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"Wenn ich glücklich bin, bin ich gleichzeitig etwas dumm"

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jetzt.de: Lykke, Du hast seit gut vier Wochen Acht- bis Zehn-Stunden-Tage, an denen Du nonstop über Deine Platte redest. Wie hält man das eigentlich durch?
Lykke Li: Oh, man hält das überhaupt nicht durch. Nach einer Weile möchte man abwechselnd am liebsten eine andere Person sein oder einfach nur sterben. Ich verstehe nicht, warum es immer wieder Künstler gibt, die behaupten, dass das alles für sie irgendeinen Nutzwert habe. 

Manche sagen, man lernt sich dabei kennen – oder bezeichnen es als Therapie ...
Nein. Man lernt sich selbst hinreichend kennen, wenn man einfach lebt, wenn man Erfahrungen sammelt. Nicht, wenn wildfremde Menschen vor einem sitzen und etwas fragen, das man nicht einmal guten Freunden erzählen würde. Es ist eher mit einem Angriff als mit einer Therapie vergleichbar. Im Prinzip bin ich die ganze Zeit damit beschäftigt, nach einem Ausweg zu suchen. Das, was mir an meinem Beruf Spaß macht, ist schnell umrissen. Ich bin glücklich, wenn ich mit meinem Produzenten Björn an einem Tisch sitze und Songs schreibe. Oder wenn ich mit meiner Band unterwegs bin. Der Rest ist Belastung.  

Das klingt traurig.
Nein, nein. Heute Nachmittag war es schwierig, da stand ich wirklich kurz vorm Zusammenbruch. Aber dann trank ich ein Glas Wein, hatte zwei, drei echt schöne Gespräche – jetzt geht’s wieder.  

„Youth Novels“ war eine Platte, in der in erster Linie traurige Herzensangelegenheiten verhandelt wurden. In „Get Some“, der Vorab-Auskopplung von „Wounded Rhymes“ singst Du „I'm your prostitute“. Das wirkt noch einmal verstörender.
Die neue Platte beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Verlust, und das ist da natürlich nicht so weit weg von. Es geht um den Verlust der Hingabe, den Verlust der Zuneigung, den Verlust der Unschuld, den Verlust der Hoffnung. Ich hatte zuletzt wieder eine völlig absurde Liebesgeschichte, die zu einem großen Drama wurde und wirklich böse endete. Insofern ist's vielleicht doch wieder genau das Gleiche wie auf dem Debüt.  

http://www.youtube.com/watch?v=BIqVoLzPFQQ

Ein Song heißt „Sadness Is A Blessing“. Kann man Traurigkeit in etwas Positives umwandeln?
Ich weiß es nicht. Zuerst einmal möchte ich feststellen, dass das eine sehr verkürzte Interpretation des Songs wäre. Da geht es schon auch um andere Dinge. Aber es stimmt insofern, dass Traurigkeit nicht ein solitäres Gefühl ist, sondern eine ganze Gefühlsansammlung, die sich auf verschiedene Arten äußern kann. Und gerade deshalb ist es möglich, sie zu beschreiben, sie kreativ zu verarbeiten. Glück dagegen ist etwas sehr eindimensionales. Wenn ich glücklich bin, bin ich gleichzeitig etwas dumm. Wie nach einer guten Mahlzeit oder einem guten Joint. Oder nach einem Orgasmus. Da ist dann einfach gar nichts. Point Blank. Ich verstehe nicht, wie andere glückliche Songs schreiben können. 

 Dein erstes Lebenszeichen nach dem Debüt war im Herbst 2009 ein Beitrag zum „Twilight“-Soundtrack. Das überraschte mich. War das eine Plattenfirmen-Entscheidung?
Nein, gar nicht. Ich wollte das. Du hast natürlich recht, wenn Du davon ausgehst, dass das für mich eine fremde Welt ist. Aber auf dem Soundtrack waren neben mir Künstler wie Grizzly Bear oder Thom Yorke, die ich sehr mag und bewundere. Und dann finde ich die Zielgruppe auch spannend. Teenager, die wirklich total besessen von diesem „Twilight“-Ding sind, die da all ihre Leidenschaft reinlegen. Wahre Hingabe! So etwas verliert man mit dem Alter. Eigentlich schade.  

Jemals irgendein Interesse an Vampiren gehabt?
Kein wirkliches. Also, ich fühle mich denen durchaus verbunden, weil sie außerhalb der Gesellschaft stehen, das mag ich immer ganz gerne. Aber darüber hinaus geht es nicht, fürchte ich. Also diese Blut-Sache und das Bleich-Sein interessiert mich nicht.  

