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Hat gar nicht geblitzt!

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Rund um das Fotografiertwerden bieten sich eine ganze Menge ultimativer Sätze an. Sie alle sind dazu angetan, die peinliche Situation zu überspielen, die die eigene Verwandlung in einen Haufen Bildpunkte nun mal darstellt. Ich finde, fotografiert zu werden ist ja auch ein bisschen wie erschossen zu werden. Deswegen schaue ich auch immer so erschrocken. Nun, jedenfalls muss man diesen Graben zwischen Fotograf und sich selber überbrücken und schreit sinnlose Sätze an ihn hin, mit denen man Interesse für seine Arbeit vorgaukelt und ihn nebenbei ganz ordentlich nervt. Vor allem bei Gruppenfotos hagelt es palettenweise wenig durchdachte Aufheiterungsrufe. „Geht das überhaupt so gegen die Sonne?“, damit fängt’s schon bei der Platzwahl an. Dann entsteht ein zuverlässiges Aufstell-Durcheinander, bei dem drei Leithammel den Satz: „Die Kleinen vorne hin!“ in verschiedenen Prioritätsstufen wiederholen. Das führt dazu, dass bald Menschen nach vorne geschubst werden, die sich selber als nicht so klein empfinden oder leider eben Stehzwerge sind, wofür keiner was kann. Ihre Proteste, die Anweisungen des Fotografen und das allgemein Haarestrubbeln verursachen eine wogende Gemengelage, die die fälschlich Kleinen wieder nutzen, um in die hintere Reihe zu den Großen zu entfleuchen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dieses Durcheinander erlebt sogleich seine zweite Aufführung, weil beim ersten Versuch nie alle aufs Bild passen. Wichtiges Kommando jetzt: „Es können sich ja welche vorne hinknien!“ Das will nur keiner. Knien gehört nicht zu den Stufen der Evolution, die der Mensch von der Kaulquappe bis zu seinem stolzen aufrechten Gang durchlaufen hat. Knien ist auf dem Schafott oder eben bei den Katholiken. Deswegen nehmen die Wehrlosen, die dazu antreten müssen, auch eher eine 100Meter-Lauf-Startposition ein. Weil sie und die fälschlich Kleinen zu diesem Zeitpunkt einigermaßen beleidigt sind, muss nun etwas für die gute Laune in den Gesichtern getan werden. Zeit für die nebenberuflichen Kasper, heitere Sprüche anzubringen. Sie wissen – in keiner Situation erntet man leichter Lacher, als bei Gruppenfotos. Weil alle ihre Mundwinkel ohnehin schon in Lächel-Position haben. Da wird also über „Ameisenscheiße!“-Variation gekichert bis zur Erschöpfung, bzw. bis zum erlösenden Klicken der Kamera. In die danach entstehende Pause, in der die Gesichtsmuskeln sofort wieder erschlaffen, aus Strahlegesichtern wieder die alten mürrischen Monde werden, fällt der Hauptsatz mit dem Blitz. Er soll dem Fotografen gehörig Angst einjagen und die ganze Aktion irgendwie beenden. Leider schafft er meistens das Gegenteil. Der Fotograf macht zur Sicherheit noch mal mit richtig viel Blitz, so dass die Angeschossenen später auf den Bildern aussehen, wie ein Rehrudel, das vom Fernlicht eines Autos erfasst wird. Nur das bei den Rehen keiner kniet. Max Scharniggs Hauptsatz-Kolumnen gibt es seit dieser Woche auch als Buch. Das habe ich jetzt akustisch nicht verstanden ist im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen und kostet 9,95 Euro.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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