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Brauen für den Traum

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Hans ist gut drauf. Wie aus „Träumen Schäume werden“ will er der Besuchergruppe in den nächsten zwei Stunden zeigen. Zehn Senioren in kurzärmligen Karohemden und noch mal so viele Seniorinnen in beigen Westchen haben sich vor der „BierVision“ genannten Brauerei im Schweizer Bergdorf Monstein eingefunden. Hans ist ebenfalls Rentner. Ehrenamtlich arbeitet der 70-Jährige als Tourguide in der Brauerei seines Heimatdörfchens. Wenn er ein paar Minuten später die Geschichte der Brauereigründung erzählen wird, sagt er „Bieridee“ statt „Schnapsidee“. Die Rentner werden lachen. Ihr zehnjähriges Jubiläum feiert die BierVision Monstein diesen Oktober. Auf einem Dorffest nahm die Geschichte damals ihren Lauf. Vier Freunde hatten eine Züricher Brauerei damit zu beauftragen, aus gutem Monsteiner Bergquellwasser ein Festbier zu brauen. Das Bier schmeckte dann überraschend gut. Viel besser als das Bier, das es im Monsteiner Dorfladen zu kaufen gab. Monsteiner Bergquellwasser ist weich und - das war die überraschende Erkenntnis - sehr gut geeignet fürs Bierbrauen. Am nächsten Tag war der Rausch verflogen. Zurück blieb eine Art Biervision. Die Idee von der eigenen Brauerei in der seit Jahren leerstehenden Dorfsennerei. „Ünsches Wasser, ünsches Bier.“ So sollte der Slogan lauten.

Einer der vier Brauerei-Gründer: Andreas Aegerter ist der Chef in Monstein. Große Träume sind ein gutes Kapital für Erfolgsgeschichten. Wahr werden große Träume aber meist mit Geld. Dem damaligen Hotelier und heutigem Brauereichef Andreas Aegerter, dem Architekt Hans-Peter Hoffmann, dem Jurist Urs Meisser und dem Werbegrafiker Beat Rüttimann fehlten genau 1,5 Millionen Franken, um eine eigene Brauerei in Monstein zu eröffnen. Vermutlich muss man tatsächlich in einem Schweizer Bergdorf wohnen, um auf die Idee mit der Naturalien-Dividende zu kommen. Kaum hatten sie im Internet bekannt gegeben, dass irgendwo ganz hinten in der Landschaft Davos eine Brauerei entstehen sollte, die als jährliche Dividende zwei Liter Freibier ausschüttet, meldeten sich 700 Interessenten aus der ganzen Welt, von China bis Amerika, von Schweden bis Afrika. Sie alle wollten Miteigentümer der kleinen Brauerei hoch oben in den Graubündner Alpen werden. Im Oktober vor zehn Jahren wurde die internationale Aktiengesellschaft „BierVision Monstein“ gegründet. Europas höchstgelegene Brauerei auf 1620 Metern über dem Meeresspiegel. Wenn aus Geschichten wie dieser Floskeln werden, mit denen rüstige Rentner zum Lachen gebracht werden, dann könnte das ein schlechtes Zeichen sein. Tatsächlich beweist es vor allem eines: den Erfolg des Monsteiner Geschäftsmodells. Knapp ein Viertel ihres Umsatzes macht die Brauerei, indem sie ihr naturtrübes Zwickl-Bier als Erlebnis verkauft. Über Brauseminare, Bierproben und Führungen, die in der aktuellen Hochsaison zwei bis vier Mal am Tag die Räume der BierVision durchkreuzen. Hans, dem die Brauerei mittlerweile eine Art zweites Zuhause geworden ist, führt die Besuchergruppen dann hinab in den Keller der Brauerei. Zur Einstimmung gibt es vor jeder Führung ein frisch gezapftes „Monsteiner Husbier.“ Freibier spielt in der Monsteiner Brauerei nach wie vor eine wichtige Rolle. Nach zehn Jahren „Monsteiner BierVision“ ist es nicht mehr so sehr die Geschichte, die Touristen hoch auf den Berg lockt. Sie kommen tatsächlich wegen dem guten Bier: Die fidelen Frauenturngruppen, die lauten Kegelvereine, die durstigen Berufsschulklassen, die lustigen Kroaten, die schweigsamen Chinesen und, nicht zu vergessen, die heimlich angereisten Kur-Urlauber aus der Davoser Gebirgsklinik. Von Davos aus erreicht man Monstein in zwanzig Minuten. Man muss dafür allerdings eine recht waghalsige Serpentinenfahrt in Kauf nehmen. Einwanderer aus dem Wallis hatten sich im 13. Jahrhundert in Monstein niedergelassen und aus dicken Baumstämmen eine winzige Siedlung gebaut. Äußerlich hat sich Monstein seitdem kaum verändert. Von dem kleinen Bergdorf im Schweizer Kanton Graubünden lässt es sich tief hinab ins Albulatal blicken. Oder weit nach oben auf Gipshorn, Breithorn und Ducan-Gipfel, deren Spitzen das ganze Jahr über schneebedeckt in den Himmel ragen. In Monstein wohnen zweihundert Menschen hinter dunklen Rundholzbalken, grünen Fensterläden und violetten Geranienbüscheln. In der örtlichen Schule teilen sich drei Klassen ein Zimmer und zwei Familiennamen reichen, um die Grabsteine auf dem Dorffriedhof zu beschriften. Trotzdem: Große Ideen hatten die Monsteiner Bürger schon immer. Vor rund hundert Jahren zum Beispiel wollten sie die mickrig vor sich hin bimmelnde Kirchenglocke durch eine neue ersetzen. Die dann prompt so groß und schwer war, dass sie der Kirchturm nicht tragen konnte. Die Monsteiner bauten daraufhin eine zweite Kirche. Die alte, mit unscheinbar grauen Lärchenschindeln verzierte Dorfkirche, steht ein Jahrhundert später direkt neben der Brauerei. Davor parkt ein weißer Transporter mit der Firmenaufschrift „Last beerstop before heaven“.

