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"Dad, du hast keine Ahnung!"

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Der Tag dämmert bereits. Es ist fünf Uhr in der Früh und Sean hockt noch immer vor seinem Computer. Er tippt konzentriert in seine Tastatur als plötzlich sein Vater die Tür aufreißt. Der Erziehungsberechtigte ist ganz und gar nicht damit einverstanden, dass sein Sohn nicht im Bett liegt sondern vor dem Rechner hockt. Wütend reißt er die Tastatur vom Schreibtisch, nimmt sie mit ins elterliche Schlafzimmer und erklärt seinem Sohn, er solle endlich ins Bett gehen. Keine weitere Diskussion. „Dad“, ruft Sean entsetzt, „du hast keine Ahnung. Warte! Ich muss mich ausloggen.“ Der überraschte Sohn hatte sich an diesem Morgen in das Netzwerk eines internationalen Konzerns gehackt. Sean Parker wollte dort Sicherheitslücken aufspüren und diese anschließend den Administratoren melden. Oft genug hatte dies geklappt. Doch jetzt, ohne Tastatur, steckt Sean fest. Er kommt nicht mehr raus, kann sich nicht ausloggen. Es ist ein Leichtes, seinen Standort aufzuspüren und ihn als Hacker zu überführen. Wenig später wird der Teenager Sean Parker zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Und alles nur, weil ein Vater sich um den eigenen Nachwuchs sorgt. Die Geschichte klingt als habe Hollywood sie erfunden. Sie hat sich aber wirklich so zugetragen: Sean Parker hat sie kürzlich der Zeitschrift Vanity Fair erzählt – und mit dem Zusatz garniert, dass er während der Sozialstunden eine junge „Punk-Prinzessin“ kennenlernte, mit der er dann zum ersten Mal im Leben Sex hatte. „Eine schöne Ironie, dass eine polizeiliche Strafe so romantische Folgen hatte“, blickt der heute 30-Jährige auf seine Jugendtage zurück.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Justin Timberlake und Jesse Eisenberg (er spielt Mark Zuckerberg) in "The Social Network". Dass ein ehemaliger Hacker solche Geschichten der Vanity Fair erzählen darf, hat zumindest indirekt dann doch mit Hollywood zu tun. Dort entdeckt man gerade das Internet als Thema. Im Film „Middle Men“, der den Aufstieg von Porno-Sites im Netz erzählt und in Deutschland im November startet, und in dem Anfang Oktober in Deutschland startenden Facebook-Film „The Social Network“ widmet sich das Kino erstmals dem Schaffensmythos hinter dem Alltagsmedium Internet. Sean Parker (der in „The Social Network“ von Justin Timberlake gespielt wird) kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sean hatte seine Finger im Spiel als Ende der Neunziger Jahre der Collegestudent Shawn Fanning die Tauschbörse Napster programmierte und damit für immer die Art veränderte, wie die Welt mit Musik umgeht. Sean gründete den Adressdienst Plaxo und war mit Jonathan Abrams befreundet, der bereits 2002 den Dienst Friendster gründete, eine Art Vorgänger zu dem weltweit wichtigsten sozialen Netzwerk Facebook, dessen Präsident Sean ebenfalls eine Zeitlang war. Welchen Einfluss er dabei auf Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hatte, kann man auf Basis des Films nicht zweifelsfrei ergründen. Einige Szenen sind fiktionalisiert, einige entsprechend dem wirklichen Ablauf rund um die Entstehung von Facebook. Sicher scheint jedoch: Ohne den damals in der Dämmerung ertappten Teenager gäbe es Facebook in seiner heutigen Form wohl nicht. Die Geschichten von Sean Parker stoßen aber nicht nur deshalb auf mediales Interesse weil er offenbar an allen relevanten Netz-Entwicklungen der vergangenen Jahre beteiligt ist (aktuell hat er seine Finger bei Spotify im Spiel, eine Seite, die viele für das nächste große Ding in Sachen Musik halten). Sean Parker ist vielmehr so etwas wie die Vorlage für einen neuen Typus Rockstar: Junge, ehrgeizige Männer, die ihr Glück nicht mit einer Band, sondern mit einer guten Internet-Idee machen wollen. „Die beste Art, das Geschäft zu lernen“, hat Sean einmal gesagt, „ist, es zu machen.“ Von diesem Zauber des „alles ist möglich“ leben alle Geschichten um die neuen Internet-Genies. Man findet ihn in der Geschichte des damals 17-Jährigen Andrey Ternovskiy, der der Welt quasi aus dem Nichts die Zufallsmaschine Chatroulette schenkte; man findet ihn in der Geschichte vom 22-jährigen Christopher Poole, der vor allem unter dem Namen moot bekannt ist, und in dem im Kinderzimmer erfundenen Imageboard 4chan die dunkle Seite des Internet versammelt; und man findet ihn in der Biografie des 26-jährigen Zahnarztsohnes Mark Zuckerberg, der aus einer kleinen Uniwebsite ein weltumspannendes System baute. In all diesen Geschichten steckt das Versprechen auf Ruhm. Ein kleiner Junge, der alle Widerstände überwindet und die große weite Welt erobert – dieser Mythos gefällt dem Kino. Im Jahr 2000 erzählte Cameron Crowe genau davon in seinem Film „

