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Der Papst schweigt

Mehr als fünf Jahre nach seinem Amtsantritt, revidiert Benedikt XVI. einen kleinen, unwesentlich erscheinenden Teil der kirchlichen Lehre und löst eine neue Debatte aus.
Text: jetzt-redaktion

Er steht da und lächelt, und die Aufregung, die er in der Welt gerade verursacht, bleibt draußen vor der Audienzhalle. Drinnen geht es um 24 neue Kardinäle und die Pilger, die mit ihnen nach Rom gekommen sind. Papst Benedikt XVI. begrüßt die Kardinäle namentlich auf Italienisch und Französisch, Englisch, Deutsch, Spanisch, Polnisch, die Pilger jubeln. Nur über die Kondome spricht er kein Wort, auch wenn mancher in der Halle gerne Näheres darüber erfahren hätte, was der Papst so denkt. Aber Audienzen sind Audienzen und eine Welt für sich.









Wahrscheinlich hätte sich auch mancher der fast 150 Kardinäle gewünscht, der Papst hätte sie vorgewarnt, wenigstens ein bisschen angedeutet, was da kommen könnte, am Freitag, als sie sich vor dem offiziellen Konsistorium versammelten. Sie müssen jetzt in ihren Bistümern erklären, ob das nun eine radikale Kehrtwende, eine kleine Änderung oder im Grunde nichts Neues ist, was der Papst da auf den 14 Zeilen des Interview-Buches mit Peter Seewald gesagt hat. Aber nach allem, was aus der nichtöffentlichen Sitzung zu erfahren ist, redete Benedikt XVI. über viel, nur nicht über die Frage, wann wer ein Kondom benutzen könnte. Nicht jeder soll glücklich über diese Kommunikationsstrategie sein.



Warum hat er das so gemacht? Die Antworten, die man in Rom auf diese Frage hört, sind höchst unterschiedlich. 'Er ist nicht gut beraten', sagt einer, der den Papst durchaus kennt. Und dass Benedikt XVI., der etwas weltfremde Gelehrte und Intellektuelle, sich nicht immer im Klaren sei, welche Wirkungen seine Reden, Interviews, Nebensätze hätten - es aber auch niemanden gebe, der ihm das so nahe bringe, dass er auch danach handle. Demnach hätte also der Papst Peter Seewald auf die Kondom-Frage einfach seine Meinung gesagt, ohne eine bewusste Strategie zu verfolgen, und dürfte sich - anders als Seewald - nun ein wenig über die Wirkung seiner Worte wundern.



Die andere These aber lautet: Papst Benedikt hat durchaus mit Bedacht das Interview-Buch gewählt, um die Haltung der Kirche zu künstlichen Verhütungsmitteln vorsichtig und in einem ersten kleinen Schritt zu korrigieren. 'So funktioniert das, wenn der Papst etwas ändern will', sagt ein Insider: 'Er kann ja nicht einfach sagen, wir machen jetzt alles anders als sein Vorgänger. Also redet er erst einmal eine Weile gar nicht über das Thema. Wenn er die Zeit für reif hält, macht er bei einer formal nicht so wichtigen Gelegenheit eine Nebenbemerkung, dann steht es irgendwann im Osservatore Romano und ist quasi offiziell.'



Tatsächlich hat sich Benedikt XVI. ziemlich genau an diese Abfolge gehalten: Sein Vorgänger Johannes Paul II. hat in den 26 Jahren seiner Amtszeit immer wieder das Verbot von Pille und Kondom bekräftigt - Karol Wojtyla war es schließlich, der 1968 als junger Bischof Papst Paul VI. die Vorlage für die Pillen-Enzyklika 'Humanae Vitae' lieferte. Benedikt XVI. dagegen redete gar nicht mehr über das Thema, in seiner ersten Enzyklika 'Deus Caritas est', die immerhin über Gottes Liebe geht, steht nichts zum Thema Verhütungsmittel. Und nun, mehr als fünf Jahre nach seinem Amtsantritt, revidiert er einen kleinen, unwesentlich erscheinenden Teil der kirchlichen Lehre und löst eine neue Debatte aus.



Eine Wende also? Der emeritierte Münchner Moraltheologe Johannes Gründel sagt, er habe lange auf eine derartige Äußerung gehofft, sie aber von diesem Papst so nicht unbedingt erwartet. Natürlich dürfe man die Aussagen des Papstes nun nicht überbewerten. Dennoch könnten seine Worte 'ein erster Schritt hin zu einem Umdenken sein': dass die katholische Kirche nicht mehr starr an einem Wert als solchem festhält, sondern eine Güterabwägung zur 'Verantwortungsethik' zulässt, die das Lehramt bislang stets torpediert hatte.



Und auch bei kirchlichen Stellen, die in ihrer täglichen Arbeit mit Aids-Opfern zu tun haben, ist man hellhörig. Der Vorsitzende des katholischen Missionswerks Misereor, Josef Sayer, sagt, seine Kirche mache sich mit den Äußerungen des Papstes 'ein Stück weit ehrlicher'. In der Praxis sei es bei den kirchlichen Hilfsorganisationen doch längst üblich, Kondome als 'Mittel im Kampf gegen den Tod durch Ansteckung' zuzulassen. Viele Bischöfe in Afrika oder Asien hätten erkannt, dass die 'pastorale Verantwortung' es gebiete, den Menschen in konkreter Lebensgefährdung den Schutz durch das Kondom anzubieten. Indem sich der Papst in Ausnahmefällen nun dafür ausspreche, 'Schritte des Todes' zu vermeiden, wie die Afrikaner es nennen, sei diese Praxis nun offiziell gebilligt.



Autoren: Matthias Drobinskiund Monika Maier-Albang

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