Der letzte Bierstopp vor dem Himmel steht direkt neben der Monsteiner Dorfkirche. „Wie haben sich denn die Monsteiner die Braukunst angeeignet?“, will eine Dame aus dem Seniorenkollektiv am Ende von Hans Vortrag wissen und spricht damit den wunden Punkt in der Geschichte vom Bierwunder in den Bündner Alpen an. „Nun ja,“ sagt Hans dann zögerlich: „Unsere Brauer sind Deutsche.“ Die Kunst der Bierherstellung ist ein Handwerk, in dem es die Deutschen zur Weltmeisterschaft gebracht haben. Das wissen sie auch in der Schweiz. Dort hat die letzte Berufsschule für Brauer im Jahre 2001 ihre Türen geschlossen. Nur zehn Prozent der Bewerbungen um eine freie Stelle als Brauer in der „BierVision“ kommen überhaupt aus der Schweiz. Der 21-jährige Thomas Dirscherl aus Teublitz in der Oberpfalz ist der aktuelle Brauer, der 28-jährige Hannes Gutschmidt aus Köln der Braumeister in Monstein. Je weiter eine Arbeit vom eigentlichen Vorgang des Bierbrauens entfernt ist, desto weniger gern wird sie von den beiden erledigt. Den ganzen Tag schon füllen sie per Hand Bier in Flaschen ab. Das ist im Prozess der Bierherstellung ziemlich weit am Ende. Der automatische Flaschenfüller macht schon seit Wochen Probleme. Wenn er nicht bald wieder funktioniert, wird sich die BierVision mit entsprechendem Schaden nach einem Neuen umsehen müssen. Da hilft es auch nichts, dass Thomas und Hannes konzentriert bei der Sache sind. Einspannen, Ausspülen, Knöpfchen drücken, Warten, Bügel schließen, fertig. Der Job ist monoton genug, dass man sich dabei langweilt. und anspruchsvoll genug, so dass man sich auf nichts anderes konzentrieren kann. Nicht einmal das Radio auf dem Fenstersims haben sie angeschaltet. Was auch daran liegen könnte, dass Brauerohren ständig aufmerksam sein müssen. Störungen kündigen sich in einer Brauerei akustisch an. Ein Klackern der Pumpen, das plötzliche Rasseln der Ventile oder ein schweres Seufzen aus dem Sudkessel sind schlechte Zeichen. Heute ist es die Stimme des Brauereichefs Andreas Aegerter, die den Puls seiner zwei Brauer in die Höhe schießen lässt: „Die Senioren kommen.“ Andreas Aegerter ist einer der vier Brauereigründer. Während die anderen drei ihren alten Berufen treu geblieben sind, hat der damalige Hotelier „Aegi“, wie sie ihn hier oben nennen, die Brauerei zu seinem räumlichen Lebensmittelpunkt gemacht. Er ist nicht nur Gründungsvater, sondern manchmal auch eine Art Familienoberhaupt. Wer es nicht besser weiß, könnte meinen, die zwei Brauer seien seine Söhne.

