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Der Berlin-Hipster Er trägt eine neongelbe Sonnenbrille und weiße Tennissocken, die trotz des sibirischen Winters in Flipflops stecken. Auf dem unendlichen Gebiet der Coolness glaubt er, alles erreicht zu haben, weshalb sein Selbstbewusstsein auf Gorilla-Größe gepumpt worden ist. Vielleicht macht er nichts Besonderes, vielleicht läuft sein Studium schlecht, vielleicht tun ihm die Drogen nicht so gut aber das ist alle unwichtig, denn er lebt in der coolsten Stadt des Universums. Das beneidest du klammheimlich, nicht ihn, aber sein Selbstbewusstsein. Als er ein Club Mate Wodka bestellt, schaut ihn der Wirt der Superpop-Bar mit großen Augen an und sagt: "Du kannst einen Glühwein haben." Der Hipster ist von dieser uncoolen Provinzialität schwer genervt und bestellt sich widerwillig ein Bier. Nachdem er festgestellt hat, dass er seine Attraktivität nicht steigert, bloß weil er möglichste viele seiner Sätze mit "Letztens im Berghain..." beginnt, bröckelt seine Fassade. Gegen zwei Uhr singt er im astreinen Baierisch "I wui wieda ham!" von STS. Satz-Inventar: "In Berlin geht man nicht vor zwei Uhr weg." "Du studierst jetzt in Würzburg? Echt? Da könnte ich ja nicht leben." "In Berlin hält sich niemand ans Rauchverbot." "In Berlin... jetzt habe ich vergessen, was ich sagen wollte."  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die erste Liebe Ist dicker geworden. Das ist gut so. Sonst könnte man am Ende noch auf den Gedanken kommen, dass da doch nicht alles schlecht war. Sie zieht noch immer die Enden ihres Pullovers, was du damals ganz drollig fandest. Jetzt sollte sie sich das mal abgewöhnen. Vier Stunden später stehst du alleine mit ihr am Tresen. Du bist betrunkener als sie, aber das war früher auch schon immer so. Ihr redet darüber, wie ihr damals in der Kiesgrube im Freien miteinander schlafen wolltet. Du denkst an Sex, sie sagt, dass du dich in einem Ameisenhaufen gelegt hattest. Sie lacht laut, du auch, du versuchst sie zu küssen. Sie lacht noch lauter, hinter ihr steht der Wolfi aus dem Fußballverein und blickt dich mit roten Stieraugen an. Sie sagt: "Der Wolfi und ich, wir feiern dieses Jahr bei seinen Eltern, weil wir heiraten ja nächstes Jahr. Bei meinen Eltern ist eine Anliegerwohnung frei." Satz-Inventar: "Zur Zeit sind die Zinsen sehr niedrig. Es macht wirklich Sinn, jetzt ans Bauen zu denken." "Der Wolfi und ich haben uns einen Flachbildfernseher gekauft." "Eine Banklehre ist halt etwas Sicheres. Danach kann ich immer noch studieren."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Business-Typ Weihnachten ist die einzige Zeit im Jahr, in der er in seine Heimat zurückkehrt. Früher war er der Nerd, der sich angewidert abwandte, als alle anderen schon am Mittag nach der Abi-Prüfung Bierflaschen öffneten. Im Wirtschafts- und Recht-LK, den du nur aus Verlegenheit gewählt hattest, lag auf seinem Pult das Buch "Der Porsche-Chef: Wendelin Wiedeking - mit Ecken und Kanten an der Spitze". Volldepp, habt ihr damals gesagt, und dass ein Abi-Schnitt von 2,8 doch vollkommen ausreichend ist. Jetzt sitzt er da vor seiner Weinschorle, erzählt von seiner Freundin in London und einem Urlaub in Singapur. Er zeigt allen ein Foto von seinem Auto, die Marke hast du vergessen. Volldepp, denken alle. Aber es nagt der Gedanke, dass sich die Bezugsgrößen des Lebens langsam verschieben. In fünf Jahren lebst du noch immer in einer WG (ohne Bodenleisten, aber dafür mit Parkett), da hat er schon eine Eigentumswohnung. In sieben Jahren bist du endlich mit deiner Doktorarbeit fertig, da hat er schon in Seoul, New York und Mumbai gelebt. In 20 Jahren hast du noch 40 Jahre bis zum ersten Herzinfarkt, er hat seinen schon hinter sich und spielt seitdem nur noch Golf. Satz-Inventar: "Es ist schon echt krass, wie sehr wir uns entwickelt haben, also ich zumindest." "Der Flughafen von Shanghai ist echt Wahnsinn. Aber nichts gegen den von Singapur." "Ich geb dir mal meine Business Card, auf meinem Blackberry kannst du mich eigentlich immer erreichen. Vielleicht brauchst du ja mal einen Job."



