer Nichtsehen in kürzester Zeit wieder flott zu machen.
 
  B – Bembel
  In jeder Stadt gibt es eine andere Spezialität, nach der der Gast berechtigterweise bei seinem Besuch kräht. In Bayern sagt der Gast-Mund „Schweinsbraten“ und in Frankfurt vielleicht „Ebbelwoi im Bembel“. Das Gekrähe ist nicht ernst zu nehmen, es dient der mentalen Einstimmung auf die Fremde. Pizza zum Essen ist immer auch in Ordnung. 
 
  C – Christbaumloben
  In Teilen Bayerns geht man nach Weihnachten zu Freunden und tut so, als würde man den dort aufgestellten Christbaum saugut finden. Als Dank für das Lob spendet der Schmücker den Lobern Alkohol. Etwa so geht es dem Besucher, der sofort nach Ankunft die frisch aufgeräumte Wohnung über den Klee lobt („Hach, du hast es schön warm“ oder „Eine Decke statt einer Tür. Das ist eine gute Idee.“) Aus Lob wird dann Bier. Und mit einer Flasche in der Hand wirken auch Souterrainwohnungen einigermaßen charmant.
 
  D – Donnerstagskommer
  Die offiziellen Wochenendbesuchszeiten gehen von Freitag- bis Sonntagabend. Wer früher kommt, strapaziert das deutschlandweit übliche Gemüt, weil der Gastgeber normalerweise erst am Donnerstagabend vor dem Besucherwochenende die Wollmäuse aus ihren Ecken lockt.
 
  E – Erste Hilfe
  Nur wer aus dem Haus geht, kann etwas vergessen. Du musst dich also nicht schämen, wenn du deine Kontaktlinsenlösung nicht eingepackt hast. Dafür hast du nach deiner Rückkehr gleich zwei davon im Bad stehen.
   
  F – Frühstück
  Für Wochenendbesucher wurden in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland und vor allem in Berlin eigene Restaurantmodule mit Frühstücksbuffets eingerichtet. In diesen sogenannten „Cafés“ können Gast und Gastgeber bis gegen 16 Uhr desselben Tages beim „Brunch“ fabrikgelbe Omelettehaufen, Pressschinken, warmen Eiersalat und Rostbratwürstchen zu sich nehmen. Dazu gibt es ausschließlich Milchkaffee. Das klingt nicht gut, aber der Körper weiß, wie man Energie draus macht.

  G – Gute Nacht
  Ein eigenes Zimmer für den Gast ist Luxus, eine eigene Matratze ist prima, eine eigene Isomatte ist Standard, ein mit dem Gastgeber geteiltes Bett kann je nach Beziehung sehr fragwürdig oder der Beginn einer Partnerschaft sein.
 
  H – Heimat-Simulation
  Wer seinem Besuch das Gefühl vermitteln will, sich in der fremden Stadt schon wie zu Hause zu fühlen, betont das am besten bei einem Spaziergang. Dahingesagte Sätze wie „die Stadt hat sich in den vergangenen vier Monaten schon sehr gewandelt“ sind in dieser Hinsicht dienlich.
 
  J – Ja
  Weil sich ein Besuchswochenende laut Wochenendbesuchergesetz nicht allein vor dem Fernseher abspielen darf, ist ein Mindestmaß an Unternehmungsgeist unerlässlich. Der Gast ist dringend aufgefordert, auf die Vorschläge seines Gastgebers nicht nur mit Schulterzucken und „mir egal“ zu reagieren. Fragen wie „Hast du vielleicht schon Hunger?“ oder „Willst du vor dem Theater vielleicht nochmal nach Hause und dich aufwärmen?“ sollten stets mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden, weil der Gastgeber damit seine eigene Präferenz andeutet.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  K – Kaffee
  Frischer Kaffee und eine passende Zubereitungsapparatur müssen zwingend offen sichtbar in der Küche stehen. So kann sich der Besucher, der in der fremden Umgebung häufig früher erwacht als sein Gastgeber, schon mal nützlich machen. Dieses Nützlichsein erzeugt angenehme Gefühle des Ankommens und der Gastgeber hat eine Mühe weniger.
 
  L – Liste
  Eine ausführliche Zusammenstellung aller an einem Wochenende möglichen Unternehmungen ist eine gute Sache. Sie wird aber nicht gebraucht werden.
 
