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L. sitzt auf dem Küchentisch (II)

Text: irrgaertnerin

L. sitzt auf dem Küchentisch und wippt mit seinen Füßen. Seit mindestens drei Minuten tut er das schon und ein jedesmal wenn ich mich umdrehe, möchte ich ihm sagen, dass er damit sofort aufhören soll. Er hält seinen Kopf schief und sieht mir zu, wie ich das Gemüse klein hacke. Ich weiß ihn hinter mir, ich spüre seinen Blick, ich wünschte es würde vergehen. Seit der Entschluss getroffen wurde, L. gehen zu lassen oder vielleicht auch L. zum Gehen zu bringen, sind die Tage länger und die Sonne noch heißer als zuvor. L. schnarcht nachts leise und ich liege neben ihm und starre an die Decke. Ich frage mich dabei nichts, sondern zähle immer wieder bis einhundert. Manchmal dreht sich L. zu mir und legt seinen Arm um mich und ich lege meine Arme um seine Arme und kurz denke ich, es könnte so weitergehen, es wäre morgen schon wieder alles anders. Aber dann fällt mir die Schwere von L.s Arm auf und dass ich immer noch nicht schlafe und wenn ich morgens bereits geduscht habe, wenn er aus dem Bett kriecht, so warte ich mit angezogenen Beinen in der Küche und L. küsst meinen Mund und ich frage mich, ob es das 5. letzte Mal ist oder das 10. letzte Mal und ob L. denn gar nichts merkt.



Jetzt fängt L. an ein Lied zu summen. Er summt und schnippt mit seinen Fingern. Ich schneide noch zwei Karotten, dann muss ich diesen Raum verlassen, denke ich, aber dann spüre ich L.s Hand auf meiner Schulter und seinen Atem in meinem Haar und L. sagt: „Wir sollten bald verreisen“ und ich nicke und wünschte, er hätte das vor einem Jahr gesagt, als eine jede seiner Berührungen Räume öffnete für mich und die Traurigkeit noch auf dem Baum vor dem Fenster wohnte und mich nicht ansah vor dem zu Bett gehen.



Denn L. und ich, das war mal die Verheißung großer Dinge. Das war ein Tischfeuerwerk in einem kleinen Raum, jede Stunde aufs Neue. Das war ein süßer Pfirsich an einem heißen Sonnentag. Das war Neuschnee zu Weihnachten. Das war ein Gefühl im Bauch, das man noch gar nicht kannte. Das war ein Anruf zur richtigen Zeit. Das war der schönste Film und der schönste Soundtrack noch dazu. Das war Küssen auf einer Wiese im Frühjahr. Das war ein Foto auf dem wir beide in andere Richtungen lachen und doch nur uns meinen. Das war eine Zugfahrt mit lauter Birken vor dem Fenster. Das war ein Herz im Schnee und zwei Buchstaben auch. Das war ein Lied, das nur uns gehörte. Das waren Nachrichten um drei Uhr nachts. Das war ein Sprung von der Brücke in den Fluss. Und das war seine Hand auch unter Wasser noch in meiner zu spüren.



Hätte ich damals ein Buch geschrieben, ich hätte es nur L. gewidmet, ich hätte geschrieben: Für L. und seine Liebe. Ich hätte mich nicht pathetisch gefühlt. Ich hätte L. davon nicht erzählt und wenn er es zum ersten Mal in der Hand gehalten hätte, hätte er mich danach angeschaut, mit diesen glücklichtraurigen Augen und dann hätte er seine Hand in meinen Nacken gelegt und einen Satz gesagt, der die Wahrheit gewesen wäre.



(Und hätte L. ein Album herausgegeben, so wäre mein Name in jedem Lied mitgeschwungen. Ich wäre auf Konzerten in der dritten Reihe gestanden. Ich hätte später Buttons für ihn verkauft und im Backstagebereich hätten wir herumgeknutscht, als wären wir Teenager. Als wäre dann morgen schon alles vorbei.)



„Wohin?“ frage ich L. und er sagt, er wisse es auch nicht. Aber wir sollten das machen, wir brauchen andere Ausblicke, wir könnten nicht noch einen Sommer die Äste des Baumes vor dem Küchenfenster zählen. „Wie Recht du doch hast“, sage ich und meine dabei etwas anderes als L., aber finde nicht den Mut ihm das zu sagen.



Später essen wir und ich blicke ihn nicht an. L. spielt mit seinem Handy, es macht mich wütend. Er sagt, er müsse dann los und G. treffen, aber wir könnten ja heute Abend vielleicht einen Film schauen und ich schüttle meinen Kopf, ich sage, ich wäre gerne ein wenig alleine und müsse außerdem noch Sachen für die Arbeit erledigen. In Ordnung, sagt L. und nimmt ein Stück Zucchini von meinem Teller. Du bist wunderschön heute, sagt er auch. Und ich beiße mir auf die Lippen und stoße mit meinem Knie an seines und sage: Der Baum hat 34 Äste. L. lacht kurz und L. sagt: Du bist mir aber eine.

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