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Achtjähriges Gymnasium: "Es ist nicht alles hoffnungslos verloren"

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Sobald das Thema des achtjährigen Gymnasiums bei Elternrunden zur Sprache kommt, gibt es eine hitzige Diskussion. Dann geht es darum, wie dem Kind der Nachmittagsunterricht doch zu schaffen macht, wie viel der Schützling zu lernen hat und letztendlich war ja das G9 sowieso immer viel besser. Dann versuchen die einen Eltern, andere Eltern mit kuriosen Geschichten über das G8 zu übertrumpfen. Meistens sind es Geschichten vom Hörensagen. Ich selbst stehe manchmal bei solchen Gelegenheiten daneben und kann einem Großteil des Geredes nicht zustimmen. Vielleicht, denke ich dann, sollten Eltern mal ihre eigenen Kinder befragen und nicht immer nur der Geschichte trauen, die die Freundin der Nachbarin erzählt hat. Denn es sind die Schüler, die jeden Tag G8 mit seinen Vorteilen und Nachteilen live erleben. Deshalb möchte ich hier über das G8 schreiben, wie ich es erlebe. Sechs Jahre bin ich nun schon im sogenannten achtjährigen Gymnasium und ab September werde ich die Oberstufe besuchen. Ich sehe diesem Einzug in die "heiße Phase" mit gemischten Gefühlen entgegen. Vor allem, weil ich keine Ahnung habe, was auf mich zukommen wird. Das liegt an dem schlechten Informationsfluss zwischen Lehrern und Schülern, aber auch zwischen Schule und Ministerium. Zu Beginn des vergangenen Schuljahres stand zum Beispiel die Fächerwahl für die Oberstufe an. Bei einer Informationsveranstaltung versuchten uns die Lehrer die möglichen Kombinationen und Einschränkungen der Fächerwahl zu erklären. Leider bekam ich von dem Vortrag nur Bruchteile mit, da ich irgendwo zwischen hundertfünfzig anderen Schülern, die alle größer waren als ich, eingepfercht war und regelrecht untergegangen bin. Wir sind sehr viele, die nächstes Jahr Abitur machen. Zum ersten Mal kommen G9- und G8-Schüler zusammen. Beim Rausgehen war ich noch verwirrter als zuvor. Ich finde, diese Informationsveranstaltung spiegelt sehr schön das G8 wider. Ein kleiner Trost für mich war, dass nicht nur die Schüler keine Ahnung hatten, wie das alles ablaufen sollte, sondern auch die Lehrer gaben durch die Blume zu verstehen, dass es ihnen genauso ginge. Die Umstellung ist nicht so leicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es ist übrigens sehr interessant, Lehrer zu fragen, was sie denn vom G8 halten. Einige setzen zu einem langatmigen Vortrag über das Versagen der bayerischen Bildungspolitik an. Die meisten schauen einen apathisch an, schütteln stumm den Kopf, winken ab und gehen weiter. Die Umstellung ist nicht leicht. Von manchem Chaos abgesehen muss ich aber sagen: Es ist nicht alles hoffnungslos verloren. Mit merklichem Stolz verkündete unser Direktor, dass Austauschprogramme mit Partnerschulen trotz des straffen Unterrichtsstoffes im G8 weiterhin ermöglicht werden würden. Auch für Dinge wie Tutorenarbeit engagieren sich viele G8-Schüler. Und für freiwillige Wahlfächer finde ich auch immer noch genügend Zeit. Meine Freizeit hat nur wenig unter der Schule leiden müssen, obwohl viele Eltern vehement das Gegenteil behaupten. Wenn allerdings der Stoff, der eigentlich behandelt werden sollte, wirklich besprochen würde, dann wäre die Freizeit schon Mangelware! Acht Jahre Gymnasium statt neun, das bedeutet, dass der Stoff gekürzt oder komprimiert werden muss. In der Presse las ich, dass Themen im Lehrplan gekürzt oder gar ganz wegelassen würden. Eine Lehrerin aber, die den alten und den neuen Lehrplan kennt, erzählte uns, dass der Stoff kaum gekürzt wurde. Sie sagte uns, dass der neue Lehrplan in ihrem Fach nur kürzer aussehe, weil die Schriftgröße verkleinert worden sei. (Ob das aber stimmt, habe ich nicht nachgeprüft. Vielleicht war es auch ein Scherz ...) Tatsache ist, dass Lehrer oft ganze Kapitel weglassen, weil sie nicht so viel Stoff behandeln können. Eigentlich sollten wir diese unbesprochenen Kapitel selbstständig nachlernen, da der neue Stoff darauf aufbaut. (Das macht aber keiner von uns.) Meist wird das Thema aber in die nächste Jahrgangsstufe verschoben. (Was aus meiner Sicht genauso effektiv ist, wie vor einer Lawine wegzulaufen.) Oder der Stoff wird superschnell durchgezogen. Zur Anschaulichkeit ein Beispiel: Meine Physiklehrerin erklärte neulich irgendetwas über Wellenbewegungen. Währendessen flüsterten meine Kameraden einander zu: "Verstehst du das?" Ich selbst habe schon nach den ersten fünf Minuten keinen Durchblick mehr gehabt. Wir waren froh, dass das Thema nichts mehr mit der Notengebung zu tun hatte. Am Ende der Stunde offenbarte uns die Lehrerin, dass es ihr leid tue, dass sie das Thema nur in einer Schulstunde habe anschneiden können. Normalerweise bräuchte sie einige Wochen, um es zu besprechen, aber dafür sei keine Zeit übrig. Zum Schluss wünschte sie uns noch erholsame Ferien und viel Spaß nächstes Jahr im Physikkurs mit den Wellenbewegungen. Ich frage mich nun: Kann man mit einem oberflächlichen und lückenhaften Wissen das Abitur bestehen? Und kann man damit auf die Uni gehen? Meine Zwischenbilanz vor der Oberstufe lautet, dass wir G8-Schüler schon noch Zeit für uns haben. Zumindest aus meiner Sicht ist es nicht immer so schlimm, wie die Eltern es erzählen. Ich glaube aber, dass es den Lehrern gerade anders geht. Sie müssen gerade entscheiden, wo sie Inhalte kürzen oder weglassen. Sie müssen eine Idee der Politik umsetzen. Das ist nicht leicht. Aber mit einigen Veränderungen kann das G8, finde ich, zu einer annehmbaren Schulform werden. In anderen Bundesländern ist es das schließlich auch. Die Autorin Sabrina Kanthak war eine Woche Schülerpraktikantin in der jetzt.de-Redaktion. Sie stammt aus Dachau und hat gerade die zehnte Klasse an einem bayerischen Gymnasium hinter sich.

Text: sabrina-kanthak - Foto: dpa

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