Eines Tages wollen sie selber eine eigene Brauerei leiten: Hannes aus Köln (links) und Thomas aus der Oberpfalz (rechts). Wegen der steilen Treppenstufen trottet nur noch die Hälfte der Seniorengruppe überhaupt aus dem Keller, hoch in Richtung Sudkessel. Im Erdgeschoss, dort wo Maisch- und Würzpfanne schon seit um sechs Uhr morgens das zukünftige „Monsteiner Husbier“ köcheln lassen, ist es wohlriechend warm. Braumeister Hannes kämpft sich zwischen den angeheiterten Funktionshosenträgern hindurch. „Jetzt koche ich hier gleich,“ ruft er. Gleich wird er den Schweizer Hopfen in die Mischung aus Monsteiner Wasser, Luzerner Hefe und Bamberger Malz werfen, den Satz mit dem Reim auf „Gott erhalts“ sprechen und das Bier auf den Namen eines glücklichen Rentners taufen. Der Mann mit dem Strohhut wird fragen, wie das mit dem siedenden Wasser in solcher Höhe ist und Hannes wird sein Kölsches „Ich sach mal so“ sagen und erklären, dass es hier oben schon bei 96 Grad kocht und man das physikalisch mit Druckausgleich regeln muss. Fünf verschiedene Biersorten brauen Hannes und Thomas in Monstein. Die Rezepte werden von Brauer-Generation zur nächsten weitergegeben. Doch wenn die beiden könnten, würden sie jeden Tag eine andere Biersorte brauen. Natürlich funktioniert das in einer Brauerei, die wie die BierVision vom Flaschengeschäft lebt nicht. Beim „Munggenbier“, das in etwa dem deutschen Kölsch entspricht, hat Hannes ein paar Kleinigkeiten geändert. Thomas ist als Bayer verantwortlich für das Monsteiner Weizenbier. Am liebsten würden sie eigene Biersorten kreieren. Da die Schweiz aber ein konservativer Biermarkt ist, kann das Ziel von Hannes und Thomas nur lauten, möglichst gute Qualität aus dem Bestehenden zu liefern. Zu Ausgefallenes kommt beim Kunden nicht an. Gehopftes Bier, wie Pils oder Kölsch, mögen die Schweizer nicht so. Der Biermarkt in der Schweiz wird beherrscht von zwei internationalen Braukonzernen, die sich mit massig Kapital in die Alpenrepublik eingekauft haben. Der dänische Carlsberg-Konzern besitzt die Schweizer Marke Feldschlösschen, Heinken aus Holland hat die Graubündner Großbrauerei Calanda schon 1993 übernommen. Streng genommen war die Übernahme ein Segen für Monstein. Heineken versuchte anfangs, das eigene Bier in den Schweizer Markt zu drücken. Grüne Sonnenschirme und grüne Kneipenschilder überall. Auch in Monstein. Das kam nicht gut an bei den durchaus als nationalbewusst zu bezeichnenden Schweizern. So wurde für eine kleine Brauerei wie die in Monstein - eine Brauerei, die im Jahr so viel Bier produziert wie Calanda an einem Tag - eine echte Marktlücke frei. Monsteiner „Steinbock“, „Hus“ oder „Wätterguoga“ Bier gibt es seit einigen Jahren sogar in Schweizer Coop-Supermärkten. Jede Kneipe im Umkreis von 30 Kilometern wird mit Monsteiner Bier beliefert. Heute hat auch Heineken gelernt, wie man in der Schweiz Bier verkauft. Am besten als regionales Produkt. Calanda wirbt aktuell mit Slogans wie diesem: „Ein Bier braucht Heimat.“

