Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Verbote bringen nichts!“

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

jetzt.de: Markus, du organisierst Workshops an Schulen, in denen du mit Schülern und Lehrern über Dinge wie Cybermobbing, Anmache in Chatforen und die Selbstdarstellung im Netz sprichst. Wie wichtig solche Aufklärungsarbeit ist, beweist zur Zeit trotz aller Kritik die Sendung „Tatort Internet“. Hast du die Sendung gesehen? Markus: Die Erstausstrahlung habe ich verpasst, aber auf Youtube habe ich die Sendung nachgeschaut. Ich finde, dass „Tatort Internet“ ein wirklich wichtiges Thema auf die falsche Art und Weise behandelt. Das Format dramatisiert und polarisiert mit Spannungsmusik und kurzen, emotionalen Interviews und Szenen. Genau das stört mich. Natürlich gibt es solche Fälle und ich will die Lage auch nicht beschönigen, aber ich bezweifele stark, dass RTL2 der richtige Sender für diese Art Aufklärungsarbeit ist und wirklich Kinder schützen will. Vermutlich wird es ihnen wichtiger sein, Quote zu machen und das merkt man. Kann die Sendung möglicherweise trotzdem zum Schutz von Kindern vor Pädophilen beitragen, einfach weil der Druck auf die Täter zunimmt? So wie RTL2 das Thema präsentiert, bezweifele ich das. Ich habe schon nach der Hälfte der Sendung keine Lust mehr gehabt, weiterzuschauen. Klar waren die gezeigten Fälle ziemlich krass und zum Teil richtig eklig, aber als Zuschauer bekommt man doch vor allem Angst und genau das sehe ich kritisch. Man sollte anstatt den Jugendlichen und Eltern Angst einzujagen viel eher versuchen, die Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren und sie auf die Gefahren, die zum Beispiel in Chaträumen lauern, hinweisen. Extrembeispiele alleine sind noch keine gute Aufklärung. Ich finde, es gibt auch andere Möglichkeiten, an das Thema Jugendschutz ranzugehen. Unser Ansatz ist die unaufgeregte und präventive Aufklärung an Schulen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Markus Merkle Wie seid ihr denn überhaupt auf die Idee gekommen, Medienkompetenz-Workshops anzubieten? Unser Kernteam besteht aus sieben Leuten. Wir sind alle auf das gleiche Gymnasium in Neckartenzlingen in der Nähe von Stuttgart gegangen und haben damals schon die Medien AG geleitet und Projekte wie zum Beispiel die Filmfestspiele an unserer Schule ins Leben gerufen. Jetzt studieren die meisten von uns was mit Medien, ich zum Beispiel Kommunikationswissenschaften an der Uni Hohenheim. Eines Tages saßen wir mit ehemaligen Lehrern zusammen und plötzlich fragten sie uns nach Tipps im Umgang mit ihren Kindern, die den ganzen Tag vor dem Computer sitzen würden. Aus diesem Gespräch ist dann die Idee entstanden, Workshops für Schüler, Eltern und Lehrer anzubieten. Anfang des Jahres haben wir die Initiative Medienkompetenz 2.0 gegründet. Was erzählt ihr denn zum Beispiel den Eltern und Lehrern bei euren Vorträgen an Schulen? Den Eltern erklären wir erstmal das Wort „chatten“. Von dem ist ja in der „Tatort Internet“ Sendung ständig die Rede. Es gibt allerdings völlig verschiedene und damit auch völlig unterschiedlich gefährliche Arten des Chattens. Man kann in Communitys wie Facebook oder StudiVZ chatten, ich kann mit einem Messenger wie ICQ oder msn chatten oder ich kann mich in öffentlichen Chaträumen wie knuddels.de oder Spin.de mit anderen austauschen. Den Eltern sagen wir ganz deutlich, dass die eigentliche Gefahr in diesen öffentlichen Chaträumen lauert, denn dort können sich Menschen unter einer völlig erfundenen Identität anmelden. Deswegen sitzen dort auch tatsächlich pädophil veranlagte Menschen vor dem Bildschirm und suchen Kontakt zu Kindern. Wie sollen die Eltern aber verhindern, dass ihre Kinder trotzdem in öffentliche Chaträume gehen? Die Eltern haben ja technisch viel weniger Ahnung als ihre Töchter und Söhne? Verbote bringen in solchen Fällen tatsächlich gar nichts. Das weiß man ja aus eigener Erfahrung. Das ist auch der Vorwurf, den man „Tatort Internet“ machen kann, dass dort Eltern Panik und Angst eingejagt wird, die dann in einem Chat- und Internetverbot für ihre Kinder gipfeln. Wir appellieren an die Eltern, dass sie versuchen sollen, ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern aufzubauen, indem sie sich von ihnen zum Beispiel ihre Internetwelt erklären lassen. Vielleicht trifft dann ja auch der Ratschlag, sich in sicheren Chaträumen wie seitenstark.de zu bewegen, eher auf offene Ohren. seitenstark.de ist ein vollständig moderierter Chatraum für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren. Da wird jedes Gespräch überprüft. Bewegen sich Kinder in öffentlichen Chaträumen wirklich auf so gefährlichem Terrain? Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, auf öffentlichen Chatseiten dumm angemacht zu werden sehr hoch. Wir demonstrieren das auf Vorträgen vor Eltern und Lehrern immer mit einem Account, den wir mit dem Bild eines hübschen Mädchen dort angelegt haben. Es dauert wirklich keine zehn Sekunden bis irgendjemand schreibt: „Hey, du siehst aber geil aus. Wollen wir chatten?“ Die Jugendlichen von heute sind ja die erste Generation, die mit dem Internet als Selbstverständlichkeit aufgewachsen sind. Haben die so einen Medienkompetenz-Workshop überhaupt nötig? Gerade weil das Internet so selbstverständlich für sie ist, hinterfragen sie das System, die Technik, die Menschen, die ihnen dort begegnen, oft nicht. Was die meisten auch noch nicht verstanden haben, ist die Tatsache, dass das Internet gläsern macht. Bei den über 40-Jährigen ist oft das Gegenteil der Fall. Die haben eher zu viel Misstrauen. Viele Erwachsene reden über Dinge wie zum Beispiel Google Street View ohne es selber je angeschaut zu haben. Die nehmen solche Dinge nur aus den Medien auf und denken automatisch, dass das Internet gefährlich und schlecht ist. Dabei bietet das Netz so viele Vorteile.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Markus vor einer 7.Klasse Interessieren sich die Jugendlichen überhaupt für das, was ihr ihnen vermitteln wollt? Wie macht ihr ihnen denn begreifbar, dass im Internet Gefahren lautern ohne oberlehrerhaft zu wirken? Ab Klasse elf lässt sich kein Jugendlicher mehr von uns etwas erklären, das ist klar. Aber in den Klassen davor stoßen wir schon auf Gehör einfach deswegen, weil wir keine Erwachsenen sind. Wir haben einen relativ geringen Altersunterschied und können auch sehr gut nachvollziehen, wenn junge Leute einfach gerne Partybilder oder Fotos vom Strandurlaub auf ihr Facebook Profil stellen wollen. Das dient alles einer gewissen Selbstbestätigung, die man auch braucht in dem Alter. Was sind denn die Themen, bei denen die Jugendlichen besonders aufmerksam zuhören? Das ist meist das Urheberrecht. Da haben sie nämlich keine Ahnung. Dass man nicht einfach Bilder ins Internet stellen darf, auf denen Leute zu sehen sind, die man nicht um Erlaubnis zur Veröffentlichung gefragt hat, ist für die Schüler total neu. Die machen da ganz große Augen. Oft wissen sie auch nicht, dass man sich nicht einfach Bilder aus fremden Blogs kopieren und auf seine Seite laden darf. Da ist bei den Jungendlichen im Internet anscheinend so eine Mentalität entstanden, die besagt, dass alles allen gehört. Wären eure Kurse nicht auch ein gutes Geschäftsmodell? Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Die vielen Anfragen können wir mit unserem Stuttgarter Kernteam gar nicht alle beantworten. Deswegen gründen wir zur Zeit Regionalgruppen in ganz Deutschland. Wer mitmachen will, kann sich gerne bei uns melden. Momentan arbeiten wir zwar noch ehernamtlich, aber schön wäre es schon, wenn wir bald immerhin kostendeckend arbeiten können. Manchmal stellen wir eine Spendenkasse im Lehrerzimmer auf und manchmal gibt es auch einen Förderverein der Schule, der uns die Fahrkosten bezahlt. Aber es ist uns wichtig, auch an Schulen zu gehen, die keinen Etat für eine Veranstaltung wie diese hat. Du bist für den Deutschen Engagementpreis nomminiert und unter den besten zehn für den studentischen Generation-D Preis. Warum ist es dir so wichtig, die Kurse kostenlos anzubieten? Ich mache lieber einen ehrenamtlichen Job, der mir Spaß macht, als einen Nebenjob, der bloß bares Geld einbringt. Ich glaube, dass eine Gesellschaft ohne ehrenamtliches Engagement nicht überlebensfähig wäre. Es ist wichtig, dass sich jeder von uns für andere einsetzt ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Außerdem ist es doch schön, wenn man mit Schulfreunden etwas auf die Beine stellt, das langsam wächst und zu einem guten Ergebnis führt. Bist du eigentlich selber im Web 2.0 aktiv oder hältst du dich lieber zurück? Selber bin ich bei Facebook und StudiVZ. Wer dort nicht dabei ist, ist vom Informationsfluss regelrecht abgeschnitten. Ich nutze diese Communitys allerdings nur sehr dezent, ich lese also eher mit als dass ich selber viel über mich erzählen würde. Bei Facebook sortiere ich auch immer am Jahresende meine Freundesliste. Die Leute, mit denen ich in den nächsten drei Jahren sicherlich keinen Kontakt haben werde, fliegen wieder raus.

  • teilen
  • schließen