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Zusammen isst man weniger allein

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Sie könnten mich ausrauben. Eine Waffe ziehen, alles einpacken, was von wert ist, und dann einfach verschwinden. Aber zum Kneifen ist es zu spät. Eigentlich müssten sie jeden Moment kommen. Freitag Abend, kurz vor acht. Seit über einer Stunde stehe ich in meiner Küche. Ich habe ein Kilo Gemüse gewaschen und in saubere Scheiben geschnitten. Ich habe Fleisch angebraten, umgerührt, abgeschmeckt und aufgepasst, dass nichts überkocht. Eine Stunde Stress, in der ich viel zu beschäftigt war, um mir Gedanken darüber zu machen, dass gleich zwei vollkommen Fremde zu mir zum Essen kommen. Jetzt köchelt das Fleisch friedlich in der Tomatensoße, der Tisch ist gedeckt, der Wein entkorkt – und ich bekomme auf einmal Panik. Was ist, wenn es ihnen nicht schmeckt? Was ist, wenn da zwei totale Langweiler kommen? Und vor allem: Worüber sollen wir uns nur unterhalten? Vor einem Monat habe ich in einem Blog das erste Mal von der Mitesszentrale gelesen. „Du isst nicht allein“ stand da, und dann, dass die Seite funktioniert wie die Mitfahrgelegenheit, nur eben mit Essen: Einer kocht, der Rest isst mit und zahlt dafür einen vorher festgelegten Betrag. Lustig, dachte ich. Fast zwei Jahre lang bin ich mindestens einmal im Monat in ähnlicher Weise nach Berlin zu meiner damaligen Freundin gefahren. Oft war das schrecklich, sechs Stunden zu dritt auf der Rückbank eines Kleinwagens, der Fahrer raucht Menthol-Zigaretten und aus der Anlage wummert Rammstein. Oft war es aber auch extrem nett, ein älterer Herr hat mir mal eine Einführung in neue deutsche Literatur gegeben und zwei Italiener ihre Telefonnummern in Rom – falls ich mal einen Schlafplatz in Italien brauche. Irgendwann war Schluss mit der Freundin und damit auch mit der Mitfahrzentrale, seitdem habe ich mich nie wieder so lange mit wildfremden Menschen unterhalten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Christoph bei den Vorbereitungen zu seinem ersten Mitesszentralen-Rendevous. Und dann steht auf einmal Ines in meiner Küche: Anfang 30, freundliches Lächeln, braune Haare, rotes T-Shirt und in der Hand eine Tüte Gummibärchen. „Ein Gastgeschenk“, sagt sie. Ein Glück, denke ich, Räuber mit Pistolen bringen keine Süßigkeiten mit. Ich zeige Ines die Wohnung, dann stehen wir in der Küche rum. Komische Situation. Ich biete ihr ein Glas Wein an. Alles, was ich von Ines weiß, ist das, was auf ihrem Profil in der Mitesszentrale steht. Anders als bei der Mitfahrgelegenheit muss man sich dort registrieren und einen User-Namen geben. Ich heiße Speise-Reis, nicht sehr lustig, aber ich liege im Trend, die meisten User haben sich einen Namen aus der weiten Welt der Lebensmittel gesucht. Dann muss man seine Kochvorlieben ankreuzen, ob man Thai-Food mag oder lieber Italienisch oder Afrikanisch. Zum Schluss poppt noch eine Liste auf, in der man seine Interessen ankreuzen muss. Ines hat „Fitness“ angegeben, „Natur“, „Wandern“ oder „Medien“. Immerhin, den letzten Punkt, den hatte ich auch angekreuzt. Ines war die Zweite, die auf mein Angebot geantwortet hat. „Es gibt argentinisches Estofado: Rindfleisch geschmort mit Tomaten“ stand da, und: „Preis 5 Euro“. Zwei Tage lang passiert dann erstmal gar nichts. Dann hatte ich eine Nachricht in meinem Mail-Postfach: „Es gibt eine Mitessanfrage“, stand da. Ines kommt aus München und arbeitet in einem Verlag. Wir reden ein bisschen über Arbeit, das ist neutrales Terrain, dann unterhalten wir uns über die Mitesszentrale. Ines erzählt, dass ihr Bruder sie auf die Idee gebracht hat, er ist der andere Mitesser, der heute zu mir kommt. Per SMS entschuldigt er sich, dass er zu spät ist. Stau auf der Autobahn. Irgendwie habe ich das Gefühl, erklären zu müssen, wieso ich das hier mache, wieso ich heute über eine Stunde in der Küche gestanden und Abendessen für zwei Fremde gekocht habe. Leider hat das mit dem Erklären schon das letzte Mal nicht so richtig funktioniert: Als ich meiner Freundin Lucia von der Mitesszentrale erzählt habe, war die erstmal wenig begeistert. „Zu uns nach Hause?