Die neue Generation in Monstein: Hannes und Thomas. Thomas wollte nach seiner Ausbildung als Brauer und Mälzer im bayerischen Schwandorf raus aus Deutschland. Dort verlief das Brauen jeden Tag nach dem selben Muster: „Ich geh hin, ich geh Heim.“ Der Beruf des Brauers ist für Thomas aber kein Job. Er ist eine Lebenseinstellung. Ihm war es zu wenig, ein kleines Rädchen im großen Braugeschäft zu sein. Hannes hat seinen Abschluss als Diplom-Braumeisters an der TU Berlin gemacht. Da es so ein Diplom weltweit nur dort und an der TU München-Weihenstephan gibt, ist er mit seinem Bierwissen ein international begehrter Brauer. Er ging nach Monstein, weil er keine Lust auf Knöpfchendrücken hatte wie es beim Brauen in industrieller Umgebung üblich ist. Hannes und Thomas wollen dort arbeiten, wo es sich das Produkt ihrer Arbeit als „unser Bier“ bezeichnen lässt. Auch wenn die Monsteiner natürlich von „ihrem Bier“ sprechen. Es macht in dem Bergdorf vieles möglich. Das Hotel Ducan gegenüber der Brauerei wurde mit 2 Millionen Franken restauriert, der Postbus macht mehr Umsatz, Besitzer von Ferienwohnungen freuen sich über steigende Nachfrage. Manchmal träumen Hannes und Thomas von einer eigenen, kleinen Brauerei. In Monstein proben sie in gewisser Weise für ihren Traum. Später steht Hannes wieder am manuellen Flaschenfüller. Ein paar Nachzügler aus dem Freibierkeller haben sich zu ihm an die Maschine verirrt. Mit offenen Mündern schauen ihm die zwei Schnauzbartträger über die Schulter. Das ist der Moment, in dem Hannes auf Zirkusnummer-Modus schaltet, einen kleinen Regler verschiebt und damit die Abfüllanlage unbemerkt so einstellt, dass der Bierschaum beim nächsten Füllvorgang in hoher Fontäne aus der Flasche spritzen wird. Wenn sie ihre Brillengläser wieder trocken gewischt haben, werden die Rentner zurück in den Bierkeller gehen und vergnügt ins Gästebuch schreiben: „Wir Schweizer können zwar kein Bier brauen. Aber trinken können wir wie die Deutschen.“ Hannes und Thomas bringen den Schweizern also durchaus etwas bei.

Unter den prüfenden Blicken der Senioren füllt Hannes Bier in Flaschen. Für Hans wird es jetzt Zeit, die Bedeutung der dutzend Auszeichnungen und Gütesiegel zu erklären, die im Bierkeller gold gerahmt an der Wand hängen. Der Moment ist deshalb passend, weil die Senioren als Reaktion auf ihren offensichtlichen Almrausch mittlerweile durchaus Hunger entwickelt haben dürften. Da trifft es sich gut, dass die Brauerei in Monstein längst nicht mehr nur Bier herstellt. Mit Abfallprodukten wie dem Biertreber, der während des Brauprozesses irgendwann aus dem Sudkessel gekratzt werden muss und in einer blauen Tonne verschwindet, lässt sich zum Beispiel der Bergkäse des benachbarten Senners prima einreiben. Später kann er ihn als Brauer-Chäs verkaufen. Der Metzger produziert in Treber mariniertes Bündner Fleisch, den „Monsteiner Brauermocken“. Eine Bäuerin aus dem Dorf mach aus Bierbrand Eierlikör. In Monstein funktioniert die kleine Brauerei als Ideenpool für die ganze Region. Die Senioren haben unten im Bierkeller die Auswahl zwischen Bierbrot, Bierschinken, Bierwurst, Bierpralinen und Bierbonbons. Andreas Aegerter und den Machern der Monsteiner Biervision gehen die Einfälle so schnell nicht aus. Ihr neuestes Projekt sind die zwölf Whiskyfässer im Keller, an die sich ein paar der weißhaarigen Männer erschöpft angelehnt haben. In ein paar Jahren wir der Inhalt ausgereift sein. Kunden können jetzt schon den ersten Single Malt der „Monsteiner WhiskyVision“ vorbestellen. Über eine Bierpipeline ins Hotel Ducan haben sie in Monstein auch schon nachgedacht. Lange grübelten sie an der technischen Umsetzung. Bis irgendwann klar war: Es ist eine Schnapsidee. ------ Zum „Oktoberfest“ nach Monstein: Anreise: Mit der Bahn nach Davos, mit dem Postbus in ca. 20 Minuten nach Monstein. Unterkunft: Hotel Ducan, Budget-Zimmer ab 60 CHF (ca. 45 Euro) pro Nacht inkl. Frühstück. Weitere Informationen: Graubünden Ferien

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