Was mir auffiel: Die „Twilight“-Geschichte ging sehr schnell durch alle einschlägigen Blogs. Kannst Du aus diesem sehr guten Standing in der Internet-Community Kapital ziehen?
Ich bin zwar eine der Künstlerinnen, über die am meisten gebloggt wird, aber gerade deswegen vom kommerziellen Standpunkt aus gesehen, nicht erfolgreich. Wenn jemand sich einen Track von mir irgendwo anhört und das gut findet, dann verdiene ich damit natürlich überhaupt nichts. Das ist aber kein Problem. Ich habe keinerlei Ambitionen, berühmt zu sein. Wäre ich berühmt, würde ich vermutlich aufhören, Musik zu machen und mich bis an mein Lebensende irgendwo verstecken.  

Was würdest Du denn gerne erreichen?
Ich möchte ein Haus besitzen.  

Ein Haus? Wo?
Auf einem Hügel. In Kalifornien. Irgendwo in der Nähe von Los Angeles. Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich meine es total ernst. Kein großes Haus. Zwei Zimmer, das würde ausreichen.  

Das sollte nicht zu teuer sein.
Nein, das geht eigentlich. Ich habe mich erkundigt, als ich im vergangenen Jahr einige Monate dort verbrachte. Aber leider kann ich es mir noch nicht leisten.  

Du hast Dein Debüt in New York geschrieben – für die Songarbeit an „Wounded Rhymes“ bist Du an die Westküste gezogen. Warum gefällt Dir Los Angeles besser?
Es ist nicht so, dass mir New York nicht gefallen würde. Aber die Bedürfnisse, die ich als Mensch habe, die meine Seele hat, werden eher von Los Angeles aufgefangen. Die Stadt ist weiter. Ruhiger. Mehr Natur. Aber auch sättigender. Wie eine große Avocado. Am Anfang fand ich's übrigens furchtbar.  

Warum änderte sich das?
Einmal ist Los Angeles immer der Ort, wo meine US-Touren endeten. Das ist ein Wahnsinnsgefühl. Du bist fertig mit der Arbeit und total erschöpft. Aber das Wetter ist gut, und die Menschen haben gute Laune, jeder lächelt. Also sagte ich mir: Wenn ich mit allem fertig bin, wenn ich Zeit habe, dann fahre ich hierher. Ich mache mein Handy aus und versuche, mich ganz auf mich selbst zu konzentrieren.  

Reicht das wirklich aus, um eine Stadt zu mögen?
Es sind natürlich dann die Menschen, die man kennenlernt. Sie führen dich herum. Sie zeigen dir die verzauberten, versteckten Orte. Und sie lassen dich in ihre Häuser. Und plötzlich wirst du neugierig und willst alles kennenlernen. Ich war vier Monate dort, in einem Haus in Echo Park. Ich habe übrigens nicht nur Songs geschrieben, sondern auch wochenlang überhaupt nichts gemacht. Mir die Stadt angeschaut, Fahrrad gefahren, mit Freunden abgehangen oder einfach nur geschlafen. Und es gibt immer noch so viel, das ich nicht gesehen habe, das ich noch nicht weiß.  

Bist Du gut darin, fremde Menschen kennenzulernen?
Ich weiß nicht. Ein paar Leute kannte ich dort. Das ist schon wichtig um so eine Art Anfangspunkt zu haben. Ich glaube, ich bin vielleicht ein bisschen seltsam. Aber genau deshalb habe ich einen ganz guten Draht zu anderen Leuten, die auch seltsam sind. Ich verbrachte Thanksgiving mit Dave Sitek von TV On The Radio am Mullholland Drive. Das ist so jemand, zu dem ich sofort den richtigen Draht hatte. Und er stellte mir seine Freunde vor. Ich fand es schön, neu anzufangen.  

Glaubst Du, so eine Art des Lebens funktioniert in den USA besser als in Europa? Ich denke schon. Sogar in New York wäre das schwierig. Erstmal, weil man es sich dort nicht leisten könnte. Aber auch, weil die Leute eher einen normalen Job haben. In Los Angeles haben viele tatsächlich diesen uramerikanischen Traum. Sie wollen etwas erreichen, und sie wollen es auf ihre Art erreichen. Und das versteht jeder. Es gibt da so eine Art positive Energie, die mir in Schweden total fehlt. In Schweden schaut dich doch jeder schief an und denkt, du würdest dich für etwas Besseres halten, nur weil du eine andere Art des Lebens gewählt hast. Man kann sich als Europäer von den Amerikanern wirklich einiges abschauen.                       

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Wounded Rhymes" von Lykke Li erscheint an diesem Freitag bei Warner.

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