Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

jetzt-Kosmos, Bild und Judith Holofernes

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Am Freitag sorgte ein User-Text auf jetzt.de für große Aufregung im deutschsprachigen Internet: synthie_und_roma hatte eine Antwort auf die Antwort von Judith Holofernes Ablehnung einer Kooperation mit der Bild-Zeitung erfunden. Die Sängerin von "Wir sind Helden" will nicht für die Bild-Zeitung werben. synthie_und_roma erfand eine Antwort.







Der Mann, der bei Jung von Matt synthie_und_roma war.

Am letzten Freitag wurde das Erregungspotential sozialer Medien zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit optimal ausgeschöpft. Nach dem allseits beliebten Guttenberg-Bashing, schlug Judith Holofernes, die Sängerin der Band "Wir sind Helden", verbal gegen die BILD-Zeitung zurück. Deren Agentur Jung von Matt hatte es doch tatsächlich gewagt, die konsumkritische Band anzufragen, ob sie bei der aktuellen Kampagne der Boulevard-Zeitung mitmachen wollte.

Ihre BILD-kritische Antwort als offener Brief machte blitzschnell die Runde im Internet. Viele User - vor allem auf Twitter - waren von 2.0 auf 180 in wenigen Klicks. Mir kam sofort die Idee, darauf eine satirische Antwort der Agentur Jung von Matt zu schreiben. Denn die Sängerin hatte zwar sehr deutlich "Nein" gesagt, aber eigentlich die ausführlichste Antwort aller Prominenten gegeben. Das würde für ein riesengroßes virtuelles Plakat reichen. Es wurde auch zur besten BILD-Werbung seit langer Zeit (und nicht zu vergessen: auch fürs neue Album der Band).

In meinem Büro angekommen, textete ich die Antwort auf die Antwort in wenigen Minuten. Das erklärt die vielen Fehler, aber ich dachte auch, dass ich wie üblich nur für die etwa 160.000 registrierten jetzt.de User schreiben würde und nicht für sehr viele Menschen mehr. Ich packte - um mal eine Helden-Metapher zu wählen - den Satire-Vorschlaghammer aus und schlug fröhlich auf alle Beteiligten ein: die Zeitung, die Agentur und die Sängerin. Niemals hätte ich geglaubt, irgendjemand könnte denken, dass wäre echt.

Zunächst postete ich meine Antwort-Antwort auf jetzt.de, um dann auf Twitter zu verkünden: die Antwort der Werbeagentur Jung von Matt ist im Netz. Einige meiner Follower retweeteten die Botschaft und kurz darauf verbreitete sich der Text viral wie ein Lauffeuer. Ein angesehener Branchendienst wie kress.de übernahm ihn ungeprüft und auch seriöse Medien, wie der Kölner Stadtanzeiger und der Standard aus Österreich berichteten über die scheinbare Antwort, als wäre sie eine richtige. Selbstverständlich habe ich sehr darüber gelacht. Auch das Jung von Matt dann wirklich eine Stellungnahme abgeben musste, um klarzustellen: die Antwort auf die Antwort ist nicht von uns, war lustig.

Einige Aspekte kamen zusammen, um das zu ermöglichen. Das Thema war hochaktuell und die Bereitschaft der User neue Informationen darüber weiter zu verbreiten, entsprechend groß. Zudem taugen Boulevard und Werbung bei einer bestimmten Klientel als wunderbares Feindbild. Speziell Werbern traut man wohl wirklich einiges an Arroganz und Überheblichkeit zu. Gerade die sehr erfolgreiche Werbeagentur Jung von Matt hat viele Neider innerhalb und außerhalb der Werbeszene, die sich richtig gefreut hätten, wenn die so einen Fehler gemacht hätten. Nicht umsonst hat kress.de mit großer Schadenfreude darüber berichtet.
Sehr beliebt war darüber hinaus der Seitenhieb: "weltverbesserische Neofeministin". Vielleicht, weil das viele Medienvertreter denken, aber niemals sagen würden. Aber gerade dafür gibt es ja Satire.

Die ganze Aktion macht klar: Es gibt auch unter superschlauen Nicht-BILD-Lesern jede Menge leichtgläubige Menschen. Man muss sich nur die Kommentare unter meinem Text ansehen. Sogar lange nachdem der Fake aufgeflogen war, wurde dort teilweise übel geschimpft: auf die BILD, die Werber und überhaupt. Selbst die eigentliche Kritik von Judith Holofernes ist nicht unbedingt schlau. Am schlimmsten finde ich, dass sich ihre Kritik nur an die selbst ernannte urbane Bildungselite richtet, die das Blatt (böse, böse!) liest. Hauptschüler ohne Grips, die können ja nicht anders, aber warum müssen denn Menschen mit Nerdbrille, Grafik-Studium und den richtigen Freunden so was lesen?

Es gibt viele gute Gründe, die BILD kritisch zu sehen, man würde sich dann aber wenigstens ein paar Gedanken wünschen, die mehr sind als sattsam bekanntes. Und die vielleicht auch bedenken: die BILD ist mächtig, aber nicht allmächtig.
Überhaupt sind sich BILD und Holofernes eigentlich viel ähnlicher, als zumindest die Sängerin glaubt: Beide haben - auf ihre Weise - ein Weltbild, dass auf klarer Aus- und Abgrenzung beruht. Und nur weil die Gründe bei Judith Holofernes vielleicht bessere sind, als bei der Springer-Presse, ist Abgrenzung grundsätzlich abzulehnen. Denn das Ergebnis kann man jeden Tag in den Innenstadtbezirken Berlins bewundern: Wohlstands-Ghettos der Dienstleistungsgesellschaft für Leute, die gerne unter sich bleiben und sich gegenseitig versichern, was für gute Menschen sie sind. Und wie intelligent.


synthie_und_roma heisst Alf Frommer und hat 13 Jahre in Werbeagenturen gearbeitet. Zuletzt als Creative Director. Heute führt er mit einem Partner eine Fotografenrepräsentanz in Berlin.

Mehr zum Thema: Das jetzt.de-Interview mit Judith Holofernes, der erfundene Brief von synthie_und_roma und die Hausmitteilung der Redaktion.








Text: jetzt-redaktion - Foto: dpa

  • teilen
  • schließen