  M – Museum
  Wenn der Samstagabend lang war, bietet sich für den Sonntagnachmittag ein Gang durch das örtliche Museum für moderne Kunst an. Jede verhältnismäßig große Stadt hat ein Museum dieser Art, in dem im Eck eine einsame hässliche echte Bleistiftzeichnung von Picasso hängt und ansonsten viele schwarzweiße Fotos gezeigt werden, weil man an die Gursky-Bilder so schlecht ran kommt. Fotos sind immerhin leicht anzuschauen und Gastgeber und Gast können sich inspirieren lassen und sich ganz kulturell und metrokulturell fühlen, ehe sie tags darauf an ihren jeweiligen Haustüren wieder vom Alltag abgeholt werden.
 
  P – Pretender
  Der coole Gastgeber nimmt beim gemeinsamen Spaziergang durch die Stadt eine James Dean-Haltung an. Er simuliert eine gewisse Langeweile im Angesicht der Eindrücke, die die Stadt erzeugt. „Ich kenn das alles ja schon“, soll die Haltung sagen. Wenn der Gast dann bewundernd vor einem Schaufenster mit selbstgestrickten Mützen stehen bleibt, sagt der Gastgeber: „War ich schon mal drin. Ist nicht so der Hammer.“ Ein Allzwecksatz, der auch bei Metzgereien anwendbar ist.
 
  Q – Quatschen
  Wochenendbesuche sind wie ein dreitägiges Telefonat in Bewegung und in Farbe. Wer schon vor der Abfahrt weiß, dass er eigentlich nur drei Tage quatschen wird, sollte zu seinen Freunden vielleicht eher sagen: „Ich fahre am Wochenende eine Freundin besuchen“. Denn wer stolz behauptet, „am Wochenende nach Hamburg“ zu fahren, der muss am Montag was von der Stadt erzählen und das ist schwer, wenn man drei Tage lang nur, nunja, „telefoniert“ hat.
 
  R – Regen
  Ist eigentlich komisch. Denn alle Gastgeber wissen diesen Satz zu sagen: „Also Freitagfrüh als ich zur Arbeit/Vorlesung/ins Geschäft bin, war es noch schön“. Aber es gibt ja auch die wetterunabhängigen Buchstaben M, Q, K, und F.
 
  S – Superlativ
  Der gute Gastgeber zeichnet sich dadurch aus, dass er seinen Gast zum Frühstück nicht einfach in die Discountbäckerei im Eingangsbereich des örtlichen Baumarktes führt. Ein guter Gastgeber kennt ein gutes Café und darf lügen, dass es „das beste in der Stadt“ sei. Der Gast wird es nicht prüfen können.
 
  T – Tilsiter
  In Scheiben, abgepackt in Plastik, sollte in keinem Kühlschrank fehlen. Tilsiter ist Konsenskäse und hat bereits zwei Generationen von hungernden Wochenendbesuchern als Snack gedient.
   
  U – Uff
  Es handelt sich dabei um einen Ausdruck des Bedauerns im Angesicht vieler schöner Menschen in der neuen Stadt. In anderen Städten sind die Menschen immer schöner, das ist ein Naturgesetz. In anderen Städten schaut man nämlich immer genauer hin und entdeckt das Schöne. Sonst wäre Reisen ja auch langweilig.
   
  W – Weggehen
  Freitagabend haut das mit dem Weggehen meistens nicht mehr hin, wegen ganz viel „Hallo“ und „erstmal einen Tee“ und „vielleicht noch ein Bierchen“ und dann „in der Küche hängengeblieben“. Am Samstagabend findet mit vereinter Energie entweder die große Clubnacht statt oder beide Parteien einigen sich auf Kino und Quatschen. „Schließlich haben wir uns so lange nicht gesehen“, sagen Gast und -geber dann und klingen als müssten sie sich dafür entschuldigen, nicht wilder gewesen zu sein. 
 
  Z – Zug
  Auf der Hinfahrt ist das Abteil ein Aufwärmbecken, angereichert mit Vorfreude, Neugier und dem Schiss davor, wie sich die Freundin oder der Freund wohl verändert haben. Auf der Rückfahrt ist der Zug das Abklingbecken, in dem neue Eindrücke und alte Erfahrungen nebeneinander schwimmen und sortiert werden. Meist stellt sich beim Reisenden sehr schnell Sehnsucht nach der vertrauten oder nach der neuen Stadt ein. Ein Dazwischen gibt es selten, weil immer eine Stadt besser als eine andere ist.



Text: peter-wagner - Foto: photocase.com

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