“ Ungläubiger Blick. „Lad doch einfach ein paar Freunde ein!“ Irgendwie hat sie recht, denke ich. Auf der anderen Seite kenne ich meine Freunde ja schon. Neue Leute kennenzulernen, ist aufregend! Wann hat man schon mal die Chance, mit völlig fremden am Tisch zu sitzen?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ines ist Christophs erster Gast am Tisch. Es klingelt an der Tür. Ines Bruder Ingo kommt die Treppe hoch, in der Hand eine Flasche Rotwein. „Passt gut zum Fleisch“, sagt er. Ingo ist 38 und wohnt am Stadtrand, er ist extra für das Essen in die Stadt gefahren. Ich schmeiße die Nudeln ins Wasser, drücke Ingo ein Glas Wein in die Hand und setze ihn zu seiner Schwester und zu Lucia an den Esstisch. Anders als Ines und ich hat Ingo Mitess-Erfahrung, vor drei Tagen war er schon mal bei einem Abendessen, erzählt er. Es gab asiatische Nudeln mit Mango und Scampi. „Die Gastgeberin hat sich selbst übertroffen“, sagt er und grinst wieder. Die Messlatte liegt hoch. Zu hoch. Ich serviere das Essen und nach dem ersten Bissen ist klar: Irgendwas ist schief gegangen. Eigentlich sollte das Fleisch in der Soße weichgekocht werden, im optimalen Fall hätte man es dann mit dem Löffel zerschneiden können. Jetzt schafft man es kaum mit dem Messer. Auf einmal bin ich wieder nervös. Das ist der Super-Gau. Irgendwie hoffe ich auf einmal, dass Ines oder Ingo eine Waffe ziehen und dann ganz schnell mit meinen Wertsachen verschwinden. Ich biete an, mit dem Preis runterzugehen. Ines und Ingo lehnen ab. „Ist lecker“, sagen sie. Alle kauen verdächtig lange. Wenn man sich ein bisschen durch die Angebote auf der Mitesszentrale klickt, merkt man schnell: Das Niveau ist gehoben. Nur selten steht da „Spaghetti mit Tomatensoße“ oder „Fischstäbchen mit Pommes“. Die meisten Köche legen sich ordentlich ins Zeug, suchen exotische Gerichte, machen selber Nudeln und kaufen teure Zutaten. Auch ich wollte die Gelegenheit nutzen, mal wieder richtig aufwändig zu kochen. Geklappt hat das leider nicht so richtig. Ingo und Ines hätten nach dem Essen auch aufstehen und gehen können. Schließlich war „Argentinisches Estofado“ der Deal. Stattdessen machen wir eine zweite Flasche Wein auf und reden über Gefängnisrestaurants in der Toskana und Ingos Segelschein. Das Essen als Verbindung – so in etwa stellen sich das auch die Macher der Mitesszentrale vor, Markus Henssler und Jörg Zimmermann. Die beiden Münchner sind seit langem in den Medien unterwegs, vor ein paar Monaten gründeten sie dann die Mitesszentrale. Ihr Ziel war es aber nie, billiges Essen unters Volk zu bringen, die Leute sollen sich stattdessen kennenlernen, es soll ein bundesweites Netzwerk entstehen, von Menschen, die mehr wollen als nur Essen. Mittlerweile ist es kurz vor elf, wir haben die zweite Flasche Wein fast ausgetrunken und die Gummibärchentüte aufgemacht. Ines und ihr Bruder wollen bald gehen, Ingo will noch in eine Bar. Vorher will ich aber noch wissen, wie sie den Abend so fanden. „Ich hätte es mir schlimmer vorgestellt“, sagt Ines, „schnöselig, ich dachte mich erwartet Gourmet“. Das nehme ich als Kompliment. Auch Ingo war zufrieden, „Essen gut, Gastgeber nett“, sagt er, dann holt er den Geldbeutel raus. Ein komischer Moment. Als Gastgeber Geld einzufordern ist irgendwie seltsam, ich habe den Reflex „Passt schon“ zu sagen. Da hat mir Ingo aber schon einen Zehner in die Hand gedrückt. Während ich die Teller in die Spülmaschine räume, denke ich, dass die Mitesszentrale sich finanziell auf keinen Fall lohnt. Einkaufen, eine Stunde in der Küche, Abwaschen – sollte ich das nochmal machen, dann als Mitesser. Oder ich mache Fischstäbchen mit Pommes.

Text: christoph-gurk - Fotos: JFJ/photocase.com / Christoph Gurk

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