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Das Ende der Wettergespräche

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Wer nicht durch die Abschlussprüfungen fallen will, muss am Trinity College in Dublin ein Ritual beachten: Man darf nicht zur Unzeit unter dem Glockenturm auf dem großen Innenhof der Universität stehen. Wer durch den steinernen Bogen unter dem Bauwerk geht, wenn die Glocke der Kirchenuhr schlägt, den straft das Schicksal mit schlechten Noten. Sagt der Aberglaube.

  Als Orna McDonald vor zwei Jahren nach ihrem Englisch- und Soziologiestudium mit Talar und Hut und einem Summa cum laude-Abschluss durch den Bogen schritt, war ihr das egal. Als Absolvent, sagte sie, sei man ja risikofrei. „The world is your oyster wurde uns jahrelang eingetrichtert“, erinnert sich Orna. „Es hieß, ein guter Abschluss von unserer anerkannten Uni sei der Garant für alles.“

  Aber weder der Status der Uni noch ihr exzellenter Abschluss haben Orna, 24, einen Arbeitsplatz verschafft. Auf ihre Bewerbungen an Kultureinrichtungen oder Agenturen für Eventmanagement folgten nur Absagen. Selbst eine Praktikumsbewerbung bei Google blieb erfolglos. Dafür kam ein Angebot aus Beirut im Libanon. „Der Flug wurde gezahlt, die Wohnung gestellt, ich hatte zu Hause keine andere Job-Alternative – also habe ich ein Jahr lang für eine libanesische Schulbuchfirma Lehrmaterial für den Englischunterricht korrigiert“, sagt Orna. Ein Jahr später zog sie zurück nach Irland und hatte keine Idee mehr, was sie machen sollte. Als ihre Schwester die Zusage für eine Assistenzarzt-Stelle in Neuseeland bekam, kratzte sie kurzerhand ihr Erspartes zusammen und flog mit. Im Gepäck war die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz. Inzwischen kellnert Orna am anderen Ende der Welt in einem Restaurant in Napier. „Dass das Gras auf der anderen Seite nicht grüner ist, habe ich inzwischen gemerkt. Ich sitze allein am anderen Ende der Welt. Aber wenigstens habe ich hier schnell einen einfachen Job gefunden.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Dass man trotz Hochschulabschluss Schwierigkeiten haben kann, einen Job zu finden – dieses Problem kennen auch deutsche Studenten. Aber in Irland gab es eine besondere Entwicklung. Studenten wie Orna sind in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs in Irland groß geworden, die häufig mit dem Label „Celtic Tiger“ versehen wird. Von Mitte der Neunziger Jahre bis etwa 2007 wurden durch EU-Subventionen und niedrige Steuern Investoren nach Irland gezogen. Vor allem viele IT-Firmen siedelten sich auf der Insel an, der Immobilienmarkt boomte. Irland wurde vom einstigen Auswanderungsland zum Ziel derer, die Arbeit suchten. In den vergangenen Jahren ist die irische Wirtschaft zusammengeklappt, die Häuserpreise sind um mehr als die Hälfte gefallen, die Arbeitslosenquote ist auf 13,5 Prozent im Dezember 2010 gestiegen. Jetzt wandern wieder die Iren aus, um Arbeit zu finden. Im vergangenen Jahr haben 27 000 das Land verlassen. Fast doppelt so viele wie nur drei Jahre zuvor. Und Uniabsolventen wie Orna oder Robin gehören dazu. „Ich bin mir sicher“, sagt Robin: „Wenn ich nicht 2008, sondern 2006 meinen Abschluss gemacht hätte, ich hätte mir die Stellen aussuchen können.“ Das kann gut sein. Robins Lebenslauf liest sich perfekt. Er hat BWL und Russisch mit einem „1st“ am Trinity College abgeschlossen, hat ein Auslandsjahr in St. Petersburg und Praktika in Kiew und Moskau gemacht, er spricht Russisch und Spanisch. „Ich glaube nicht, dass ich etwas hätte besser machen können, um mich auf den Jobmarkt vorzubereiten. Es ist schwer, gegen eine wirtschaftliche Flaute anzuarbeiten“, sagt Robin. Seinen echten Namen will er nicht nennen, weil er fürchtet, mögliche Arbeitgeber könnten ihn googeln und dann sein Lamento lesen.

