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Oh mein Gott, sie heiraten!

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Daumen hoch für königliche Hochzeiten und die damit verbundenen Tage des Spaziergängerfernsehens, sagt Peter Wagner:

Ich war mal sehr glücklich in Victoria von Schweden verknallt. Sie wusste natürlich nichts davon, aber das Problem hat man beim Verknalltsein ja häufiger. Victoria war mir damals nicht selbst aufgefallen. Meine Mutter hatte mich, ich war gerade so in die Pubertät gekommen, auf die junge Frau aus Stockholm hingewiesen. Wie viele andere Mütter in jener Zeit hatte sie ein erhebliches Faible für die schwedische Königsfamilie. Wahrscheinlich ist das eine Altersfrage. Königin Silvia war ja als Hostess bei den Olympischen Spielen in München, dann kam der King of Schweden und dann kam die Liebe und das Märchen begann und die Victoria wurde geboren. In regelmäßigen Abständen sendet das deutsche Fernsehen seitdem Geschichten aus dem schwedischen Adelshaus und natürlich Adelsgeschichten ganz generell.

Als wieder mal die schwedische Variante lief, hieß mich meine Mutter hinsetzen und wir schauten die Königs an. Dann deutete meine Mutter auf Victoria und ich fand sie tatsächlich ganz schmuck. Wir scherzten, wie es wohl wäre, dort einzuheiraten und dann schauten wir die Dokumentation zu Ende. Es waren die immergleichen Bilder von glücklichen Menschen in wohlsituierter Umgebung. Manchmal winkten sie, manchmal rannten schwarze Collies durchs Bild, schließlich wurde ein Adelsexperte befragt. Ein paar Jahre später verstand ich den Wert solcher Sendungen und solcher Bilder. Der Inhalt dieser Filme war egal, um es genau zu sagen. Wichtig waren die Bilder, die so etwas wie Creme für die Seele waren. Sinnbefreite, schöne Bilder von offenbar glücklichen Menschen. Sie dienen nicht mal der Zerstreuung nach einem langen Tag, sie dienen allein der Beruhigung. Kein Mensch der Welt hält ein Leben aus, das nur aus „Tagesthemen“ besteht. Deshalb gibt es Königshäuserberichte und Rosamunde Pilcher-Filme. Die kommen wahrscheinlich ganz absichtlich sehr häufig am Sonntagabend, kurz bevor der fiese Montag wieder an der Haustür klingelt. Die Geschichten sind inhaltlich eher so lalü, aber bildlich echt einwandfrei. Alles schaf und grün und küstig. So mag es die Seele am liebsten: immer mit schöner Aussicht und in der zugehörigen Denkblase steht das wohlige Wort „hach“. Der Spaß an dieser Form des sinnbefreiten Aussichtsfernsehens ist mir seit meinem Ur-Erlebnis mit Königintochter Victoria nie mehr vergangen. Die Vicky und ich sind zwar nie zusammengekommen (das hätte man ja mitbekommen), aber seit jenem Tag schaue ich ganz gerne eine Stunde lang bei königlichen Trauungen, Wiener Opernbällen oder Inaugurationsfeiern rein. Bei solchen Übertragungen kommt sich das Fernsehen am nächsten. Es wird einfach nur in Echtzeit ein geschmücktes Stück Welt abgefilmt und hergezeigt. Der Zuschauer wird zum Spaziergänger, der wie zufällig stehen bleibt und schaut, was da denn passiert. Deswegen freue ich mich auf die Hochzeit von Kate und William. Es wird ein Tag des schieren Spaziergängertums. Blumen, Klatschen, Tralala. Und danach können von mir aus wieder die „Tagesthemen“ kommen. 

Auf der nächsten Seite die Widerrede von Christian Berg


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Daumen runter für die schnöde TV-Heiraterei, sagt Christian Berg:

"Haben wir keine anderen Probleme?" ist von einer dummen Stammtischfrage in den vergangenen Tagen zu einem offenbar ernsten politischen Argument geworden. Wann immer die umfangreiche Schummelei des Verteidigungsministers gerechtfertigt werden soll, wird diese Frage bemüht und so möchte ich sie mir folgend ausleihen, um den Blick auf die politische Dimension des Heirats-Schwindels zu richten. Um einen Heirats-Schwindel handelt es sich im Rahmen der royalen britischen Hochzeit nämlich, weil sie wie ein Schwindel unseren Blick trüben will. Wir sollen abgelenkt werden von allen großen Mauscheleien auf politischer Ebene, die vom Irak-Krieg bis zum Rettungsschirm reichen.

Die Ablenkungs- und Verblendungs-Mechanismen der westlichen Welt haben sich von den Inszenierungen zu Hofe fast vollständig entfernt. Sie greifen heute zu den Mitteln der Kulturindustrie in Kino, Fernsehen und im Internet. Dadurch verlieren sie nicht an blendender Strahlkraft - auch das beweist die Debatte um einen adligen Verteidigungsminister. Im Falle der britischen Brautleute, die dieser Tage ihre Hochzeitseinladungen verschicken, liegt der Fall noch klarer: Sie haben meiner Meinung nach nicht mal mehr einen Unterhaltungswert. Anders als das Dschungelcamp oder ein trashiger Kinofilm fehlt dem Spektakel auf der Insel sogar der Inhalt. Denn bei aller Liebe: Die Eheschließung ist die langweiligste aller Erzählungen.

Wenn Menschen mit vollem Verstand sich auf diese inhaltlose Inszenierung einlassen, fehlt mir dafür das Verständnis. Es ist ein überholtes Steuerverschwendungssystem, das mir keinesfalls romantische Stimmung, sondern ausschließlich schlechte Laune macht. Deshalb meine dringende Bitte an alle diejenigen, die keine offizielle Einladung bekommen haben: Behandelt diese Eheschließung wie alle anderen, zu denen ihr nicht eingeladen seit. Freut euch mit den Liebenden und kümmert euch fortan um Wichtigeres.


Text: jetzt-Redaktion - Illustration: Christopher Stelmach, Foto: AP

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