“: Der 15-jährige William Miller gelangt in den frühen Siebziger Jahren als Rockjournalist zu Ruhm und Ehre. In der modernen Variante dieser Erzählung spielt kein Journalist die Hauptrolle. Es sind Programmierer, Techniker, Nerds – Jungs, die das Internet besser verstehen als alle anderen und die damit das große Geld machen oder zumindest die Welt verändern wollen. Es handelt sich dabei um das sehr amerikanische Erzählmuster des Aufstiegs, das sich aber auch außerhalb der USA großer Beliebtheit erfreut. In nahezu väterlichem Ton trägt Jose Antonio Vargas in der aktuellen Ausgabe des New Yorker Details über Mark Zuckerberg zusammen, die so wirken als wolle er den zumeist älteren Lesern zeigen: Es ist ein ganz normaler Junge, der hier gerade die Welt verändert. Im Jahr 1996 programmierte der talentierte Mark für die Praxis seines Vaters eine Patientenverwaltung, die den Namen ZuckNet trug und eine primitive Version des AOL Instant Messenger war, der ein Jahr später auf den Markt kam. Sein Vater meldete ihn daraufhin zu einem Computerkurs an, in dessen erster Stunde der Lehrer den Vater rügte, er müsse seinen Sohn aber künftig Zuhause lassen. Er hatte nicht verstanden, dass nicht der Zahnarzt, sondern der unscheinbare Junge hier lernen will. Früher zerlegten Rockstars das Mobiliar eines Hotelzimmers, damit es nachher etwas zum Weiterzählen gab. Im digitalen Zeitalter hat dieses Weitererzählen eine so große Bedeutung bekommen, dass die neuen Rockstars wissen: Eine gute Marketing-Geschichte ist mindestens ebenso wichtig wie die Idee, mit der man später Geld verdienen will. Mark Zuckerberg trug deshalb jahrelang Badelatschen und gab den Konferenzräumen im Facebook-Hauptquartier Namen bekannter Bands (Run-DMC, ZZ Top). All das wurde bereitwillig weitererzählt, weil man glaubte, durch diese Details vielleicht eine Antwort auf die Frage zu finden: Wer ist dieser Mann, der im Jahr 2006 ein Angebot von Yahoo ausschlug, Facebook für rund eine Milliarde Dollar zu verkaufen? Aaron Sorkin weiß darauf auch keine Antwort. Er weiß nicht mal, wie Facebook wirklich funktioniert. Der 49-Jährige hat Mark Zuckerberg nie persönlich getroffen und dessen Website kennt er nach eigenen Angaben etwa so gut wie einen Vergaser: „Ich weiß, was das ist. Aber wenn ich die Motorhaube am Auto öffnen würde, würde ich ihn nicht finden.“ Trotzdem werden viele Menschen demnächst der Antwort glauben, die Sorkin zu der Frage gefunden hat, wer Zuckerberg ist. Aaron Sorkin ist der Drehbuchautor von „The Social Network“. Auf Basis des Buches „The Accidental Billionaires“ von Ben Mezrich hat er die Geschichte von Facebook fürs Kino adaptiert. Die Erfinder der Website sind die Hauptfiguren seines Films und er hält sie für eine „Gruppe von Leuten, die auf die eine oder andere Art sozial gestört sind, aber das weltbeste soziale Netzwerk gegründet haben“.

Es ist letztlich egal, ob das stimmt oder nicht. Das Publikum will es gerne glauben, denn genau wie die gewöhnliche Jugend des Mark Zuckerberg irgendwie beruhigt, bestätigen auch die Geschichten um Betrug, zerstörte Freundschaften und absurde Sex-Gerüchte das Bild von diesem mysteriösen Mark Zuckerberg. Deshalb wird der Film dem Netzwerk und auch Zuckerbergs Idee von der Zukunft des facebookgesteuerten Internets nichts anhaben können. Im Gegenteil: „The Social Network“ hebt Mark Zuckerberg auf die nächste Stufe des Erfolgs. Der fiktionalisierte Charakter Zuckerberg steht damit auf einer Ebene mit Jed Bartlet. Diesen Namen gab Aaron Sorkin dem US-Präsidenten in seiner äußerst erfolgreichen Polit-Serie „The West Wing“, die in über 150 Episoden einen Backstage-Blick ins Weiße Haus lieferte. Entstanden ist die Serie übrigens auf Basis eines Hollywood-Films. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass auch „The Social Network“ eine Fortsetzung in Serienform finden könnte. Dem Rockstar-Mythos würde es nicht schaden. „Middle Men“, die Geschichte der Porno-Firma Adult Entertainment startet am 25. November in den deutschen Kinos. Ab dem 7. Oktober kann man dort „The Social Network“ sehen.

Text: dirk-vongehlen - Foto: Sony

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