  „Ich habe mich in den vergangenen Monaten parallel für verschiedene Stellen im Bereich Personalmanagement, Marketing und PR in Dublin und London beworben – also genau in jenen Bereichen, in denen nach der Rezession Stellen gestrichen wurden.“ Die Resonanz war ernüchternd. „Aus Irland habe ich keine einzige Antwort bekommen“, sagt Robin. Seit einigen Wochen arbeitet er nun als Headhunter in London. Das sei schön und blöd zugleich, sagt er. „Eigentlich wollte ich nie weg. Dublin ist meine Heimat, dort sind meine Freunde und meine Familie.“

  Um den Studenten rechtzeitig zu helfen, werden inzwischen an den meisten Unis Extraprogramme angeboten, „additional skills und work experience“ sind die Schlagwörter auf den Flyern. Aber es hilft nicht immer. Allein in Dublin bekommen zurzeit 30 000 Absolventen Arbeitslosengeld. Viele machen Praktika. Egal, ob bezahlt oder unbezahlt.

  Robin glaubt, dass jene, die es sich leisten können, um die Welt reisen und unterwegs jobben. Robin war selbst in Argentinien, behauptet aber, der Aufenthalt habe nicht in Zusammenhang mit der Rezession gestanden. „Die Iren sind schon immer viel gereist“, sagt er.

  Ciara Brennan ist in Dublin geblieben. Dass die Jobaussichten schlecht sein würden, bemerkte die 24-Jährige im letzten Jahr ihres Psychologiestudiums. Erstmals waren die Hallen und Gebäude an ihrer Universität in Maynooth nicht in eine riesige Job-Messe verwandelt worden, wie es sonst jedes Jahr der Fall war. „Keine der großen Firmen kam – viele hatten ja 2008 ihre Traineestellen gestrichen“, erinnert sich Ciara. Trotzdem bekam sie einen Halbjahresvertrag als Betreuerin für Kinder mit Lernschwierigkeiten. „Das hat mir soviel Spaß gemacht, dass ich gleich noch ein Aufbaustudium als Grundschullehrerin machen wollte.“ Das ist eine neue Entwicklung. Die Anzahl der irischen Studenten, die einen Master machen, ist im vergangenen Jahr um vier Prozent auf 45 Prozent gestiegen. In Deutschland, wo ein Bachelor-Abschluss häufig nur als Zwischenprüfung gewertet wird, wäre das vielleicht ein willkommener Trend. In Irland und Großbritannien gilt ein Bachelor aber durchaus als abgeschlossenes Studium – in den Traineeprogrammen der großen Unternehmen wird „nur“ ein Bachelor vorausgesetzt. Zudem ist der Master meist kostspielig. Während der vierjährige Bachelor an den staatlichen Universitäten wie Trinity College 1500 Euro pro Studienjahr kostet, variieren die Kosten für einen Master zwischen teuer und extrem teuer. Für Robin kam ein Business Master in Irland nicht in Frage. Die Zusatzausbildung hätte ihn zwischen 15.000 und 30.000 Euro gekostet.

  Ciaras Kurs kostet für eineinhalb Jahre 8900 Euro. Allerdings war es nicht besonders leicht, den Platz überhaupt zu bekommen. Erst beim dritten Bewerbungsversuch wurde sie genommen – trotz Arbeitserfahrung und einer Bachelornote von 2,1. Ihre zahlreichen Versuche, sich um einen Arbeitsplatz zu bewerben waren vorher gescheitert: „Alle Institutionen, auch die Kindergärten, erwarten zwei Jahre Berufserfahrung. Die hatte ich nicht.“

  Einige Monate war Ciara arbeitslos gemeldet, bis sie zur Überbrückung eine halbe Stelle bei O’Briens, einem Alkohol-Supermarkt, bekam. Und dabei hatte sie Glück: „Selbst diesen Job habe ich nur durch Beziehungen bekommen.“ Nun hat sich Ciara selbst etwas versprochen: Wenn sie nach dem Masterabschluss auch keine Stelle findet, reiht sie sich in die Schlange derer ein, die Irland verlassen. „Wir Iren reden normalerweise immer über das Wetter. Heute reden wir ebenso beiläufig über den EU-Rettungsschirm. Mir waren die Wettergespräche lieber.“

  Ornas Gang durch den Glockenturm ist auf einem Bild auf ihrem Computer gespeichert. Es wird so bleiben wie es ist. „Aber mein Uni-Wissen, die vier Jahre, in denen ich soviel über Gesellschaftsstrukturen und Interpretationsstile gelernt habe – all das verblasst und verliert an Wert“, sagt Orna nachdenklich. Sie beginnt den irischen Schriftsteller Oscar Wilde zu zitieren, der auch Student am Trinity College war: „We are all in the gutter, but some of us are looking at the stars.“ Es klingt traurig, den Spruch von der Gosse und den Wenigen zu hören, die dabei in den Himmel schauen können. „Immerhin daran kann ich mich noch erinnern“, sagt Orna. Ihr Lachen klingt aber abgehackt. Die Skype-Verbindung nach Neuseeland hängt.



Text: fiona-webersteinhaus - Foto: rowan/photocase.com

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