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10 Mädchen kurz vor Jahresende

Text: Liccy
Wir sitzen alle um einen Tisch. Jedes Jahr kurz vor Jahresende. 10 Mädchen, die einmal zusammen angefangen haben. Eigentlich sind sie jetzt Frauen.

Damals griffen wir nach den selben Sternen. Sie glitzerten gleich. Da oben und in unseren Augen.Wir waren aus derselben Milchstraße. Mittlerweile irgendwie jeder auf einem anderen Planet. Dazwischen liegen die Lichtjahre, die wir zwischendurch ohneeinander flogen. Flugbahnen, von denen nur jeder selbst weiß, wie sie sich anfühlen, wenn man sie fliegt.

Damals, da brauchte man keinen Übersetzter. Ein Freund, eine gute Party, das Abitur. Das Leben war ein Song von Destinys Child.

Man muss jetzt soviel erklären, was man da eigentlich macht. Den ganzen Tag. Von Montag bis Freitag. From 9 to 5. Wie man dahin kam, wo man jetzt steht. Wie man wurde, was man ist. Jetzt hier am Tisch. Kurz vor Jahresende. Lichtjahre an Erklärungen.

Man wünscht sich eine Software, die einfach das rüberdownloaded, was da alles war. Per Blue Tooth auf die andere, die neben einem sitzt. Eine Zip-Datei, wo alles drin ist, was uns gerade trennt. All die Gefühle, die Hoffnungen, Enttäuschungen, den Spaß, den Frust, den man jetzt nicht in drei Sätzen erklären kann. Das ganze amorphe Gefühlspaket, zack, klick, rüber. Du verstehst?

Es schwingen jetzt alle diese neuen Vernetzungen im Gehirn mit. Die, die sich bildeten als wir jeder alleine das Leben durchlebten. Zu hause am Küchentisch, als die Hände den viel zu schweren Kopf stützen. Im Büro auf dem Klo, wo man sich fragte: Wo bin ich hier eigentlich? Im Bett des nachts, als man hellwach an die Decke starrte, entfremdet von dem, der da neben einem lag. All die Lektionen, die jetzt nur im Buch über uns selbst stehen und nicht im Poesiealbum einer Peer-Group. Erfahrungen, die nur wir verstehen, Tränen, die nur wir geweint haben, Erleichterungen, deren Schwere nur auf unserem Rücken lag. Schlüsselmomenten, die das Leben sorgfältig für jeden einzelnen ausgesucht hat. Wie ein Fingerabdruck, unverwechselbare Lebens-DNA.

Früher da ging das leichter. Dieser Small-Talk. Es ging nur ums Reden. Das Reden war eine Ebene. Reden alleine war wie Schokolade. Reden, reden, reden, Wörter aneinanderreihen. Reden alleine machte glücklich. Als sei es nur das - die Schwingung der Stimmbänder, das Formen der Lippen, das Töne herausbefördern, was eine Balsam über die Seele legte. Locker, leicht, frei.

Das war wie ein Song aus den Charts, den jeder hörte. Wie eine Klamotte, die jeder trug. Wie der Typ auf dem Poster, den jeder anhimmelte. Easy.

Jetzt schwingt da soviel mit. All die Vernetzungen, die sich da in unseren Hirnen gebildet haben. Bei jedem für sich. Aufs neue. Ganz anders. Ganz individuell. Sie blinken auf. Aktiviert von irgendeinem Kontext. Mutter sein in der Theorie, das war so leicht wie Puppen spielen. Puppen spielen - das kannten wir alle. Jetzt ist man es. Oder man ist es nicht.  Es blinkt, es kracht, es surrt in den neuronalen Vernetzungen, im individuellen Gedächtnis. Im Wollen und Haben.

Arbeiten, Karriere, eine Wohnung, ein Mann, eine Weltreise, Heiraten, Geld, ein Haus, ein Garten, ein Hund, ein Umzug, das Ausland, die Trennung, das Single-Sein, das Party machen, das ruhiger werden, die Eltern, die Krankheit. Man hat es, man hat es nicht. Man will es und will es nicht. Es blinkt, es surrt, es kracht.

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