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Mütterdämmerung

Die Untersuchung 'Die deutsche Angst vorm Kinderkriegen' belegt: Der Zwiespalt moderner Frauen ist nicht kleiner geworden
Text: max-scharnigg







München - Nur einmal andersherum gedacht, rein theoretisch: Was wäre wohl passiert, wenn Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin, machtbewusst, schwanger, vergangene Woche via Brigitte verkündet hätte, sie wolle nach der Geburt ihrer Tochter eine Weile im Beruf aussetzen und sich ganz aufs Muttersein konzentrieren? Was, wenn sie auf die fähigen Kollegen verwiesen hätte, die sie in der Zwischenzeit gut vertreten würden?



Man darf davon ausgehen, dass sie sich damit zumindest außerhalb ihrer katholischen Heimatgemeinde nicht viele Freunde gemacht hätte. Das Heimchen am Herd hat und wählt der moderne Deutsche gar nicht gern. Zum Glück, könnte man da meinen, hat Nahles genau das Gegenteil gesagt: Sie wolle nach zwei Monaten wieder voll in die Politik einsteigen, schließlich sei doch ihr Job 'einer, der Begehrlichkeiten weckt'. War aber auch nicht richtig. Die Rabenmutter, die sich mehr vor mangelnder Solidarität ihrer Kollegen fürchtet als vor mangelnder Fürsorge für ihr Kind, kommt nämlich auch nicht gut an.



Es ist wahrscheinlich selten der Fall, dass sich die Mehrheit der deutschen Frauen mit Andrea Nahles identifizieren kann, aber ihren momentanen Zwiespalt dürften viele verstehen. Das belegt die Untersuchung 'Die deutsche Angst vorm Kinderkriegen', die Forscher des Kölner Rheingold-Instituts am Mittwoch in Berlin vorgestellt haben. Eine derartige Angst gestanden die Wissenschaftler Männern offenbar gar nicht erst zu, jedenfalls haben sie für ihre 'tiefenpsychologische Studie' ausschließlich Frauen interviewt, insgesamt mehr als 1000, mit und ohne Kinderwunsch. So wollten sie sich ein Bild von der Situation der Mütter und werdenden Mütter in Deutschland machen. Es wurde ein düsteres Bild: Porträtiert wird eine Frauengeneration, die vor allem gelassen sein will - und vor allem verunsichert ist.



Besonders belastend ist dem Kölner Institut zufolge der 'Perfektionszwang', dem sich fast alle Befragten ausgesetzt sehen: Obwohl fast 80 Prozent der Mütter Gelassenheit als ihr großes Ziel beschreiben, fühlen sich nur 44 Prozent wirklich entspannt - viel zu sehr ist ihr Alltag geprägt von der 'Zerrissenheit zwischen liebender Mutter und attraktiver beziehungsweise erfolgreicher Frau', stellt die Untersuchung fest: 'Sie wollen sich selbst verwirklichen, aber keinesfalls zu egoistisch einer eigenen Selbstgestaltung folgen.' Das Problem ist also nicht nur, den Mittelweg zwischen Andrea Nahles und überfürsorglicher Glucke zu finden - sondern auch, sich permanent dafür rechtfertigen zu müssen, diesen Weg gewählt zu haben.



Oft wird der größte Druck dabei allerdings gar nicht so sehr von außen aufgebaut. Sondern es sind vor allem Mütter, die andere Mütter verurteilen. So stellen die Kölner Forscher eine tiefe Kluft zwischen den 'Vollzeitmamas' und den 'arbeitenden Müttern' fest, wie sie bei jedem Schulfest zu beobachten ist: Am lautesten lachen die Hausfrauen über die Mütter, die bloß gekauften Kuchen mitbringen - und am geringschätzigsten schauen die berufstätigen Mütter auf die Selberbäckerinnen. Frauen verteidigen ihre jeweilige Mutterrolle so vehement voreinander, dass 'regelrechte Feindbilder aufgebaut werden', heißt es in der Studie.



Schwanger zu werden ist demnach aber auch mit ganz anderen Ängsten verbunden: So räumt gut die Hälfte der Befragten ein, dass seit der Geburt ihres Kindes dieses im Mittelpunkt stehe und die Partnerschaft in den Hintergrund gerückt sei. Auch Geldsorgen wurden genannt: 42 Prozent der Befragten erklärten, das Mutterwerden stelle sie vor finanzielle Ängste. Daneben treibt viele Frauen die Sorge um, vom Vater des Kindes verlassen zu werden.



Die Untersuchung fragt aber nicht ausschließlich nach den Ängsten der Frauen - sondern auch nach ihren Wünschen und nach Verbesserungsvorschlägen. Für die meisten würde sich die Situation bereits vereinfachen, wenn sie nach der Babypause einfachere Wiedereinstiegsmöglichkeiten in den Beruf vorfänden und wenn an ihren Arbeitsplätzen bessere Teilzeitregelungen angeboten würden. Auch vermehrte und flexiblere Kinderbetreuungsangebote wünschen sich die Befragten.



Viel wichtiger ist für die meisten aber ein geänderter Anspruch an Frauen mit Kindern, der weniger Druck auf sie ausübt. Sie wünschen sich ein Mutterbild, welches 'auch unperfekte Mütter liebevoll und positiv darstellt'. Letztlich, so empfinden es viele, müsse das Kinderkriegen und -haben in Deutschland wieder normaler und unspektakulärer werden: 'Frauen wollen wieder das Gefühl bekommen: Mütter und Kinder, ihr seid willkommen.'



Wer sich trotz alledem noch Kinder wünscht, sollte sich lieber an die Zahlen halten, die die Kölner Forscher ganz zum Schluss nennen: So empfinden zwar 58 Prozent der Frauen ein Kind als 'Kostenfaktor', aber immerhin 61 Prozent auch als 'Kostbarkeit'. Außerdem geben 83 Prozent der Befragten an, sie empfänden Muttersein als 'wunderschön', 76 Prozent bezeichneten dies als 'bereichernd'. Immerhin.



Charlotte Frank




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