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Illustration: Julia Schubert

Der, der immer noch da ist Die Babsi ist jetzt mit Fritz zusammen, der Wolfi, das weißt du bestimmt schon, hat sich vor einem halben Jahr mit der Sandra verlobt. Ins "Twilight" braucht man jetzt echt nicht mehr zu gehen, da sind nur noch Kinder, aber dafür hat vorn neben dem Rathaus das "Scream" aufgemacht und das ist gar nicht schlecht, also für Dingsstetten zumindest. Der, der immer noch da ist, hat sich von allen am wenigsten verändert, dafür weiß er über alles im Dorf Bescheid. Er wohnt wie während der Schulzeit im ausgebauten Dachboden im Haus seiner Eltern. Er hat da alles, was er braucht, sagt er. Spätnachts stellt man ihm die verbotene Frage: Warum bist du eigentlich noch immer hier? Es folgt ein verzweifelter Monolog aus komplexen Erklärungsversuchen: Weiß er nicht so genau weiß, was er studieren soll, weil kein Geld da ist, weil er die Landschaft irgendwie mag, weil der Job im Baumarkt gerade echt Spaß macht. Am Ende stützt er den Kopf in die Hände und sagt: Ich muss auch mal weg! Macht er aber nicht. Er bleibt da, wird später Abteilungsleiter im Baumarkt, macht beim Krippenspiel des Dorfs den Joseph und kandidiert für den Gemeinderat. Satz-Inventar: "Jetzt wo du da bist, können wir doch mal wieder Playstation spielen. So wie früher." "Die letzten beiden Schuljahre waren die schönsten in meinem Leben. Als noch alle hier waren..." "Dingsstetten hat halt einen wahnsinnig hohen Freizeitwert."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Ex-Mauerblümchen "Ist das wirklich die Untersberger Bine?" Eine Frage, die du an diesem Abend einmal selbst stellst und noch sechsmal von anderen Personen konspirativ gefragt wirst. Ist diese verrucht aussehende Frau mit den Augenringen und der Netzstrumpfhose wirklich die Untersbergerin? Als die Untersberger Bine, die noch vor zwei Jahren aussah, als sei sie von Hello Kitty" gesponsort? Der das Blut in den Kopf schoss, wenn sie vor der Klasse etwas sagen musste? Die dann in der Kollegstufe mit dem mindestens ebenso schüchternen Egbert zusammen war? Jetzt steht sie an der Bar, raucht, obwohl man gar nicht rauchen darf, und streut mehrmals! das Wort Intimpiercings in ihre Erzählungen ein. Nach Mitternacht erscheint ein Schrank in schwarzer Ledermontur, packt die Untersbergerin Bine ein und fährt mit ihr zum Rocker-Weihnachtsstammtisch. Satz-Inventar: "Im neuen Jahr lass ich mir noch eines stechen. Dreimal darfst du raten wo." "Jetzt kann ich's ja sagen: Ich hatte in der Zehnten ein Verhältnis mit dem Mathelehrer." "Jungs interessieren mich nicht, ich brauche richtige Männer."  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Weltenbummler Er hat gerade ein soziales Jahr in Timbuktu verbracht und dort mit einer NGO Wasserleitungen für ein Wüstendorf gebaut. Anschließend war er noch drei Monate mit dem Rucksack unterwegs. Eigentlich wollte er noch gar nicht zurückkommen, aber dann ist er doch gekommen, weil seine Mutter ihn an Weihnachten hier haben will. Er ist braun gebrannt, seine Haare sind von der Sonne gebleicht: Er sähe richtig gut aus, wäre da nicht dieser grenzdebile-melancholische Blick: Ihm kommt das alles verdammt dekadent vor. In Timbuktu haben die Leute kaum Wasser und hier trinken die Menschen acht Bier an einem Abend. Überhaupt erscheint ihm alles gerade wahnsinnig profan, konsumorientiert und kleinbürgerlich. Allein wie viel Müll diese Geschenkverpackungen verursachen! Die Leute hier wissen anscheinend nicht, wie gut sie es haben. Satz-Inventar: "Die Menschen dort haben zwar nichts zu essen, aber sind trotzdem viel glücklicher als hier!" "Wir haben dort water pipes gebaut, weil der Wasser Supply in der Desert ist echt, wie heißt das gleich wieder auf Deutsch, insufficient?" "Spirituell gesehen ist Deutschland echt im Arsch. Dieses Weihnachten ist doch nur ein Konsumfest."

Text: philipp-mattheis - Illustration: katharina-bitzl

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