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"In der Wissenschaft klappt selten was auf Anhieb"

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Leonie Mück, 25, und Thomas Jagau, 24, promovieren in Theoretischer Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Gemeinsam mit anderen haben sie das Journal of Unsolved Questions gegründet. Ein Gespräch über Gewinner und Verlierer in der Wissenschaft.  

jetzt.de: Wenn ein Wissenschaftler ein Projekt abgeschlossen hat, schreibt er einen Artikel und sieht zu, dass er die Erkenntnisse in einem der vielen wissenschaftlichen „Journals“ veröffentlicht. Was erscheint in eurem Journal?
Leonie: Bei uns sollen Wissenschaftler Forschungsergebnisse präsentieren, mit denen sie ihre Hypothese weder belegen noch widerlegen konnten. Außerdem stellen wir Fragen vor, die die Wissenschaft noch nicht beantwortet hat.  

Welche zum Beispiel?
Leonie: Welchen Wert hat die kosmologische Konstante?
Thomas: Wie sind altruistische Verhaltensweisen mit natürlicher Selektion vereinbar?  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Besonders attraktiv ist es wahrscheinlich nicht, in eurem Journal zu erscheinen. Wissenschaftler ärgern sich doch eher über jede Frage, die sie in ihrer Arbeit nicht beantworten konnten.
Leonie: Aber die offenen Fragen sind die Triebkraft der Wissenschaft.
Thomas: Wer einer Erkenntnis näher kommen möchte, muss vor allem erstmal die richtigen Fragen stellen.
Leonie: Ein weiser Mann hat mal gesagt: Wenn man das Zeug hat, eine gute Frage zu stellen, hat man auch das Zeug, sie zu beantworten.  

Leonie, du promovierst in theoretischer Chemie. Kannst du deine Hypothesen immer belegen und die Fragen deiner Arbeiten immer beantworten?
Leonie: Ich würde behaupten, dass 90 Prozent aller Arbeit eines Forschers ohne Ergebnis bleibt. Ich bin Chemikerin und habe häufig die Erfahrung gemacht, dass eine Reaktion, die auf dem Papier funktionieren müsste im Kolben einfach nicht klappt.
Thomas: Das kenne ich auch. An der Stelle wird die Chemie wieder zur schwarzen Magie.
Leonie: Und die wissenschaftliche Publikationspraxis macht es leider nicht möglich, diese Versuche zu publizieren. 

Weil nur Erkenntnisse veröffentlicht werden, die zusammen mit der gedachten Frage Sinn ergeben?
Leonie: Ja. So gehen der Wissenschaft aber auch viele Erkenntnisse verloren, die vielleicht in anderen Zusammenhängen eine Bedeutung hätten.  

Welcher Versuch ging bei dir schief?
Leonie: Ich habe zu Edelgasen geforscht und Edelgase reagieren nicht besonders gerne mit anderen Elementen. Eine große Herausforderung in der Chemie ist es deshalb, Edelgasverbindungen herzustellen. Das wird immer schwerer, je leichter ein Edelgas wird. Sehr grob gesagt habe ich am Computer Käfigverbindungen aus Kohlenstoff gebaut, die sich mit einem Edelgas verbinden sollten. Tatsächlich ist es mir auch gelungen.  

Dann ging ja gar nix schief.
Leonie: Aber ich habe wahnsinnig viele Käfige gebaut, die nicht funktioniert haben. Sie haben sich nicht mit dem Edelgas verbunden. All diese Käfige wären normalerweise unter den Tisch gefallen - jetzt sind sie in unserem Journal publiziert.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Leonie und Thomas

Im Dezember schrieb das Wochenmagazin „New Yorker“ über den Decline Effect. Demnach halten viele wissenschaftliche Erkenntnisse einer späteren Überprüfung nicht mehr Stand. Häufig nimmt die Signifikanz ab: Wenn sich Wissenschaftler daran versuchen, einen Versuch zu wiederholen, bekommen sie oft nicht mehr die gleichen Ergebnisse und die Hypothese kommt ins Wanken. Zum Beispiel wundern sich viele Psychiater, warum manche Psychopharmaka, die bei ihrer Entwicklung hochwirksam waren nun nicht mehr besonders toll zu wirken scheinen. Hat euch die Diskussion um den Decline Effect zu eurem Journal inspiriert?
Thomas: Die Website zu dem Thema haben wir schon im Sommer vergangenen Jahres online gestellt. Sie war das Ergebnis einer Diskussion in unserem Graduiertenkolleg. Aber die Frage aus dem Artikel stellen wir auch: Kann es sein, dass manche Wissenschaftler bei ihren Forschungen nur die Ergebnisse herausbekommen, die sie auch suchen?
Leonie: Ich glaube, das ist ein genereller menschlicher Makel, der Wissenschaft nicht ganz so eindeutig macht, wie wir sie gerne hätten: Ich gehe immer mit einem eigenen Interesse und einer eigenen Frage in ein Experiment. Dabei kann es leicht sein, dass ich Ergebnisse ausblende, die nicht zu der Antwort passen, die ich mir vorstelle.
Thomas: Werner Heisenberg hat betont, dass Wissenschaft von Menschen gemacht wird. Diese Haltung geht manchmal verloren. Es ist vielleicht häufig nicht möglich, nur die eine Wahrheit über einen Zusammenhang herauszufinden. Und einen Wissenschaftler, der keinerlei persönliche Vorlieben oder Beschränkungen hat, der also der ideale und objektive Wissenschaftler wäre, muss man erstmal erfinden.  

Das hört sich so an, als ginge es euch nicht nur darum, fehlgeschlagene Experimente oder offen gebliebene Fragen zu veröffentlichen. Ihr kritisiert, wie Wissenschaft funktioniert, oder?
Leonie: Wir wollen uns Gedanken über die Grundlagen unserer Arbeit machen. Eine Formalwissenschaft wie Mathematik ist von vorne herein exakt. Bei den Naturwissenschaften von Physik über Chemie zur Biologie betrachtet man aber immer komplexere Systeme, daher müssen immer gröbere Näherungen verwendet werden. Das macht die verwendeten Methoden anfällig für menschliche Schwächen. Aber wird man der Welt auf diese Weise auch wirklich gerecht? Erklären wir sie so, wie sie ist oder wie wir denken, dass sie sein sollte?  

In eurem aktuellen Journal stehen zwei Artikel. Wird es künftig nicht schwierig werden, genug Texte zu bekommen? Wissenschaftler sind eitel und haben vielleicht gar keine Lust, ihr Scheitern einzugestehen.
Thomas: Natürlich sagt niemand gerne, dass er nicht fähig war, eine Aufgabe zu lösen. Aber deshalb wollen wir ja die Wissenschaftskultur ändern.
Leonie: Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass Wissenschaftler in 90 Prozent ihrer Zeit scheitern. Es klappt selten was auf Anhieb. Wissenschaft ist kein Geschäft, in dem einem ständig „Durchbrüche“ gelingen. Die sind ehrlich gesagt selten.                 





Text: peter-wagner - Illustration: Katharina Bitzl; Foto: Mathias Pabst

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