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Kannst du dir ein Leben als digitaler Vagabund vorstellen?

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Als Kind war meine größte Horrorvorstellung ein Hausbrand. Der Gedanke daran, mein Leben ohne Familienfotoalben, Tagebücher und mühsam zusammen gesparte Lieblings-CD’s fortführen zu müssen, machte mich verrückt. Als in unserem Nachbardorf ein Feuerteufel kursierte, stopfte ich meine wichtigsten Habseligkeiten in einen Rucksack und schob ihn unter mein Bett. Im Falle eines Feuers würde ich ihn einfach herausziehen und loslaufen. Natürlich passte nicht alles in diesen kleinen bunten Rucksack und so lauerte in mir stets eine Restverzweiflung in Hinblick auf eine eventuelle Feuertragödie. Heute sind solche Sorgen überholt. Wie viele andere meiner Generation bin ich eine Heranwachsende des digitalen Zeitalters. Würde es heute brennen, schnappte ich mir bloß meinen Laptop oder die externe Festplatte und wähnte meine wirklich bedeutsamen Sachen in Sicherheit. Schließlich birgt sie die Gesamtheit meiner Fotos, meiner Musik, meiner Tagebücher, meiner Adressbücher, Kalender und das ganze andere bedeutsame Allerlei. In digitaler Form. Ganz schön praktisch. Einem Artikel der BBC zufolge finden das derzeit auch mehrere junge Menschen in den USA. Aber nicht nur das - sie gehen sogar so weit zu behaupten, dass, bis auf ein paar Kleinigkeiten wie Klamotten und eine Zahnbürste, ihr Laptop tatsächlich alles sei, was sie überhaupt benötigen. Den Rest verkaufen sie, oft mitsamt Wohnung und mieten sich in einem möblierten Apartment ein. Einige schlafen fortan auch bei Freunden oder in Hostels. Diese Geisteshaltung bezeichnet man mittlerweile als das sich verbreitende Phänomen des „Minimalisten des 21. Jahrhunderts“. In dem erwähnten BBC-Artikel erscheint der 22-jährige Softwareentwickler Kelly Sutton aus New York als einer von ihnen. Er ist auch der Gründer der Website „Cult of Less“. Als er vor vielen Monaten merkte, dass die steigende Anzahl digitaler Güter ein absolut adäquater Ersatz für seine vorherigen analogen Besitztümer war, habe er sie ins Leben gerufen um darüber Stück für Stück sein für überflüssig erklärtes Hab und Gut zu verkaufen. Und bis auf ein paar notwendige Klamotten und einen Bettbezug hat er davon heute schon nichts mehr übrig. Die Seite nutzt er allerdings weiterhin - um den „Cult of Less“ anzupreisen. Auch der 27-jährige New Yorker DJ Chris Yurista wird in dem Artikel nach seiner Identität als digitaler Vagabund gefragt. „Es ist natürlich schön ein Zuhause zu haben, aber das Internet hat für mich die Notwendigkeit einer Adresse einfach ersetzt“, erzählt er der BBC. Alles, was er nun noch besitzt, seien ein Rucksack voller Designer Kleidung, eine externe Festplatte, ein kleines Keyboard und ein Fahrrad. So freut er sich, nicht einmal mehr putzen zu müssen und schläft einfach bei seinen Freunden auf der Couch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der vogelfreie DJ Yurista in den Straßen von New York So weit, so gut - ein bisschen gruselig wird es erst, als ein gewisser Dr. Sandberg von dem „Future of Humanity Institute“ der Universität Oxford über „mind uploading“ spricht. Dies ist ein Konzept, das die Digitalisierung des Gehirn vorsieht - und so eine Art digitales Weiterleben nach dem Tod ermöglichen soll. Auf die Frage nach einer Meinung hält DJ Chris Yurista hält diese Alternative für die "ultimative Form des Minimalismus". Und was hältst du von dieser Geschichte? Kannst du das neue Phänomen nachvollziehen? Ist es vielleicht bloß wieder amerikanisches Spinnertum - oder hältst du es durchaus für möglich, dass dein bester Freund dich demnächst anruft um zu fragen ob er auf deiner Couch schlafen dürfe, weil er seine Wohnung aufgegeben hat? Hast du das spannende Gedankenspiel der radikalen Besitztumsaufgabe auch schon einmal durchdacht?

Text: mercedes-lauenstein - Fotoquelle: BBC

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