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Leichtigkeit im Retroformat

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Zu den vielen seltsamen Eigenschaften des Internets gehört es, sich fortlaufend selber zu modernisieren. Lange bevor irgendjemand einen Bedarf anmeldet, werden die verwendeten Standards erneuert, die Angebote verbessert und die Möglichkeiten jedes Einzelnen wundersam erweitert. In diesem unheimlichen Selbsteroptimierungsdrang verschwindet ständig ein Stück Netz-Lebenswelt und wird durch ein neues ersetzt, während das Einzige, was in seinen Fähigkeiten annähernd gleich bleibt, der Endbenutzer am Bildschirm ist. Er spaziert über seine alten Web-Wege und um ihn herum wird dabei ununterbrochen eine neue Stadt gebaut. Netz-Nostalgie wäre deswegen ein ergiebiges Feld, allerdings steckt sie noch in den Kinderschuhen. Wer sich wieder einen 486er-PC mit Nadeldrucker aus dem Sperrmüll fischt, der guten alten Zeiten wegen, gilt heute jedenfalls noch nur als stark auffällig.

Zum Pionier könnte in dieser Hinsicht aber das gif werden, es ist auf dem besten Weg als Liebhaberobjekt der Netzgemeinde in die Geschichte einzugehen, als Vespa der Grafikformate. Seit 1989 hält es die Stellung, komprimiert klaglos, lässt sich anhängen und überallhin verschicken, wird laufend umbenannt oder in .jpg umgewandelt und ist eben trotzdem immer noch da, das gif, die alte Frontdatei.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Dieses sympathische Durchhalten liegt zu einem großen Teil an einem Talent, das ihm seine Erfinder bei CompuServe (auch so etwas, das man längst vergessen hat) impften: die Animierbarkeit. Das gif hatte von Anfang an die Fähigkeit, laufen zu lernen. Es funktioniert wie beim Daumenkino, man kann mehrere Einzelbilder auf einem einzigen gif speichern und sie nacheinander abspielen lassen – fertig sind kleine Film-Sequenzen. Diese charakteristische gif-Bewegung, die sich oft in die Unendlichkeit wiederholte, gehört zum Netz wie der Mausfinger über einem Link und war in Zeiten des statischen Internets ein enormer Hingucker. Ende der 90er-Jahre gehörte zu jeder Amateur-Homepage nicht nur Corel-Draw-schattierte Schrift, gerne drehten sich die wichtigen Begriffe auch um die eigene Achse oder setzten sich immer wieder neu zusammen. In dieser Zeit hätte man .gif auch in .trash umbenennen können und es hätte nicht verwundert, wenn es mit dem anderen Krempel der ersten Tage, mit AOL, Modem-Trillergeräusch und dem Ausdruck „ruckeln“ verschwunden wäre.

Aber die kleine gif-Sequenz ist immer noch da, auch in Zeiten eines Netzes, in dem an jeder Homepage-Ecke HD-Filme laufen. Nicht nur das: Sie ist zu einer elementaren Ausdrucksform einer ganzen Netzkultur geworden. Ihre Schlichtheit und die verknappten Ausdrucks-Möglichkeiten machen sie für die Blogosphäre anhaltend interessant. Während die Attraktivität von witzigen YouTube-Clips ihren Zenith überschritten hat, ist das animierte gif weiterhin auf den Blogs zu finden. Schließlich stellen die wenigen Sekunden, die so eine Animation wegen der Speicherkapazität maximal dauern darf, beste Rahmenbedingung für eine Pointe dar, ähnlich wie Tweets oder die 160 Zeichen einer SMS. Sie kostet den Betrachter kaum Zeit, den Blogger kaum Speicherplatz. In ihrer dauernden Wiederholung persifliert sie sich auch gleich selbst, verlangt nichts vom Wanderer, keine Erklärung, keinen Kommentar, keine Bewertungssternchen, das gif ist die gespeicherte Leichtigkeit und Lebenslust des Webs.

So gibt es auf den täglich millionenfach angesurften Blogs und Plattformen mit Lachversprechen (zum Beispiel: www.bannedinhollywood.com) längst eigene gif-Bereiche, in denen mit viel Sorgfalt Winzigkeiten zelebriert werden. Die Katze, die unendlich oft in ihre Milch niest, Hasselhof wie er unentwegt durchs Meer paddelt, bestimmte Kinofilmsekunden, die ohne gif-Dateien nie konserviert worden wären. Als Animation sind sie nicht nur konserviert, sie wurden richtiggehend zum Leben erweckt. Da ist auch keine Play-Taste, die erst jemand drücken muss, das gif läuft immer, vielleicht sogar wenn keiner hinsieht, wer weiß das schon? Es ist ein williger Vollstrecker des Bürohumors, sicher und hat in den meisten Fällen nur minimalistisches Gagpotenzial, aber das ist eben, wie das Netz heute lacht: nicht schenkelklopfend, sondern verspielt.






Text: max-scharnigg - Foto: Screenshot

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