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Anne in New York: Podiumsdiskussion mit Angela Merkel

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5.30 Uhr Aufstehen, Duschen, Los. Es ist Montag, der erste Gipfeltag, und damit für mich auch der erste Tag auf der Bühne internationaler Politik. Habe mir extra einen Hosenanzug gekauft. Meine Schuhe sind noch vom Abiball. Der ist fünf Jahre her, ich hatte vergessen, dass die Schuhe Blasen reiben. Meine Füße erfreuen sich an jedem Schritt. 8.00 Uhr Alle Straßen, die zur UN führen, sind weitläufig abgesperrt. Ich täusche Selbstsicherheit vor. Mit meinem Presseausweis komme ich durch. Vor dem UN Gebäude stehen dutzende Übertragungswagen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die First Avenue und alle Seitenstraßen sind abgeriegelt. Dafür reihen sich dort die Kamerateams aneinander. Ein provisorischer Hochsitz ist auf der leeren First Avenue aufgebaut. „NYPD“ steht in großen blauen Buchstaben darauf – New York Police Department. Es wimmelt von Polizisten und Journalisten. Vor dem UN Hauptgebäude reihen sich weiße Zelte aneinander: Akkreditierung und Sicherheitschecks. Zwischen all dem fühl ich mich ein bisschen verloren. Mir kommt ein kleiner Mann mit Kamera entgegen. „Türkmenistan“ steht auf seiner hellen Weste. Das muss ein Journalist sein, ich hänge mich an seine Fersen. Eine Delegation Anzugträger stößt zu ihm hinzu, ich folge ihnen unauffällig. Sie betreten das Hauptgebäude und bei der Sicherheitskontrolle merke ich: Das ist nicht das Presseteam, das ist der turkmenische Präsident. Bevor mich jemand entdeckt, stehle ich mich davon. Schließlich finde ich den Weg zum Presseeingang. Dort bekomme ich ein Ticket für die Galerie der Printjournalisten. 8.45 Uhr Es wird hektisch: Journalisten schleppen riesige Kamerastative, andere hacken wie wild Texte in ihren Laptop. Von der Galerie hat man eine hervorragende Sicht. Das Symbol der UN, die von den Olivenzweigen umrahmte Weltkugel, prangt übergroß am der Stirnseite des Saals. Noch ist er leer. 9.07 Uhr Der Saal hat sich gefüllt. Es ist ein heiteres Gewühle, dominiert von schwarzen und grauen Anzügen. Manchmal leuchten dazwischen farbenfrohe afrikanische Gewänder auf, bunte Kopftücher oder ein weißer Turban. Die Delegierten begrüßen sich, schwatzen, manche posieren stolz vor dem UN Logo in die Linse einer Handykamera. Schön, des es offensichtlich auch für einige von ihnen ein besonderer Moment ist. Von oben sieht es aus, wie die große Pause auf dem Schulhof. Eben nur im Anzug. Das Klopfen eines Hammers ist zu hören. UN Generalsekretär Ban-Ki Moon bittet um Ruhe, damit man anfangen könne.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit einem Hammerklopfen eröffnet der UN-Generalsekretär den Gipfel. Mittlerweile sind fast alle Tische besetzt. Direkt unter mir erkenne ich den roten Schopf von Australiens Premierministerin Julia Gillard, der iranische Präsident Ahmadinedschad begrüßt Hände schüttelnd die jordanische Delegation, Nicolas Sarkozy nimmt Platz. Ban-Ki Moon hält eine kurze Begrüßungsrede, auf englisch, französisch und koreanisch. Es folgen weitere Reden über Sinn und Fortschritt der Milleniumsziele. An den Sesseln der Journalisten stecken Kopfhörer, in denen alle Reden ins Englische übersetzt werden. 11.15 Uhr Hinter Entwicklungsminister Dirk Niebel betrete ich die noble Lobby des Palace Hotels, in dem gleich eine Podiumsdiskussion mit Angela Merkel beginnt. Das Hotelpersonal grüßt mich freundlich. Was so ein blaues Kärtchen mit einem großen P drauf alles bewirkt! Die Podiumssessel sind noch leer, die Journalistenstühle aber schon gut besetzt. Der Regierungssprecher und ehemalige ZDF-Moderator Steffen Seibert schlendert telefonierend durch den Saal.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Andrang zur Podiumsdiskussion ist riesig. 11.30 Uhr Angela Merkel betritt gefolgt von Dirk Niebel, Meles Zenawi, Premier von Äthiopien, Jens Stoltenberg, Premier von Norwegen, Robert Zoellick, Präsident der Weltbank und einem Vertreter der Hilfsorganisation ONE den Saal. Merkel greift zum Mikro und eröffnet die Runde. Es folgt ein einstündiges Gespräch darüber, wie wichtig die Milleniumsziele sind, das bisher viel erreicht wurde, aber weitergemacht werden muss. Niebel versucht hin und wieder Eigenlob zu streuen. Es ginge der Bundesregierung darum, „gutes“ Geld auszugeben. „Mehr Geld zu geben, wäre ja gar kein Problem“, sagt er überzeugt, verschweigt dabei aber, dass Deutschland in diesem Jahr weit hinter den eigenen Vorgaben für die Entwicklungshilfe zurück bleibt. Als er dann auch noch von einem „gerechten, fairen und transparenten“ Steuersystem spricht, watscht Angela Merkel ihn ab mit den Worten: „Aha. Das ist ja schön, dass wir das noch mal zu hören bekommen.“ Gelächter im Saal.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Angela Merkel moderiert eine Podiumsdiskussion zum Fortschritt der Milleniumsentwicklungsziele. Angela Merkel hat die Diskussion kaum für beendet erklärt, da springen alle von ihren Sitzen auf. Nun beginnt der Kampf um den exklusiven O-Ton, das beste Bild, ein Statement. Ellenbogen und Hartnäckigkeit sind Grundvoraussetzung auf dem polierten Parkett der Weltpolitikberichterstattung. Ganz ehrlich: Mich erschlägt diese Konkurrenz fast. Ich mache ein paar Fotos, O-Töne bekomme ich nicht. 15.00 Uhr Im Hauptsaal beginnt die nächste Generalversammlung. Allerdings erregt die weniger Interesse: Die meisten Delegiertenplätze bleiben leer. 17.00 Uhr Schluss für heute. Ich verlasse das UN-Gebäude und laufe durch die abgeriegelten Straßen zur U-Bahn. An einer Straßenecke stehen 30 junge Leute und machen ordentlich Radau: „UN, UN, listen to this: Ahmadinedschad is a terrorist.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nach dem ersten Gipfeltag demonstrieren, drei Straßen von der UN entfernt, Iraner für den Rauswurf Ahmadineschads aus der UN. Die Demonstranten wollen, dass der iranische Präsident aus der UN geschmissen wird. Sie sind zum Großteil Iraner, die mittlerweile in den USA leben. Das UN-Gebäude ist einen knappen Kilometer entfernt. Ihre Rufe bleiben ungehört.

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